Hausarztverträge: Reformwünsche aus Baden-Württemberg
Berlin – Baden-Württemberg setzt sich weiterhin für eine hausarztzentrierte Versorgung ein, die den Akteuren ausreichend Spielräume bei der Vertragsgestaltung lässt. Das verdeutlichten Vertreter des Landesverbands Baden-Württemberg des Deutschen Hausärzteverbands, von Medi Baden-Württemberg sowie der AOK Baden-Württemberg vor der Presse in Berlin. Sie erwarten von einer zukünftigen Bundesregierung, dass diese die Krankenkassen weiterhin zum Abschluss von Hausarztverträgen verpflichtet.
Die sogenannte Refinanzierungsklausel nach Paragraf 73 b Sozialgesetzbuch V, die vorsieht, dass sich Investitionen in Verträge von Beginn an rechnen müssen, gehöre aber abgeschafft, hieß es erneut. Zudem verlangen die drei Akteure aus dem Süden, dass die Krankenkassen in Zukunft per Gesetz zum Abschluss von Facharztverträgen nach Paragraf 73 c verpflichtet werden.
„Es braucht hier offensichtlich den Druck des Gesetzgebers“, erläuterte der Medi-Vorstandsvorsitzende Werner Baumgärtner. „Dabei weiß man mittlerweile: Nur durch aufeinander abgestimmte Hausarzt- und Facharztverträge entsteht ein schlüssiges Versorgungskonzept – insbesondere für die chronisch kranken Patienten, deren Zahl stetig zunimmt.“ Erst durch eine abgestimmte Aufgabenverteilung zwischen Haus- und Fachärzten sei eine bessere und wirtschaftlichere Vollversorgung möglich.
Baumgärtner verwies in diesem Zusammenhang auch auf den sogenannten PNP-Vertrag, der Psychiatern, Neurologen und Psychotherapeuten offen steht. In diesem Bereich habe beispielsweise die Gruppentherapie Stichproben zufolge um das Fünffache zugenommen. Im Kollektivvertrag hätten bisher keine Anreize für diese Versorgungsform bestanden. Sie könne aber helfen, Wartezeiten von Patienten zu verkürzen.
Neu: Modul für Kinderärzte, Vertrag mit den Orthopäden
Für eine Fortsetzung und Weiterentwicklung der Versorgungsverträge der AOK Baden-Württemberg sprach sich deren Vorstandsvorsitzender Christopher Hermann aus. Er verwies auf positive Evaluationsergebnisse bei eingeschriebenen Ärzten und Patienten im Hausarztvertrag sowie auf den Ausbau von Direktverträgen: „Neu sind das Vertragsmodul Kinderärzte in der hausarztzentrierten Versorgung und der Facharztvertrag für Orthopädie.“
Hermann erläuterte, dass man allein im Jahr 2012 rund 280 Millionen Euro in die hausarztzentrierte Versorgung investiert habe. 190 Millionen Euro wurden im Gegenzug weniger an Honorar an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg überwiesen. Rund 100 Millionen Euro habe man zusätzlich durch entfallene KV-Einzelleistungen, rationalere Arzneimitteltherapie und vermiedene Krankenhausausgaben eingespart und investiert. Genauere Zahlen nannte Hermann nicht.
Gestaltungsmöglichkeiten für eine Weiterentwicklung der Hausarztverträge forderte auch der Landesvorsitzende des baden-württembergischen Hausärzteverbands, Berthold Dietsche. Denn damit lässt sich seiner Auffassung nach nicht nur die ambulante Versorgung flächendeckend verbessern. Gute Verträge dienten auch dazu, die wirtschaftliche Basis der Praxen zu sichern. Sie seien zudem „enorm wichtig für die Nachwuchssicherung unserer Praxen“, betonte Dietsche: „Hausärzte, die an Hausarztverträgen teilnehmen, finden leichter Nachfolger für ihre Praxen.“
Auf diesen Aspekt ging auch Medi-Chef Baumgärtner ein. Manche Hausärzte entschieden, für die letzten Berufsjahre nicht noch am Vertrag teilzunehmen, sagte er. Dies sei ein Fehler: Wer sich beteilige, könne dem Nachwuchs auch eine attraktive Praxis hinterlassen.
Kritische Punkte: die Bereinigung und die Ablauffrist für Altverträge
Sorgen bereitet den Vertragspartnern in Baden-Württemberg trotz der immer wieder hervorgehobenen Erfolge vor allem zweierlei: Erstens die Bereinigung der Honorare zwischen Kollektiv- und Selektivvertrag. Zwar wird über dieses Thema nicht mehr öffentlich gestritten wie noch vor Jahren. Baumgärtner kritisierte aber, durch ungünstige Bereinigungsregeln könne man Selektivverträge von vornherein unattraktiv machen. Zweitens droht dem AOK-Vertrag Baden-Württemberg das Aus, wenn Paragraf 73 b nicht geändert wird. Hausarztverträge, die vor dem Herbst 2010 geschlossen wurden, laufen spätestens am 30.6.2014 aus. Dann gelten auch für sie die neuen Refinanzierungsregelungen, oder wie AOK-Chef Hermann es formulierte: „Dann dürfen wir uns in die 0815-Situation einsortieren.“
Er forderte stattdessen eine echte Vertragswahl für Versicherte und zudem für Krankenkassen die Möglichkeit, Selektivverträge mit Krankenhäusern zu schließen. Dabei geht es ihm um konkrete Abmachungen mit einzelnen Abteilungen und nicht um Verträge mit einem ganzen Haus: „Ich brauche nicht das Universitätsklinikum Heidelberg in meinem Selektivvertrag“, verdeutlichte Hermann seine Vorstellungen an einem Beispiel.
Von einer zukünftigen Bundesregierung forderte er Bewegung: „Nach der Wahl braucht es einen gesundheitspolitischen Ruck, kein Ruckeln“, sagte der AOK-Vorstand. „Die Politik sollte schnellstens vom Stillstand in den Veränderungsmodus schalten. Die Zeit der Theoretiker und des Durchwurschtelns geht nun wirklich zu Ende.“
In einem gemeinsamen Positionspapier vor der Bundestagswahl haben die AOK, der Hausärzteverband und Medi in Baden-Württemberg ihre gemeinsamen gesundheitspolitischen Forderungen zusammengefasst. Neben dem Wegfall der Refinanzierungsklausel und der Pflicht zu Haus- und zukünftig auch Facharztverträgen gehört für sie eine bürokratiearme, rechtssichere Budgetbereinigung zwischen Kollektiv- und Selektivvertrag auf die Agenda.
Weiterhin fordern sie, die ärztlichen Vergütungsverträge konsequent wieder auf regionaler Ebene zu verhandeln und den Qualitätswettbewerb auszubauen: durch eine Lockerung des Kontrahierungszwangs mit Krankenhäusern und durch „spezifische selektivvertragliche Zulassungsmöglichkeiten“.
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