Politik

Hecken: „Sparvorschläge werden begrüßt, wenn sie die anderen betreffen“

  • Mittwoch, 5. November 2025
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses /G-BA, Peter Himsel
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses /G-BA, Peter Himsel

Berlin – Angesichts der laufenden Spardebatte im Gesundheitssystem und der anstehenden Entscheidungen dazu mahnt der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Josef Hecken eine redliche Debatte an.

„Sparvorschläge werden begrüßt, wenn sie die anderen betreffen“, sagte Hecken anlässlich des parlamentarischen Abends des G-BA gestern in Berlin. „Sparen ist nicht einfach: Das, was auf uns zukommt, wird, egal wie wir es machen, Konflikte und verteilungspolitische Debatten auslösen“, so Hecken weiter. Diese Diskussionen müsse man aber mit „Anstand und Würde gemeinsam durchdiskutieren“.

Dabei sei es wichtig, dass man in allen Debatten daran denke, dass die Menschen gemeinsame Antworten und Lösungen erwarteten. Diese müssten Politik und Selbstverwaltung liefern – ohne, dass die Suche danach „am Ende des Tages wie eine offene Feldschlacht ausgetragen“ werde. „Damit destabilisieren wir auch das Vertrauen in unsere sozialstaatliche Ordnung“, sagte er.

Mit Verweis auf die Geschehnisse im internationalen Kontext, die große Verunsicherungen auslösten, liege es auch am Gesundheitssystem, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen Prinzipien zu erhalten.

„Wenn die Menschen das Gefühl haben, das Gesundheitswesen funktioniert und im Bedarfsfall werden ihre gesundheitlichen Malaisen – seien sie gefühlt oder ernst – versorgt, dann wächst auch das Vertrauen der Menschen in unseren Staat, in unsere Gesellschaft und in unsere demokratische Ordnung“, erklärte Hecken.

Eine enorme Erschütterung des Vertrauens sei derzeit grundsätzlich im System angelegt. Die Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen aus Töpfen der gesetzlichen Krankenversicherung. „Der Staat – das sind nicht Sie, Frau Ministerin – finanziert ungeniert gesamtgesellschaftliche Aufgaben und Fürsorgelasten als Versicherungsfremde Leistungen, beispielsweise für die Bürgergeldempfänger“, betonte der G-BA-Chef.

Hätte das Gesundheitssystem diese Gelder in Höhe von rund zehn Milliarden Euro, „dann ginge es uns in der nächsten Zeit besser.“ Die nun angestrengte Klage der Krankenkassen gegen die Finanzierung bewertet Hecken nicht als „Affront gegen das Bundesministerium für Gesundheit“ sondern als „Ultima Ratio, denn weitere Bittgänge an das Bundesministerium der Finanzen werden mit Sicherheit keinen Erfolg auf Realisierung haben.“ Gerichte sollten diese Entscheidung nun herbeiführen, die „buchhalterischen Tricks“ des Bundesfinanzministerium müssten beendet werden.

Auch für kurzfristige Entlastungen warb Hecken: „Wenn man schon mit Finanzministern spricht, sollte man nachfragen, ob es nicht sachgerecht wäre, einen ermäßigten Steuersatz auf Humanarzneimittel zu überlegen.“ Denn: „Warum werden Zucker, Pralinen, Bonbons beim Edeka, Spar oder anderen Discountern mit sieben Prozent Mehrwertsteuer belegt werden, die Medikamente zur Therapie der durch diesen Konsum verursachten Erkrankungen aber mit 19 Mehrwertsteuer? Hier sehe ich ordnungspolitisch eine kleine Schieflage.“

Grundsätzlich müsse auch beim Thema Konsum verschiedener Genussmittel diskutiert werden. „Mich irritiert, als Kettenraucher, dass es – unter Hinweis auf den Koalitionsvertrag – ein Tabu zu sein scheint, über Steuererhöhungen auf Tabak, Spirituosen und Zucker zu sprechen.“

Mit „Blick auf die politischen Realitäten“ in einigen Wahlkreisen könne man zwar Wein und Bier ausnehmen, aber sonst „bin ich da wenig kompromissbereit.“ Es müsse aber klar gestellt werden, dass die Mehreinnahmen aus diesen Steuererhöhungen dem Gesundheitsbereich zukommen.

Für weitere Reformen sprach sich Hecken beim nun beginnenden Pharmadialog aus. Das diesjährige Gutachten des Sachverständigenrates sei hier sehr deutlich: „Die Förderung des Pharmastandorts Deutschland ist richtig und wichtig. Aber das fällt in den Ressortbereich Wirtschaftspolitik und sollte und darf nicht aus den Mitteln der Solidargemeinschaft finanziert werden“, erklärte Hecken. Die Gemeinschaft der zwangsweise gesetzlich Versicherten sei kein Instrument zur Beförderung der Wohlfahrt pharmazeutischer Unternehmen.

Hecken warb für eine Gesetzesanpassung beim Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). „Aber das darf nicht dazu führen, dass wir zurück zu der Situation vor dem AMNOG kommen.“ Vielmehr hält Hecken Interimspreise bei neuartigen Arzneimitteln für sinnvoll, die sich ja nach Studienlage auch wieder verändern könnten.

Bei der anwesenden Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) warb er um eine weitere starke Rolle des G-BA in der Arzneimittelbewertung: „Wir haben hier schon viele Krokodilstränen in unserem Foyer aufgewischt. Sachgerechte Dialoge bei diesem Thema können wir führen.“ Von den rund 1.200 AMNOG-Bewertungen in den vergangenen zehn Jahren seien noch 800 in Kraft, so Hecken.

Für die Reformagenda sieht Hecken gerade beim geplanten Primärversorgungssystem diffizile Diskussionen. „Wir müssen hier zunächst mit großer Sorgfalt Strukturen schaffen, die gewährleisten, dass Patientinnen und Patienten auf der richtigen Versorgungsebene fallabschließend behandelt werden.“

Dafür müsse es eine elektronische Ersteinschätzung geben sowie eine technische Aufrüstung der Praxen. „Wenn wir ein solches komplexes Modell aufsetzen, und dies nicht ordentlich schaffen, dann hätte das fundamentale Vertrauensprobleme zur Folge“, warnte Hecken.

Daher warb er auch bei diesem Vorhaben die Unterstützung des G-BA an: „Frau Ministerin, wir haben hier die Expertise, wir sind geübt im Zanken, wir sind geübt darin, die Dinge irgendwie am Ende des Tages gangbar zu machen.“ Er warb auch dafür, Versicherte zu mehr verantwortungsvoller Inanspruchnahme des Gesundheitssystems zu verpflichten. Dazu könnten auch höhere Zuzahlungen bei Krankenhäusern sowie Arzneimittel zählen.

Warken (CDU) lobte in ihrer Replik auf Hecken die „herausragende Arbeit der der Selbstverwaltung“ sowie die „fristgerechte Arbeit“ des Gremiums. Die kürzlich getroffene Entscheidung zur Liposuktion bei Lipödem lobte die Ministerin ebenso. Dieses Thema war beim parlamentarischen Abend des G-BA im Jahr 2019 der zentrale Streitthema zwischen G-BA-Vorsitzenden Hecken und dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gewesen.

Mit Blick auf den bevorstehenden Pharmadialog, der in diesem Monat starten soll, kündigte Warken an, dass es „keine Zusagen geben werde, die nicht in ihrem Sinne sind“.

bee

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