Sachverständigenrat Gesundheit für striktere Trennung zwischen Arzneimittelpreisen und Standortpolitik

Berlin – Der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege (SVR) plädiert für eine konzeptionelle Trennung von Arzneimittelpreisbildung und Standortförderungspolitik für die Pharmaindustrie. Der Rat habe bei der Erarbeitung seiner jüngsten Stellungnahme keinen Zusammenhang zwischen beiden Politikfeldern feststellen können, hieß es.
„Wir haben Belege für diesen Zusammenhang gesucht, aber keine Evidenz gefunden“, erklärte Ratsmitglied Leonie Sundmacher, Professorin für Gesundheitsökonomie, beim Symposium zum 40. Jubiläum des SVR.
Anders als Industrievertreter und -verbände oft behaupten würden, habe die Höhe des Erstattungsbetragsniveaus keine erkennbaren Auswirkungen auf Ansiedlungen an oder Abwanderungen von einem Standort. Die Förderung der Pharmaindustrie müsse deshalb mit wirtschaftspolitischen Instrumenten erfolgen, nicht über die Erstattungspreise.
Ein Blick auf andere europäische Länder würde das bestätigen: So hätten Spanien und Dänemark Deutschland bei der Durchführung klinischer Studien längst abgehängt und seien führende Nationen auf diesem Gebiet, würden aber eine striktere Preispolitik als die hiesige verfolgen. Frankreich und Großbritannien würden gar mit Budgets für die Arzneimittelerstattung arbeiten, hätten aber trotzdem eine florierende Pharmaindustrie.
Sie selbst würde der Politik zur Kostenregulierung ebenfalls ein prospektives Budget empfehlen, nach dessen Überschreitung die Herstellerunternehmen Rückzahlungen auf Basis des Marktanteils leisten müssten.
Die Höhe des Budgets könne jährlich angepasst werden und sich beispielsweise an der Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) orientieren. Dabei seien aber auch Ausnahmen für förderungsbedürftige Arzneimittel wie Orphan Drugs möglich.
Die Budgetierung könne als „Schutzschild bei der Ausgabenkontrolle“ fungieren, sei aber nur in Verbindung mit einem System sinnvoll, das den Erstattungsbetrag eng an den Zusatznutzen des jeweiligen Arzneimittels koppelt.
Das wies der Präsident des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, entschlossen zurück. Es sei ein Widerspruch, stets die Bedeutung innovativer Arzneimittel und der Pharmaindustrie für den Wirtschaftsstandort zu betonen, dann aber nur über Preissenkungen zu diskutieren.
Deutschland falle immer weiter zurück, bereits ein Drittel der neu lizensierten Moleküle würden mittlerweile in China entwickelt und der Abstand zu den USA werde immer größer. Man müsse „in diesem Land sehr kämpfen, damit wir da weiter mitmachen können“, sagte er. „Wir müssen in dieser Phase der Geschichte sehr genau aufpassen, was wir mit der Pharmaindustrie machen.“
Der SVR-Vorsitzende Michael Hallek wandte demgegenüber ein, dass die Erstattungspreisentwicklung bei patentgeschützten Arzneimitteln auch ein wesentlicher Treiber der rapide steigenden GKV-Beiträge sei und damit ebenfalls dem Standort schaden würde. „Wir müssen die galoppierenden Kosten einfangen, weil sonst die Lohnnebenkosten den Wirtschaftsstandort abwürgen“, warnte er.
Er wisse als Onkologe um die Segnung von Arzneimittelinnovationen – als Verordner sehe er aber auch, welche Belastung die Preisentwicklung für die gesetzliche Krankenversicherung darstelle. „Es geht darum, unser System solidarisch zu halten“, mahnte er.
Relevant für die Standortförderung seien stattdessen vielmehr eine exzellente Wissenschaftslandschaft inklusive regionaler Hubs, öffentlicher Förderung und effizienter Durchführung klinischer Studien, betonte Sundmacher.
Hier sei der Staat gefordert. „Insbesondere der Ausbau der Gesundheitsdateninfrastruktur ist zentral. Und da diese nicht nur der Pharmaindustrie zugutekommt, sondern dem gesamten Gesundheitswesen, sollte es staatlich finanziert werden.“ Die Datenlinkage – also die Verknüpfung verschiedener Datenquellen – müsse verbessert werden und zentralisierte, schlanke Antragsverfahren Gesundheitsdaten besser nutzbar machen.
Dies müsse dazu führen, dass versorgungsnahe Daten in Zukunft besser in der Nutzenbewertung berücksichtigt werden. Denn Versorgungsprozesse in der Regelversorgung würden sich oft stark von denen in klinischen Studien unterscheiden.
Hier waren sich Sundmacher und Steutel einig. Auch der vfa-Präsident kritisierte, die Zusatznutzenbewertung sei oft noch sehr weit weg von der Versorgungsrealität. Er plädierte für den Aufbau eines Ökosystems für Real World Data.
Neben seinem aktuellen Gutachten reflektierte der SVR seine eigene Rolle in den vergangenen 40 Jahren. „Sie waren und sind stets ein verlässlicher Impulsgeber für die Politik“, lobte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) das Gremium. Auch die Empfehlungen des aktuellen Gutachtens sollten im Rahmen einer Wiederaufnahme des Pharmadialogs beraten werden.
Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verwies auf das Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Politik sowie die Bedeutung von unabhängiger wissenschaftlicher Beratung und Kommunikation im Gegensatz zu von der Politik bestellten wissenschaftlichen Einschätzungen.
Das Parlament sei zwar demokratisch legitimiert, habe aber in vielen fachpolitischen Themen keine ausreichende Expertise, während die Wissenschaft diese Expertise habe, aber keine demokratische Legitimation. In diesem Spannungsverhältnis bewege sich Politik oft. „Kompromisse sind die Königsdisziplin der Politik, aber die Kapitulationserklärung der Wissenschaft“, sagte er.
Der Paläoklimatologe Gerald G. Haug, bis Februar Präsident der Leopoldina, wies zudem auf die Bedeutung der Kommunikation wissenschaftlicher Standpunkte in die Gesellschaft hinein hin. Er habe dahingehend wichtige Veränderungen der Arbeitsweise der Leopoldina angestoßen.
„Wenn etwas politisch diskutiert wird, bringt es nicht viel, wenn wir zwei Jahre später eine 300, 400 oder 500 Seiten lange Publikation dazu veröffentlichen“, sagte er. Stattdessen trete die Akademie der Wissenschaften in den vergangenen Jahren auch verstärkt mit kürzeren und leichter verständlichen Stellungnahmen an die Öffentlichkeit.
Es sei zudem wichtig, stets die Unabhängigkeit solcher Gremien sicherzustellen. Die Leopoldina übernehme keine Aufträge aus der Politik und verteidige das auch. Jens Spahn (CDU) habe das in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister versucht, sei aber von ihm zurückgewiesen worden.
Sowohl Haug als auch Lammert zeigten sich beim Blick auf die Zukunft der wissenschaftlichen Politikberatung und Kommunikation besorgt. Lammert beklagte, dass unter anderem eine veränderte Mediennutzung zu immer geringerer Aufmerksamkeit für komplexe Probleme und Fragestellungen führe. „Ich glaube, das ist ein Bereich, dem sich die Wissenschaft verstärkt widmen muss.“
Haug wiederum warnte vor den Folgen des aktuellen politischen Klimas. Am Beispiel USA könne man sehr deutlich sehen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur geleugnet, sondern auch die dazugehörigen Strukturen systematisch geschliffen werden.
„Ich mache mir in unseren westlichen Demokratien große Sorgen wegen dieser Verflachung und Anti-Intellektualität, die zu großen Teilen politisch gewollt ist“, sagte er. „Rechtspopulisten haben Probleme mit Typen wie uns.“
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