Herz-Kreislauf-Erkrankungen erklären hohes Sterberisiko in ärmeren Ländern

Laval und Hamilton – Von schätzungsweise 55 Millionen Erwachsenen, die 2017 gestorben sind, entfielen 17,7 Millionen Todesfälle auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die damit weltweit die häufigste Todesursache sind – außer in den Ländern mit dem höchsten Einkommen.
Dort sterben nach den im Lancet (2019; doi: 10.1016/S0140-6736(19)32008-2) veröffentlichten Ergebnissen 2-mal so viele Menschen an Krebs wie an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach einer weiteren Analyse im Lancet (2019; doi: 10.1016/S0140-6736(19)32007-0) sind 70 % aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf modifizierbare Risikofaktoren zurückzuführen.
Es ist bekannt, dass die Lebenserwartung in Ländern mit hohem Einkommen (High Income Country, HIC) deutlich höher ist als in Ländern mit mittlerem Einkommen (MIC) oder niedrigem Einkommen (LIC). Die Unterschiede wurden lange auf die höhere Kindersterblichkeit in den LIC zurückgeführt. Eine neue Analyse der PURE-Studie („Prospective Urban and Rural Epidemiologic“) zeigt jedoch, dass dies nur ein Teil der Erklärung ist.
Die PURE-Studie begleitet seit 2005 162.534 Erwachsene im Alter von 35 bis 70 Jahren, von denen in den ersten 9,5 Jahren 11.307 (7 %) gestorben sind. Die laufende Studie wird in 21 Ländern durchgeführt. Darunter sind 4 HIC (Kanada, Saudi-Arabien, Schweden und die Vereinigten Arabischen Emirate), 12 MIC (Argentinien, Brasilien, Chile, China, Kolumbien, Iran, Malaysia, Palästina, Philippinen, Polen, Türkei und Südafrika) und 5 LIC (Bangladesch, Indien, Pakistan, Tansania und Simbabwe).
Die Gesamtmortalitätsrate der Erwachsenen war in den LIC mit 13,3 Todesfällen pro 1.000 Personenjahre doppelt so hoch wie in den MIC (6,9 Todesfälle pro 1.000 Personenjahre) und 4-mal höher als in den HIC (3,4 Todesfälle pro 1.000 Personenjahre). Der Unterschied ist nach der von Gilles Dagenais von der Université Laval in Quebec und Mitarbeitern vorgestellten Analyse vor allem auf eine hohe Zahl von Herz-Kreislauf-Todesfällen zurückzuführen.
Der Anteil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen an allen Todesfällen betrug in den LIC 43 %, in den MIC 41 %, aber in den HIC nur noch 23 %. In den HIC starben dagegen 55 % der Menschen an Krebs. In den MIC betrug der Anteil 30 % und in den LIC nur 15 %. Das bedeutet allerdings nicht, dass Krebstodesfälle in den LIC seltener sind. In absoluten Zahlen ist die Sterblichkeit genauso hoch wie in den reicheren Ländern. Der relative Anteil ist geringer, weil mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben.
Die hohe Zahl der Herz-Kreislauf-Todesfälle ist laut Dagenais nicht auf einen ungesünderen Lebensstil zurückzuführen. Die wahrscheinlichste Erklärung sei, dass Menschen in den ärmeren Ländern medizinisch schlechter versorgt würden. Es werde weniger in die Herz-Kreislauf-Prävention (etwa durch die Behandlung der Hypertonie) investiert und im Fall einer Erkrankung (etwa eines Herzinfarktes) fehle es an effektiven Behandlungsmöglichkeiten.
Die zweite Analyse zeigt noch einmal, dass die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen und damit auch Todesfälle vermeidbar sind. Salim Yusuf von der McMaster University in Hamilton (Ontario) und Mitarbeiter haben anhand der PURE-Daten die attributablen Risiken („population attributable fraction“, PAF) berechnet. Insgesamt sind nach der Analyse 70 % aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf modifizierbare Risikofaktoren zurückzuführen, also im Grunde genommen vermeidbar.
Den größten Anteil haben mit einer PAF von 41,2 % Stoffwechselfaktoren, wobei mit einer PAF von 22,3 % mehr als die Hälfte auf den Bluthochdruck zurückzuführen sind. Ein weiterer Cluster waren Verhaltensrisikofaktoren. Sie sind nach den Berechnungen von Yusuf für 26,3 % der Herz-Kreislauf-Todesfälle verantwortlich. Mit einer PAF von 12,5 % entfällt die Hälfte auf ein niedriges Bildungsniveau. Bildung ist eine Voraussetzung für die Vermeidung von Herz-Kreislauf-Risiken und sie kann auch dazu beitragen, dass Menschen im Krankheitsfall rechtzeitig die richtige Behandlung erhalten.
Insgesamt 13,9 % aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind der Analyse zufolge auf die Luftverschmutzung zurückzuführen. Ihr Anteil ist in den LIC am höchsten. Eine wichtige Ursache ist dabei die Verwendung von Holz und anderen festen Brennstoffen zum Kochen und zum Heizen der Wohnungen.
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