Hessen will Schwangerenberatungen vor Abtreibungsgegnern schützen

Wiesbaden – Hessen will schwangere Frauen vor Belästigungen von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken bewahren. Dafür hat das Innenministerium in Wiesbaden als oberste Versammlungsbehörde für die Städte und Gemeinden einen Erlass formuliert, um Konfliktfälle zu lösen. Dies teilte das Ministerium heute auf Anfrage mit. Zuvor hatte die Frankfurter Rundschau berichtet.
Laut der Handreichung vom 20. August dürfen keine ratsuchenden Frauen vor Beratungsstellen angesprochen, bedrängt oder belästigt werden. Zudem dürfen ihnen keine Gespräche oder Infomaterialien aufgezwungen werden. Abtreibungsgegner müssen auf Abstand gehalten werden.
„Im Regelfall sind die Örtlichkeit einer Versammlung räumlich so weit von der Beratungsstelle entfernt festzulegen oder bestimmte Bereiche auszunehmen, dass kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle mehr besteht“, erklärte ein Ministeriumssprecher mit Verweis auf das Papier. Ein solcher Eingriff in das Versammlungsrecht sei „in der Regel zulässig, wenn nicht sogar geboten“, um das Persönlichkeitsrecht der Frauen zu schützen.
Auslöser für die Weisung ist, dass Abtreibungsgegner immer wieder vor Beratungsstellen und Praxen Mahnwachen veranstaltet oder demonstriert haben. Der Erlass sei nun an die Regierungspräsidien verschickt worden. Hessen sei das erste Land, das mit einer Regelung eine Reaktion zeige, sagte ein Ministeriumssprecher.
Linke wollen Gesetz
Die Gießener Ärztin Kristina Hänel unterstützt unterdessen eine Gesetzesinitiative der Linksfraktion in Hessen für Schutzzonen vor Kliniken und Arztpraxen. Die Linken wollen damit ebenfalls Abtreibungsgegner auf Abstand halten.
„Frauen wollen ja gerade eben in dieser sehr intimen und unangenehmen Situation nicht gesehen und erkannt werden“, schrieb Hänel in einer Stellungnahme zu einer heutigen Expertenanhörung im hessischen Landtag. „Für sie entspricht der Gang in die Praxis einem Spießrutenlaufen, in dem ja früher Verurteilte durch eine Gasse gehen mussten und Stockschläge bekamen.“
Die oppositionelle Linksfraktion begründet ihren Gesetzesvorstoß damit, dass zunehmend auch in Hessen religiöse Fundamentalisten solche Einrichtungen belagerten. Sie schlägt deshalb vor: „In einem Umfeld von ca. 150 Metern werden zu Öffnungstagen von Beratungs- oder Behandlungsstellen Versammlungen beschränkt, sofern sie sich thematisch auf die Aufgaben der Schwangerschaftskonfliktberatung beziehen.“ Ob der Gesetzesentwurf eine Mehrheit im Landtag finden wird, ist unklar. CDU und Grüne bilden zusammen die Regierungsmehrheit.
Rechtsexperten äußerten große Zweifel, ob der Gesetzesentwurf verfassungsgemäß ist. Aus Sicht des Juraprofessors Bernd Grzeszick von der Universität Heidelberg verletzt er unter anderem die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in unzulässiger Weise. Der Rechtsexperte verweist in seiner Stellungnahme auf andere Verbotsmöglichkeiten. Auch der Deutsche Juristinnenbund in Hessen schrieb: „Höchst fraglich ist bereits, ob das Land ein derartiges Spezialgesetz erlassen darf.“ Der Mainzer Juraprofessor Friedhelm Hufen hat dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Hänel selbst nimmt in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche vor und sieht sich deshalb Anfeindungen und sogar Morddrohungen ausgesetzt. Für Ärzte und Praxismitarbeiter gebe es durch Demonstrationen von Abtreibungsgegnern auf dem Gehweg eine „real gefühlte“ Bedrohung. „Wir als Betroffene wissen ja nie, ob jemand, der uns gerade eine Morddrohung geschickt hat, nicht auch jetzt dort draußen vor der Praxis steht und mitdemonstriert“, schrieb sie.
Hänel war bundesweit bekannt geworden, weil sie sich für eine Änderung des Abtreibungsrechts einsetzt. Sie hatte auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert und wurde deshalb wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 219 a verurteilt, der dies als unerlaubte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbot. Der Paragraf wurde mittlerweile nach langer Diskussion ergänzt, das Urteil gegen Hänel wegen der geänderten Rechtslage aufgehoben.
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