Vermischtes

Hilfe bei Anfeindungen: Anlaufstelle für Wissenschaftler rechnet mit steigendem Bedarf

  • Mittwoch, 4. Dezember 2024
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Berlin – Ein E-Mail-Postfach voller Drohungen, dubiose Briefe und anderweitige Anfeindungen: Eine Anlaufstelle für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in solchen Lagen hat in den ersten anderthalb Jahren ihres Bestehens Dutzende Betroffene persönlich beraten, fast 500 Menschen geschult und Tausende über das Internet mit Informationen erreicht.

Das geht aus einer nicht repräsentativen Zwischenbilanz hervor, die die Initiatoren des Angebots namens Scicomm-Support heute vorstellten. Es richtet sich an Wissenschaftler und in der Wissenschafts­kommunikation tätige Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit angegriffen werden oder sich unsachlichen Konflikten ausgesetzt sehen.

Auch wenn die Coronapandemie vorüber ist, die das Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit katapultiert hatte: Der Bedarf an Unterstützung wird aus Sicht von Scicomm-Support in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht geringer werden. „Die aktuelle politische und polarisierende gesellschaftliche Stimmung lässt leider das Gegenteil und einen steigenden Bedarf erwarten“, heißt es in einer Erklärung zur Zwischenbilanz.

Hinter Scicomm-Support stehen der Bundesverband Hochschulkommunikation und die Initiative Wissenschaft im Dialog. Da die Aufbaufinanzierung zum 30.4.2025 ausläuft, sei man dabei, sich als gemeinnützige Einrichtung auszugründen, sagte Mitinitiatorin Julia Wandt. Ziel sei es, ab 1. Mai nächsten Jahres Spenden annehmen zu können. Zudem hoffe man auf eine Förderung durch den Bund.

Bei den persönlichen Beratungen variierte die Intensität stark: Teils gingen Fälle über mehrere Monate. Mit 26 Ratsuchenden habe es je zehn und mehr Kontakte gegeben. In 19 Fällen sei den Menschen bereits mit ein bis drei Kontakten geholfen gewesen, sagte Wandt über das breite Spektrum.

In 30 der 60 persönlichen Beratungen war auch eine Rechtsberatung nötig. Manche Menschen meldeten sich auch schon vorsorglich, etwa wegen eines anstehenden Interviews, hieß es. Neben den häufigen Anfeindungen im digitalen Raum berichtet Scicomm Support auch von reinen Offline-Vorkommnissen beziehungsweise Mischformen. Regionale Schwerpunkte waren demnach in Nordrhein-Westfalen und Berlin.

Die Zahl der Frauen, die sich meldeten, sei höher gewesen als die der Männer, heißt es im Zwischenfazit. In einigen Fällen habe es eine geschlechtsspezifische Komponente gegeben. „Vor allem herablassende Äußerungen oder Fälle mit einhergehender persönlicher Diskriminierung (z. B. Belästigung, Stalking und Sexismus) werden in diesem Ausmaß speziell von Wissenschaftlerinnen berichtet“, hieß es.

Eine Agrarsoziologin, die Scicomm-Support zu Rate zog, schilderte persönlich ihren Umgang mit einem „Shitstorm“, nachdem sie zu den Bauernprotesten fürs Fernsehen interviewt worden war. Janna Luisa Pieper von der Georg-August-Universität Göttingen sprach etwa von Hassmails, die sie erhalten habe, aber auch ominösen, ans Büro gepinnten Briefen.

Für sie sei am Kontakt zu Scicomm-Support wichtig gewesen zu wissen: „Ich bin nicht allein in der Situation.“ Zudem habe sie anwaltliche Unterstützung bekommen, da sie sich auch mit strafbewehrten Unterlassungserklärungen und einstweiligen Verfügungsverfahren konfrontiert gesehen habe.

Zum Glück sei sie „juristisch unbeschadet“ daraus hervorgegangen. Sie betreibe auch weiterhin Wissenschaftskommunikation und wolle sich nicht einschüchtern lassen, sagte Pieper.

Die Unterstützungsmöglichkeit wurde im Jahr 2023 aufgebaut. Neben Informationsangeboten auf der Website werden auch Trainings und Weiterbildungen sowie eine persönliche telefonische Beratung angeboten.

Anlass für die Einrichtung war laut Scicomm-Support eine an den wissenschaftlichen Einrichtungen spürbar angestiegene Wissenschaftsfeindlichkeit, Zunahme von Hassrede und weiteren Formen von Anfeindungen gegenüber Forschenden und wissenschaftlichen Einrichtungen, die Wissenschaftskommunikation betreiben.

Während der Coronapandemie hatten Forschende, die in der Öffentlichkeit präsent waren, publik gemacht, dass sie beispielsweise auch Morddrohungen erhielten.

Die Pandemie selbst spiele inzwischen thematisch keine große Rolle mehr und auch die Betroffenen, die sich meldeten, kämen größtenteils aus anderen Bereichen als der Medizin, sagte Projektleiterin Kristin Küter. Persönliche Beratungen nahmen laut Statistik am häufigsten Menschen aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften in Anspruch.

Für Pieper zeigt ihre persönliche Erfahrungen jedoch, dass sich in der Pandemie Wissenschaftsfeindlichkeit und Netzwerke herausbildeten, die auch noch in ihrem Fall Auswirkungen hatten, wie sie sagte. Über Chatgruppen von Gegnern der Coronamaßnahmen beispielsweise seien Mitglieder zum Schreiben von E-Mails an ihre Adresse aufgerufen worden. Dies zeige Schnittstellen zwischen den Szenen.

ggr

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