Hungerstreik polnischer Assistenzärzte weitet sich aus

Warschau – Der seit mehr als drei Wochen dauernde Hungerstreik polnischer Assistenzärzte weitet sich aus. Gegen schlechte Arbeitsbedingungen in Polens Gesundheitssystem werde inzwischen unter anderem an Klinken in Warschau, Krakau, Lodz, Stettin, Breslau und Danzig protestiert, teilte die Vereinigung der Nachwuchsärzte mit, die den Hungerstreik, organisiert.
Um Solidarität mit den Assistenzärzten zu bekunden, riefen Kollegen der südöstlichen Wojewodschaft Kleinpolen für heute zur Protestaktion „Tag ohne Arzt“ auf. Ihren Dienst wollten sie auf Notfälle beschränken.
Der Hungerstreik, der am 2. Oktober an der Warschauer Uni-Kinderklinik begann, wird vom Verband medizinischer Berufe (PZM) und Polens Ärztekammer (NIL) unterstützt. „Ein überarbeiteter Arzt ist wie gar kein Arzt“, schrieb der NIL-Vorsitzende Maciej Hamankiewicz in einem Brief an die hungernden Ärzte. Gestern hatten sich Marburger Bund (MB) und Weltärztebund (WMA) solidarisch mit den polnischen Kollegen gezeigt.

Die Protestler, die bei ihrem Streik rotieren, mahnen an, dass bereits mehrere ihrer Kollegen in diesem Jahr wegen Überarbeitung gestorben seien. „Es gibt zu wenig Personal, zu wenig Geld und Unmengen an Bürokratie“, klagt der angehende Chirurg Marcin Radoch. Er hat aus Protest seit fünf Tagen nichts gegessen. Marcin ist an bis zu 18 Tagen im Monat 24 Stunden am Stück im Dienst und operiert. „Die Gehälter sind so niedrig, dass wir so viel arbeiten müssen, um davon leben zu können“, sagt der Pole, der als Assistenzarzt im zweiten Jahr umgerechnet 520 Euro netto verdient. Davon könne er in Warschau schon als Alleinstehender kaum leben. Kollegen, die Kinder zu versorgen hätten, hätten es noch schwerer.
„Die Arbeit strengt geistig und körperlich an, außerdem hat man während der Nachtdienste kaum Schlaf“, sagte Marcin. Landesweit erschienen Ärzte bereits erschöpft zur nächsten Schicht. Junge Mediziner klagten gegenüber polnischen Medien sogar, ihr Zustand sei zuweilen schlechter als der ihrer Patienten.
Forderungen an die Regierung
Die Ärzte fordern Polens Regierende auf, die unter dem Durchschnittslohn liegenden Assistenzarzt-Gehälter anzuheben. Am meisten dränge aber die Aufstockung der Ausgaben für das Gesundheitssystem. Diese müssten binnen drei Jahren statt bisher 4,7 Prozent 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, fordern die Mediziner. „Das ist in anderen EU-Ländern der Mindestdurchschnitt“, sagt Marcin.
Er betonte, die Ärzte kämpften „nicht nur für uns, sondern vor allem für die Patienten“. Diese seien die wahren Leidtragenden. „Es ist nicht normal, dass Kranke nicht richtig versorgt werden können, weil es nicht genug Ärzte und Krankenschwestern gibt, die sich um sie kümmern können“, sagte er.
Den Assistzenärzten zufolge kommen in Polen auf 1.000 Einwohner im Schnitt 24,6 medizinische Angestellte – darunter Ärzte und Krankenschwestern – eine der EU-weit niedrigsten Quoten. In Deutschland liege die Zahl vergleichsweise bei 61,2, heißt es.
Fehlendes Geld und Personal würden in polnischen Kliniken oft zu langen Wartezeiten führen. Auf eine Grauer-Star- oder Leistenbruch-OP warte man etwa eineinhalb Jahre oder mehr, sagte Marcin, der den Frust der Patienten täglich zu spüren bekommt. „Sie beschweren sich, dass alles so lange dauert, dass wir keine Zeit für sie haben und es keine Krankenschwestern gibt“. Und sie hätten Recht, meint er. Seine Patienten würdigen den Hungerprotest. Der Hungerstreik sei der einzige Weg, um auf sich aufmerksam zu machen, sagte Marcin. Die eigene Gesundheit setzen die jungen Ärzte, die regelmäßig untersucht und ausgewechselt werden, nicht aufs Spiel.
Den erhofften Erfolg brachte ihre Aktion bislang nicht. Die Regierung bot lediglich Gespräche an. Solche führen wir seit Jahren, sagte Marcin. „Wir wollen konkrete Vorschläge.“ Doch nach Angaben des polnischen Gesundheitsministers Konstanty Radziwill können die Mittel erst bis 2025 aufgestockt werden. Fürs kommende Jahr ist stattdessen eine Kürzung der Gesundheitsausgaben geplant.
Die Situation droht sich laut Ärzteverband angesichts steigender Behandlungszahlen durch die alternde Bevölkerung sowie der Abwanderung polnischer Ärzte nach Deutschland oder Skandinavien weiter zuzuspitzen. Das System stehe vor dem Zusammenbruch, warnte Marcin.
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