Vermischtes

In Deutschland fehlen Strukturen für verlässliche Betreuung von Pflegebedürftigen in der Familie

  • Donnerstag, 28. Februar 2019
/thodonal, stock.adobe.com
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Mainz – Der Staat lässt Familien allein, die Pflegebedürftige betreuen und diese nicht an eine stationäre Einrichtung vermitteln wollen. Die Familien suchen daher zunehmend nach Auswegen und greifen dabei auf Pflegemitarbeiterinnen aus dem Ausland zurück. Das berichten Wissenschaftler um Cornelia Schweppe vom Institut für Erziehungswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Sie hat das dreijährige Forschungsprojekt „Entwicklung und Bedeutung transnationaler Altenpflegearrangements“ mitbetreut, das von der Arbeitsgruppe Sozialpädagogik der JGU im Verbund mit der Universität Nijmegen in den Niederlanden durchgeführt wurde. Finanziert wurde es aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Netherlands Organisation for Scientific Research.

Mittlerweile werben rund 250 Vermittlungsagenturen damit, für Familien mit Pflege­fällen Pflegemitarbeiterinnen aus dem Ausland anzuwerben. „Uns hat überrascht, wie stark verbreitet diese Pflegearrangements mit migrantischen Arbeiterinnen mittlerweile sind“, sagte Schweppe. Kamen diese migrantischen Pflegearbeiterinnen bisher vorwiegend aus Polen, so reisten jetzt zunehmend Frauen aus anderen osteuropäischen Ländern wie Rumänien oder der Slowakei an. Sie wohnten mit den Familien unter einem Dach und kümmerten sich um die Pflegbedürftigen und teilweise auch um den Haushalt. 

Laut Schweppe erfolgt der allergrößte Teil dieser Anstellungen informell, das heißt es bestehe kein reguläres Arbeitsverhältnis, die Arbeitszeiten seien zu hoch und der Lohn niedrig. „Im Grunde weiß dies jeder, aber es wird nicht interveniert, denn schließlich scheinen diese Arrangements auf den ersten Blick im Interesse aller Beteiligten zu sein: Die Familien haben eine Lösung gefunden, die migrantischen Pflegekräfte eine im Vergleich zu ihren Herkunftsländern besser bezahlte Tätigkeit und der Staat kann am bisherigen Pflegesystem festhalten, statt unpopuläre, weil teure Reformen durchzuführen“, so die Wissenschaftlerin.

Wie die Untersuchung zeigt, spielt es für die Familienangehörigen zunächst kaum eine Rolle, dass die migrantischen Pflegearbeiterinnen in der Regel über keine entsprechende Ausbildung verfügen. Wichtig sei vielmehr die zwischenmenschliche Ebene. „Die Chemie muss stimmen“, sagte Schweppe zu dem Befund, der auf Interviews mit Familienangehörigen und Migrantinnen basiert.

Die Erziehungswissenschaftler haben nicht nur festgestellt, dass diese Art von Pflege­arrangements stark zugenommen hat, sondern auch, dass es die unterschiedlichsten Konstrukte gibt: Bei dem klassischen Modell pendeln die Pflegekräfte alle drei Monate nach Hause im Wechsel mit einer zweiten Kraft, bei Schwerstpflegebedürftigen sind Familienmitglieder weiterhin stark in der Pflege involviert, in anderen Fällen werden ortsfremde Familienangehörige im Wechsel mit den ausländischen Hilfen einquartiert oder es werden zwei migrantische Pflegearbeiterinnen gleichzeitig beschäftigt. „Das Modell wird außerordentlich flexibel genutzt, sodass es allen möglichen Bedürfnissen gerecht wird“, erläutert Vincent Horn aus dem Forschungsteam. 

Er betont, dass es sich bei diesem System der Altenpflege in Deutschland um ein Flickwerk handelt, das vor allem die Familien in die Verantwortung nimmt – und sie mit irregulären Pflegearrangements alleine lässt. 

Ein Blick über die Grenzen könnte laut der Forschungsgruppe zeigen, dass es auch anders geht. Österreich habe zum Beispiel 2007 eine qualitätsgesicherte 24-Stunden-Betreuung auf eine legale Basis gestellt. Die Niederlande hätten bereits vor Jahrzehnten entschieden, einen professionellen öffentlichen Pflegesektor zu schaffen und gleichzeitig die Familien aus der Verantwortung zu nehmen. „Die Niederlande verfügen heute über ein sehr gutes Netz ambulanter Dienste und anderer Hilfen im Haushalt“, beschreibt Horn die Situation im Nachbarland. Mit der finanziellen Ausstattung und den bisherigen Regulierungen der sozialen Pflegeversicherung in Deutschland sei dies allerdings nicht zu machen.

hil

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