Politik

Kampf gegen den Fachkräftemangel: Steuervorteile und Anreize zum länger Arbeiten

  • Montag, 8. Juli 2024
/picture alliance, Westend61, Javier De La Torre
/picture alliance, Westend61, Javier De La Torre

Berlin – Die Bundesregierung will mit einer Wachstumsinitiative den Fachkräftemangel bekämpfen. Vorge­sehen sind zum Beispiel Anreize für ältere Arbeitskräfte, länger zu arbeiten, steuerfreie Überstunden und auch Steuerbegünstigungen für ausländische Fachkräfte.

Auf die Wachstumsinitiative hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Chris­tian Lindner (FDP) bei ihren Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2025 am vergangenen Freitag geeinigt.

Zu den Plänen gehört im Detail unter anderem, dass die Koalition Mehrarbeit honorieren und Flexibilität ermöglichen will. Damit sich Mehrarbeit auszahlt, sollen zum Beispiel Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich ver­einbarte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuer- und beitragsfrei gestellt. Als Vollzeitarbeit soll für tarifliche Rege­lungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten.

Schaffen will die Bundesregierung einen neuen steuerlichen Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teil­zeitbeschäftigten: Wenn Arbeitgeber eine Prämie für die Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, will die Bundes­regierung diese Prämie steuerlich begünstigen. Missbrauch soll ausgeschlossen werden.

In den vergangenen Jahren blieb aus Sicht der Koalition zudem „ein immenses Potenzial des Arbeitsmark­tes auch aufgrund des erhöhten Krankenstandes der Arbeitnehmenden ungenutzt“. „Die Bundesregierung wird die während der Coronapandemie geltenden Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung durch Arztpraxen überprüfen und gegebenfalls im Rahmen einer möglichst bürokratiearmen Lösung anpassen“, heißt es in dem Papier von SPD, Grünen und FDP.

Ein Baustein, um mehr Fachkräfte zu erhalten, ist nach Ansicht der Regierung, ältere Menschen länger im Job zu halten. Daher sollen die Anreize für die Erwerbstätigkeit von Personen nach Erreichen der Regelalters­grenze weiter erhöht werden. Dafür soll etwa der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung gestrichen und an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Das soll auch für Beiträge zur Rentenversicherung gelten.

Bei Weiterarbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze soll eine „neue Option für die Vergütung zusätzlicher Arbeitsjahre im Rentenalter“ geschaffen werden. Neben der Möglichkeit, monatliche Zuschläge auf die künfti­ge Rente für das Aufschieben des Renteneintritts zu bekommen, sollten sich Arbeitnehmer auch für eine Rentenaufschubprämie entscheiden können, heißt es.

„Dabei erhält der Arbeitnehmer eine Einmalzahlung in Höhe der entgangenen Rentenzahlung. Darüber hinaus erhält der Arbeitnehmer auch den seitens der Rentenversicherung eingesparten Beitrag zur Krankenversiche­rung. Diese Rentenaufschubprämie soll zudem abgabenfrei sein.“

Neue Angebote soll es für Fachkräfte aus dem Ausland geben. Dabei soll die Einwanderung vereinfacht und beschleunigt werden. Darüber hinaus ist angedacht, die Arbeitsaufnahme in Deutschland steuerlich zu begünstigen.

Vorgesehen ist in der Einigung von SPD, Grünen und FDP unter anderem, dass „neu zugewanderte Fachkräfte in den ersten drei Jahren 30, 20 und zehn Prozent vom Bruttolohn steuerfrei stellen“ können. Für diese Frei­stellung soll eine Unter- und Obergrenze für den Bruttolohn definiert werden. Nach fünf Jahren soll die Wirkung dieser Maßnahme untersucht werden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verteidigte heute geplante Steueranreize für ausländische Fach­kräfte auch mit Blick auf die internationale Konkurrenzsituation. Mit der Maßnahme könne man eine „große Fachkräftelücke“ schließen, sagte der Grünen-Politiker zu Beginn seiner Sommerreise in Stuttgart. „Wir sehen, dass andere europäische Länder solche Steuervergünstigungen für Fachkräfte gewähren, wenn sie in das Land kommen“, betonte Habeck.

Bei Firmenbesuchen sei ihm berichtet worden, dass Fachkräfte wegen der besseren steuerlichen Bedingungen lieber in andere Länder, etwa nach Skandinavien, gingen. „Das mal zu probieren, die Leute dadurch nach Deutschland zu holen, ist den Versuch wert. Und das ist am Ende ja auch gut für die Betriebe“, sagte er.

Auf die Frage, ob deutsche Arbeitskräfte so nicht diskriminiert würden, entgegnete Habeck nun, der Steuerra­batt sei nur eine von vielen Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel: „Das Papier, das wir verabschiedet haben, hat sehr viele verschiedene Bestandteile: Eine bessere Vergütung, wenn man über die gesetzliche Ren­teneintrittszeit hinaus weiterarbeitet. Und die Leute, die im Arbeitslosengeld sind, werden motiviert, nochmal mehr zu tun.“

Die Gewerkschaften hatten die arbeitspolitischen Maßnahmen kritisiert. Zur Mobilisierung von Fachkräften hätte es klarere Signale für mehr Kinderbetreuung und Pflege bedurft, sagte Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die steuerliche Besserstellung für Mehrarbeit und ausländische Fachkräfte berge außerdem gesellschaftlichen Zündstoff.

Die Regierung sieht in ihren Plänen auch eine Stärkung der pharmazeutischen Industrie vor. Der Bundesver­band Medizintechnologie (BVMed) fühlt sich übergangen. Er sieht in der von der Bundesregierung vorgestell­ten Wachstumsinitiative zwar gute Ansätze für Innovationen und Investitionen, bemängelt aber fehlende Maßnahmen und Anreize für die Medizintechnikbranche.

„Die Bundesregierung hat damit eine Zukunftsbranche vergessen. Deutschland ist auch das Land der Medizin­technologien. Noch“, sagte BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Marc-Pierre Möll. Allein in Deutsch­land habe die Medizintechnik mehr als 265.000 Beschäftigte und bietet 13.000 Ausbildungsplätze. 93 Prozent der MedTech-Unternehmen sind KMU. 68 Prozent des Umsatzes von über 40 Milliarden Euro gehen in den Export. Deutschland ist aktuell der zweitgrößte Medizintechnik-Standort der Welt nach den USA, vor Japan und China.

may/dpa

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