KBV plädiert nach erfolgten Coronaimpfangeboten an alle für Stopp der Einschränkungen

Berlin – Sobald alle Erwachsenen in Deutschland ein Coronaimpfangebot erhalten haben, sollten die Einschränkungsmaßnahmen zurückgefahren werden. Dafür plädierte heute Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Er appellierte in diesem Zusammenhang an alle Bürger, sich gegen das SARS-CoV-2-Virus impfen zu lassen. Angesichts des so erreichbaren individuellen Schutzes vor schweren Krankheitsverläufen, sei eine Impfung „klug, wichtig und richtig“.
Zielsetzungen in Richtung einer Herdenimmunität durch Coronaimpfungen hinterfragte Gassen skeptisch. Laut einer kürzlich vorgestellten Modellierung des Robert-Koch-Instituts (RKI) sollen im Kampf gegen die Delta-Variante mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Senioren ab 60 Jahren vollständig geimpft sein. Der KBV-Chef bezeichnete diese Clusterung als „zu grob“. Vor allem in der Altersgruppe der 12-bis 59-Jährigen bestünden „massive“ Risikounterschiede im Falle einer Coronainfektion.
Zudem gehe laut Gassen das Konzept der Herdenimmunität grundsätzlich „nicht auf“. Wie das Beispiel Israel – dort sind bereits über 60 Prozent vollständig geimpft – zeige, schützten die Impfstoffe nicht im gleichen Maße vor einer Infektion und weiteren Übertragung wie vor schweren Verläufen. Selbst bei einer Impfquote von 100 Prozent sei deshalb kein vollständiger Schutz vor einer Weitergabe des Virus' möglich.
Dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KBV, Stephan Hofmeister, zufolge könne man bis September allen Berechtigten ein Impfangebot unterbreiten. Dann müssten die Einschränkungen fallen: Erstens sei eine Ausrottung des SARS-CoV-2-Virus nicht zu erreichen und zweitens drohe keine Überlastung des Gesundheitssystems.
Man nähere sich bereits dem Punkt, an welchem die Mehrheit der Erwachsenen gegen Corona geimpft sein wird, so Gassen. Irgendwann müsse die Entscheidung zur Absicherung gegen bestehende Risiken wieder eine individuelle werden.
Das Coronavirus werde trotz wirkender Impfungen, auch aufgrund des Variantenreichtums, nicht verschwinden. Zwar habe insbesondere die Delta-Variante in anderen Ländern bereits zu erneuten Inzidenzanstiegen geführt – bislang seien aber keine vermehrten schweren Verläufe und Hospitalisierungen zu verzeichnen. Dies zeige, so Gassen, dass man künftig Daten über die bloße Inzidenz hinaus benötige, um die Coronapandemie und die Gegenmaßnahmen zu bewerten. Dies sei auch vom RKI bereits erkannt worden.
Eine weitere „Herausforderung“ stellt laut KBV die Aufgabe dar, impfunentschiedene oder auch impfskeptische Noch-nicht-Geimpfte gezielt anzusprechen, zu informieren und aufzuklären. Hofmeister betonte, dies sei ein Hauptfaktor für das Erreichen einer möglichst hohen Impfquote.
Sprachlich, kulturell sowie sozial passende Informationsangebote gewichte er in der Bedeutung für die Impfkampagne höher als „kreative Ideen“ zum Impfen in speziellen Settings. Die KBV geht davon aus, dass etwa 14 Millionen der Erwachsenen eher impfskeptisch sind.
Die KBV-Vorstände vermuten, dass in den Praxen derzeit mehr als eine Million unverimpfte Astrazeneca-Dosen in den Kühlschränken liegen. Oftmals haben diese nur eine Haltbarkeit bis Ende August. Da der Impfstoff kaum noch angewendet wird – dieser sei „kaum noch zu vermitteln“, wie Hofmeister erklärte – fordert die KBV zügige Gespräche, wie damit umgegangen werden soll.
Über eine Rücknahme durch den Großhandel werde bereits gesprochen, allerdings sei man in den Gesprächen noch nicht so weit. In den Praxen werde weiterhin hauptsächlich Biontech geimpft, der Impfstoff von Moderna komme im August in die Praxen.
Für die Zukunft forderte die KBV auch die Industrie auf, den Impfstoff auch als Einzelimpfungen anzubieten. Wenn weniger Menschen geimpft werden müssen, dann werde die Organisation in den Praxen schwieriger, wenn nur Vials mit fünf bis sieben Dosen zur Verfügung stünden, hieß es.
Im Zusammenhang mit den fortschreitenden Impfungen stellte die KBV zudem die Fortfinanzierung der Bürgertests in Frage. Diesen würden „gigantische Kosten“ verursachen, so Gassen, und seien in Niedriginzidenzphasen ohnehin wenig sinnvoll. Sobald allen ein Impfangebot unterbreitet werden konnte, stelle sich grundsätzlich die Frage, ob man das „Freitesten als Sonderweg“ für eine dann eher kleine verbleibende Gruppe Ungeimpfter dauerhaft finanzieren wolle.
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