Politik

Kinder stärker in ärztliche Entscheidungen einbeziehen

  • Mittwoch, 3. Dezember 2025
/JenkoAtaman, stock.adobe.com
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Berlin – Eine große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen fühlte sich beim letzten Kinderarztbesuch zwar ernstgenommen. Mehr als die Hälfte würde sich jedoch mehr Mitspracherecht bei Entscheidungen wünschen. Dies geht aus einer gestern veröffentlichten forsa-Umfrage im Auftrag der Stiftung Kindergesundheit hervor.

Der Umfrage zufolge fehlen rund jedem dritten Kind zwischen acht und 17 Jahren Erklärungen der Kinderärztin oder des Kinderarztes, warum etwas untersucht wird oder warum eine bestimmte Behandlung notwendig ist. Mehr als die Hälfte der Kinder gab an, eher viel oder sehr viel beim Arztbesuch mitgenommen zu werden. Dabei gilt: Je älter das Kind, desto besser konnte es folgen.

„Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei der medizinischen Versorgung deutlich verbessert werden könnte und das hätte aus unserer Sicht wichtige, positive Auswirkungen“, sagte Berthold Koletzko, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, im Rahmen der Ergebnisvorstellung.

Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) fordert die Stiftung Kindergesundheit, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Gesundheitssystem stärker umzusetzen und an der EACH-Charta für eine kindgerechte Gesundheitsversorgung zu orientieren. Die Charta der European Association for Children in Hospital steht unter anderem für kindgerechte Information und die Beteiligung an Entscheidungen.

„Es ist nicht nur das Recht auf die aktive Einbindung, sondern auch die Stärkung des Vertrauens in das Gesundheitswesen, in die Versorgung, in die vorgenommenen Maßnahmen“, so Koletzko. Mit einer besseren Beteiligung und einem besseren Verständnis der Kinder könne die Adhärenz mit den Maßnahmen deutlich verbessert und der Therapieerfolg sowie die Kosteneffizienz gesteigert werden, betonte der Kinder- und Jugendmediziner.

Die Befragung ist im diesjährigen Kindergesundheitsbericht 2025 veröffentlicht. Der Bericht zeigt auch in diesem Jahr, wie angespannt die Versorgungsrealität für Kinder und Jugendliche in vielen Regionen ist.

Es hakt demnach an vielen Stellen: Zu wenig Fachpersonal, zunehmende Engpässe in der stationären und ambulanten Versorgung, zu wenig finanzielle Mittel und Versorgungslücken bei Medikamenten und Medizinprodukten sind nur einige Probleme, die von Wissenschaftlern und Experten im Bericht aufgezeigt werden. Kritisiert werden vor allem politische Entscheidungen.

„Kinder und Jugendliche müssen in politischen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozessen, wie etwa der Krankenhausreform, den Stellenwert erhalten, der ihrer Bedeutung in unserer Gesellschaft entspricht“, betonte Burkhard Rodeck, Generalsekretär der DGKJ. Was immer wieder auffalle, sei, dass politische Entscheidungen häufig nicht zugunsten von Kindern und Jugendlichen ausfielen.

Der Stiftung Kindergesundheit zufolge ist es wichtig, dass die spezifischen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden und der Ausbau pädiatrischer Fachbereiche, eine bedarfsorientierte, kostendeckende und sektorübergreifende Finanzierung und Personalbemessung sichergestellt sind.

Die Stiftung tritt für eine Stärkung der Aus- und Weiterbildung in der Kinder- und Jugendmedizin ein und fordert echte Wahlmöglichkeiten für den Abschluss in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege.

In der pädiatrischen Pflege gebe es eine „extrem angespannte Personalsituation“, sagte Koletzko. Nach der Entscheidung, eine generalisierte Pflegeausbildung einzuführen, habe es in der Ausbildung Kinderkrankenpflege einen drastischen Einbruch gegeben.

Vor der Bundestagswahl hätten einige Politiker versprochen, an dieser Stelle eine Korrektur im Pflegeberufegesetz vorzunehmen. „Wir haben sie noch nicht gesehen und hoffen sehr, dass sich da etwas tut“, so Koletzko weiter. „Das ist wirklich ein Engpass, der die Versorgung unserer Kinder ganz, ganz ernsthaft gefährdet. Ohne qualifizierte Kinderkrankenpflege können wir eine gute Kinderversorgung nicht aufrechterhalten.“

Georg Kippels (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, stimmte zu, dass sich die Umstellung in der Praxis nicht bewährt habe und nachgebessert werden müsse. „Wir sind nicht belehrungsresistent“, machte er deutlich.

Notfallversorgung und Arzneimittellieferengpässe

Weitere Handlungsempfehlungen gibt die Stiftung Kindergesundheit in ihrem neuen Bericht auch hinsichtlich der Notfallversorgung. Zur Vermeidung von Versorgungsengpässen in der Intensiv- und Notfallmedizin für Kinder und Jugendliche sind demnach eine flächendeckende Implementierung integrierter Notfallzentren für Kinder (KINZ) und telemedizinische Lösungen notwendig. Sie müssten in die Regelversorgung und bestehende Vergütungssysteme eingeordnet werden.

Im Bericht werden zudem die seit Jahren zunehmenden Arzneimittellieferengpässe beklagt. Koletzko machte darauf aufmerksam, dass 70 bis 80 Prozent der Wirkstoffe in China und Indien hergestellt würden und nur 25 Prozent der Generikawirkstoffe in Europa. Die Zulassung neuer Kinderarzneimittel nehme viel Zeit in Anspruch, wobei Innovationen in dem Bereich ohnehin kaum gefördert würden.

Es brauche deshalb wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen, die es Arzneimittelherstellern ermöglichten, die Entwicklung, klinische Prüfung und Produktion wieder nach Europa zu verlagern, heißt es in den Handlungsempfehlungen.

Auch hinsichtlich der Medizinprodukte seien „Kinder die Leidtragenden“, sagte Koletzko. Viele Produkte verschwänden plötzlich vom Markt, da die Produktion geringer Mengen zu kostenaufwendig sei. Die Medizingeräteverordnung hat demnach zu schwerwiegenden Versorgungsengpässen in der Kinder- und Jugendmedizin und verzögerten Behandlungen beigetragen und teils riskante Off-Label-Nutzungen nach sich gezogen.

Nationale Sonderzulassungen, beschleunigte Verfahren und geringe Zulassungskosten für Produkte mit niedriger Stückzahl müssten dazu beitragen, dass die Medizinprodukte in der Kinder- und Jugendmedizin verfügbar blieben, so die Empfehlung.

Weitere Themen im Kindergesundheitsbericht sind die Steigerung der Gesundheitskompetenz, eine stärkere Gewichtung psychosozialer Aspekte in der Jugendgesundheitsuntersuchung und flexibilisierte, innovative Versorgungskonzepte zur Behandlung von Kindern mit psychischen Erkrankungen.

Gefordert werden außerdem Transitionskoordinationsteams, um den Übergang von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin besser zu gestalten und insbesondere Kinder mit chronischen Erkrankungen in dieser Zeit zu begleiten.

Im Bericht wird zudem für gesundheitliche Chancengleichheit, die Einführung von Gesundheitslotsen und verbesserte Teilhabechancen für chronisch kranke Kinder und Jugendliche plädiert.

Der Kindergesundheitsbericht wurde in diesem Jahr zum vierten Mal herausgegeben. Er ist in einer Kooperation der Stiftung Kindergesundheit mit der DGKJ entstanden.

nfs

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