Kinder- und Jugendmedizin: Leistungsgruppen 16 und 47 sollen wieder aufgenommen werden

Berlin – Die Koalitionspartner arbeiten derzeit mit Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) daran, die Leistungsgruppen für spezielle Kinder- und Jugendmedizin (LG 47) sowie für spezielle Kinder- und Jugendchirurgie (LG 16) wieder gesetzlich zu berücksichtigen.
Dies sagte Serdar Yüksel, Berichterstatter für Kindergesundheit der SPD-Bundestagsfraktion, gestern bei einer Diskussionsveranstaltung des Tagesspiegels zur Zukunft der Kindergesundheitsversorgung mit dem Schwerpunkt Seltene Erkrankungen.
„Wir haben insbesondere in der spezialisierten Kinder- und Jugendmedizin durch die Reformen, die angestoßen worden sind, ziemlich große Unwuchten in der Versorgungssicherheit“, sagte Yüksel. In bestimmten Bereichen, wie in der Kinderneurologie, -pneumologie und -chirurgie, sei es zu massiven Verschlechterungen gekommen.
Die Beratungen mit der Ministerin seien zwar von der Sorge begleitet, dass auch andere Fachbereiche wieder als eigene Leistungsgruppe aufgenommen werden wollen. Aus Yüksels Sicht besteht allerdings eine fachlich gut fundierte und validierte Entscheidungsgrundlage, warum die Leistungsbereiche 47 und 16 aufgenommen werden sollten und nicht hinten herunterfallen dürften. Man wolle man weiterkämpfen und die Barrikaden nicht so leicht verlassen, betonte Yüksel. „Wir dürfen die Kinder- und Jugendmedizin nicht weiter schleifen lassen.“
Dem stimmte Johannes Wagner, Berichterstatter für Kindergesundheit der Grünen-Bundestagsfraktion, zu. Mit der Ampelkoalition habe man in den vergangenen Jahren zwar das ein oder andere Projekt im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin hinbekommen, etwa mit den Zuschlägen im stationären Bereich und mit der Entbudgetierung. Man sei aber nicht da angekommen, wo man hätte ankommen müssen.
Dies gelte besonders für den Bereich der Seltenen Erkrankungen. Wichtig sei der Ausbau spezialisierter Zentren, um die Forschung zu intensivieren und Betroffenen eine schnellere Diagnosestellung sowie eine gute Anbindung und Versorgung ermöglichen zu können.
Wagner zufolge ist es wichtig, dass auch in der Fläche betroffene Kinder die Zentren erreichen können und ihnen die spezialisierte Versorgung zugutekommt. Berücksichtigt werden müsse zudem die soziale Determinante. Auch sozial schwächer gestellte Familien müssten die Möglichkeit haben, die Zentren mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erreichen.
Netzwerke für Seltene Erkrankungen
„In den letzten Jahren ist schon vieles entstanden, was sehr positiv ist“, schloss sich Peter Kühnen, Direktor der Klinik für pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie und des Zentrums für Seltene Erkrankungen an der Charité in Berlin, an.
Er machte ebenfalls auf die Bedeutung spezialisierter Zentren aufmerksam. Es sei wichtig, dass es für bestimmte Seltene Erkrankungen Experten gebe, die dann auch im Kontakt mit den betreuenden (Kinder-) Ärzten stünden.
Zudem brauche es Netzwerke auf nationaler, europäischer, aber auch internationaler Ebene, um Seltene Erkrankungen weiter erforschen zu können. Da bei Seltenen Erkrankungen verschiedene Organe betroffen sein könnten, sei der Austausch zwischen einzelnen Fachrichtungen wichtig. „Es braucht eine Plattform, auf der der interdisziplinäre Austausch möglich ist“, so Kühnen.
Von elementarer Bedeutung sind dem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin zufolge auch Datenregister. Im Austausch von Daten könne man über bestimmte Erkrankungen lernen und mit entsprechenden Therapien reagieren. „Am Ende ist es ein enormer Benefit, wenn man weiß, wie der Verlauf von bestimmten Erkrankungen ist, welche Therapie hilft und welche nicht und welche Nebenwirkungen beobachtet werden“, sagte er.
Ulrike Poller aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) verwies zunächst auf die Verbesserungen im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin, die durch die Anstrengungen des BMG bereits erfolgt sind. Im pädiatrischen ambulanten Versorgungsbereich seien die Leistungen seit April 2023 nicht mehr mengenbegrenzt, Kinderkliniken und pädiatrische Fachabteilungen seien 2023 und 2024 mit Erlösgarantien stabilisiert und mit zusätzlichen Mitteln gefördert worden. Das KHVVG habe zur Verstetigung einer zusätzlichen Förderung der stationären Versorgung von Kindern und Jugendlichen beigetragen.
Poller zufolge ist es vor allem für Kinder wichtig, dass sie im Krankheitsfall wohnortnah versorgt werden können. Dies sei in einigen Regionen schwieriger als in anderen. Es sei daher wichtig, den Bedarf frühzeitig zu ermitteln und darauf einzugehen.
Im Bereich der Weiterbildung würden die pädiatrischen Fächer von den Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen ihres eigenen Sicherstellungsauftrages bereits gefördert. „Das BMG prüft derzeit, wie die Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Erfüllung ihres Sicherstellungsauftrags unterstützt werden können“, sagte sie.
Schwierigkeiten bestehen Poller zufolge noch bei den Kinderarzneimitteln und dem Offlabel-Use, denen nun aber auf europäischer Ebene mit den Überarbeitungen im EU-Pharmapaket begegnet werde. Ziel sei es, die Forschung und Entwicklung innovativer Arzneimittel sowie die Zulassung von Kinderarzneimitteln zu fördern.
Schließlich spiele auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle in der Kindergesundheitsversorgung der Zukunft. Als zentraler Ort für Gesundheitsdaten könne die elektronische Patientenakte für chronisch kranke Kinder und Jugendliche Vorteile mit sich bringen.
Der Mehrwert der Digitalisierung sollte Poller zufolge auch zur Weiterentwicklung der Vorsorge genutzt werden: Mit einer digitalen Einladung zu Früherkennungsuntersuchungen könne man sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche entsprechende Behandlungsangebote auch rechtzeitig wahrnehmen. „Es wurde vieles auf den Weg gebracht, aber es ist noch Luft nach oben“, sagte Poller.
Das sah auch Nicole Heider, Pflegewissenschaftlerin und Beraterin bei der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), die Betroffene, Angehörige und Ärzte bei seltenen Erkrankungen unterstützt, so.
Sie sprach weitere Problematiken wie die Hilfsmittelversorgung, die pädiatrisch-pflegerische Versorgung und die geringer werdende Anzahl an Kinderkrankenpflegekräften und Rehabilitationsmöglichkeiten für betroffene Kinder und Jugendliche an. Auch in Hinblick auf die Beschulung von Kindern mit seltenen Erkrankungen bestehe noch viel Nachholbedarf.
„Einige Familien kommen sich vor wie Bittsteller im Sozial- und Gesundheitssystem“, sagte Heider. Sie hätten ihr krankes Kind zu versorgen und könnten sich nebenbei nicht noch sämtliche Sozialgesetze aneignen, um Anträge durchzubekommen oder laufend Widersprüche zu schreiben. „Die Entscheider eignen sich kein Wissen dazu an, was es für die Eltern bedeutet, ein krankes Kind zu versorgen“, sagte sie.
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