Medizin

Kinder und Jugendliche in der Pandemie vor klinischen und sozialen Folgen schützen

  • Dienstag, 22. Februar 2022

Berlin – Risiken für Kinder und Jugendliche können in der SARS-CoV-2-Pandemie von der Infektion selber ausgehen. Aber auch Maßnahmen wie Lockdowns und Quarantäne stellen eine Gefahr für sie dar.

Ein Tweet der CDU-Politikerin Karen Prien, Vorsitzende der Kultusministerkonferenz und Bildungs­ministerin in Schleswig-Holstein, zu den Risiken von SARS-CoV-2-Infektionen bei Kindern und Jugend­lichen hatte vergangene Woche für viel Diskussion und Unmut gesorgt.

Prien hatte in ihrem Tweet geschrieben „Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID-19 und nur extrem selten wegen COVID-19."

Dazu die blanken Zahlen: Laut dem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 17.02.2022 sind in Deutschland seit Beginn der Pandemie 50 unter 20-Jährige an COVID-19 verstorben. Darunter war von 35 Patienten bekannt, dass sie eine Vorerkrankung hatten.

Das RKI überprüft und validiert die Todesfälle in dieser Altersgruppe einzeln. Es weist darauf hin, dass es bei den Angaben noch zu Veränderungen kommen kann. Insgesamt wurden dem RKI bis zum 16.02.2022 65 Todesfälle im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion gemeldet.

Häufig milder oder asymptomatischer Verlauf, aber Risiken bestehen

Die gute Nachricht ist, dass SARS-CoV-2-Infektionen bei Kindern meist mild oder asymptomatisch ver­lau­fen. Das bestätigt Daniel Vilser, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Jenas.

Dennoch weist er darauf hin, dass laut einer großen europäischen Studie, publiziert in Pediatrics (2021, DOI: 10.1542/peds.2020-042929), Komplikationen wie Hypoxämie, Pneumonie oder stationäre Aufnah­men bei Kindern und Jugendlichen mit COVID-19 häufiger auftraten als bei Influenza. Eine gestern in JAMA Pediatrics publizierte Querschnittsstudie mit mehr als 2.000 Kindern kommt zudem zu dem Schluss, dass das Multisystemische Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C) als Folge einer Infektion mit SARS-CoV-2 bei Kindern bis elf Jahren möglicherweise häufiger vorkommt als bisher angenommen. Darüber hinaus wurden weitere COVID-19-Komplikationen bei Kindern im Alter von 5 bis 11 Jahren untersucht. Das Deutsche Ärzteblatt hat über die Studie berichtet.

Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf sieht Jakob Armann von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und Funktionsoberarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugend­medizin der Universität Dresden vor allem bei Kindern mit Vorerkrankungen.

In einer Studie mit Armann als Letztautor, die zunächst als Preprint auf medrxiv (2021, DOI: 10.1101/2021.11.30.21267048) veröffentlicht wurde, konnten die Autoren um Armann feststellen, dass das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf vor allem bei Kindern ohne Vorerkrankungen im Alter zwischen 5 und 11 Jahren gering war. In dieser Altersgruppe wurden etwa 0,2 pro 10.000 Kinder auf die Intensivstation aufgenommen.

Für die untersuchte Gruppe insgesamt, das heißt. für etwa 13,7 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland unter 18 Jahren, betrug das Risiko 1,7 pro 10.000, es verstarben 0,09 pro 10.000.

In einer Stellungnahme, unterzeichnet von Vertretern verschiedener Institutionen aus somatischer und psychosomatischer Wissenschaft und Ethik, betonen die Autoren, dass für Kinder eine nennenswerte Krankheitslast bestehe. Auch wenn schwere Verläufe seltener als bei Erwachsenen vorkämen.

So steige mit Ausbreitung der Omikron-Variante die Zahl der Krankenhausaufenthalte von Kindern an, darauf würden aktuelle Daten aus den USA und dem Vereinigten Königreich hinweisen. Zudem seien schwerwiegende Langzeitfolgen nicht sicher auszuschließen, warnen die Autoren.

Risiko PIMS mit schweren entzündliche Veränderungen

Bei Kindern und Jugendlichen kann es zudem zu einem PIMS (pediatric inflammatory multisystem syn­drome) kommen. Laut DGPI, die im Rahmen des PIMS-Survey Daten zu dem Syndrom sammelt, handelt es sich dabei um schwere entzündliche Krankheitsbilder. Zwar fehlt bislang der Nachweis, dass SARS-CoV-2-Infektion und PIMS kausal zusammenhängen. Aber Faktoren wie zeitliche Assoziation und ein positiver SARS-CoV-2-Nachweis sind auffällig.

PIMS tritt seit Anfang dieses Jahres häufiger auf als in den Wochen davor. „Wir können regional hier in Dresden als auch im PIMS-Survey der DGPI einen Anstieg der Fälle in den letzten Wochen beobachten“, berichtet Armann auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts.

Aktuell beziffert das DGPI-Survey die PIMS-Fälle auf 688. Knapp 200 Zentren melden zurzeit freiwillig PIMS-Fälle, was gut der Hälfte der Kliniken entspricht. Die tatsächlichen Zahlen können höher liegen – etwa 1.000 vermutet Armann gegenüber dem ZDF. Von einer Untererfassung aufgrund des aufwändigen und freiwilligen Meldeverfahrens geht auch Vilser aus.

Die zunehmenden Zahlen führt Armann auf die steigenden Infektionszahlen zurück. Insgesamt scheine die Delta-Variante von SARS-CoV-2 weniger PIMS-Fälle zu verursachen als der Wildtyp oder die Alpha-Variante. Das PIMS-Risiko bei Infektion mit der Omikron-Variante ließe sich noch nicht abschätzen, da das Syndrom erst 4 bis 6 Wochen nach der Infektion auftritt.

In der oben erwähnten Studie konnte gezeigt werden, dass die PIMS-Rate bei 1 Fall pro 4.000 Kindern in Deutschland lag. Die Analyse umfasste den Zeitraum von Ende Mai 2020 bis Mai 2021 und basierte auf Daten aus den DGPI-Registern, der SARS-CoV-2-KIDS-Studie und dem Meldesystem des RKI in Deutsch­land.

Armann zufolge stellt PIMS die eigentliche relevante Krankheitslast für Kinder und Jugendliche ohne Komorbiditäten dar. Vorerkrankungen zählten nicht zu den Risikofaktoren. Aber das Syndrom sei gut zu behandeln und die Häufigkeit gut vergleichbar mit zum Beispiel dem Kawasaki-Syndrom, das vor der SARS-CoV-2-Pandemie bei etwa 400 bis 500 Kindern pro Jahr in Deutschland auftrat.

Vilser weist darauf hin, dass mehr als die Hälfte der betroffenen Kinder und Jugendlichen intensiv­medizinisch betreut werden mussten. Das seien relevante Fallzahlen in der Pädiatrie.

Hierzulande wurde zwar bislang nicht berichtet, dass ein Kind oder Jugendlicher an PIMS verstorben sei. In Nordamerika läge die Mortalität laut der US-amerikanischen Behörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) aber bei etwa 1 %.

Wissen zu Long COVID bei Kindern noch nicht ausreichend

Ein weiteres mögliches Risiko ist Long COVID. Zu dieser Folge der SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und Jugendlichen mangelt es bislang noch an aussagekräftigen Erkenntnissen, betont Armann. Ihm zufolge seien Kinder und Jugendliche davon deutlich seltener betroffen als Erwachsene. Zudem würden sich die Symptome im Verlauf bessern und wären in vielen Fällen nach 5 Monaten nicht mehr nachweisbar.

Bei Long COVID „handelt es sich wahrscheinlich um den Punkt der am schwierigsten zu beurteilen ist, versucht man die Krankheitslast der SARS CoV 2 Infektion bei Kindern und Jugendlichen einzuschätzen“, sagt Vilser dem .

In den letzten größeren Studien wurde die Prävalenz mit 2 bis 13 % angegeben (Preprint Europe PMC, 2021; DOI: 10.21203/rs.3.rs-798316/v1, Studie in The Pediatric Infectious Disease Journal 2021, DOI: 10.1097/inf.0000000000003328). Aber viele Experten gehen von noch weniger aus. Dennoch sei ein relevanter Anteil der pädiatrischen Patienten betroffen. Nicht eindeutige Definitionen und Überschnei­dun­gen mit multiplen anderen Erkrankungen erschwerten die Erfassung, so Vilser weiter.

Maßnahmen gegen die Pandemie mit Folgen

In vielen Studien, zum Beispiel eine Studie in Scientific Reports (2022, DOI: 10.1038/s41598-022-06166-y), konnten bezüglich der Long-COVID-Symptome keine wesentlichen Unterschiede zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne SARS-CoV-2-Infektionen festgestellt werden, berichtet Armann. Das ließe darauf schließen, dass diese Altersgruppe eher unter den Folgen der Pandemie wie Kontaktbeschrän­kungen oder Schulschließungen als unter den Folgen der Erkrankung selber leidet.

Auch Vilser sieht in den Isolationsmaßnahmen und Schließungen beziehungsweise Lockdowns für Ent­wicklung und Gesundheit der Kinder und Jugendliche die größere Bedrohung als in den Krankheits­folgen.

COVID-19-Impfung nicht nur zum Schutz vor Infektionen

Impfungen können helfen, die Kinder vor der Infektion zu schützen und vor Maßnahmen wie Schul­schließungen zu bewahren, hebt Vilser hervor. „Daten zur Sicherheit aus den USA zeigen bei vielen Millionen Impfungen eine ausgesprochen gute Verträglichkeit auch bei den 5-11-Jährigen“.

Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut hat für diese Altersgruppe bislang keine gene­relle Impfempfehlung ausgesprochen. Sie empfiehlt vor allem Kinder mit Vorerkrankungen wie Adiposi­tas, chronische Nieren- oder Krebserkrankungen, aber auch Kinder mit Angehörigen oder Kontaktperso­nen, die ein hohes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben, zu impfen. Besteht der Wunsch der Eltern, ihr Kind zu impfen, kann dies nach ärztlicher Aufklärung erfolgen.

Laut Angaben des CDC vermeidet eine Impfung mehr Todesfälle durch COVID-19 bei Kindern als bei anderen durch eine Impfung präventablen Infektionskrankheiten. Während im Schnitt 66 COVID-19-Todesfälle jährlich vor dem Impfangebot bei 5- bis 11-Jährigen auftraten, waren es bei Meningokokken­infektionen 8 Todesfälle unter den 11- bis 18-Jährigen.

aks

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