Medizin

Kindesmisshand­lung kann Vertrauen in eigene Körperwahrneh­mung beeinträchtigen

  • Dienstag, 15. Juli 2025
/kieferpix, stock.adobe.com
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Dresden – Menschen, die in ihrer Kindheit emotionalen Missbrauch oder emotionale Vernachlässigung erlebt haben, berichten häufig über weniger Vertrauen in ihren eigenen Körper. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der Technischen Universität Dresden und der Freien Universität Berlin in einer Metaanalyse mit mehr als 3.500 Teilnehmenden (Nature Mental Health 2025; DOI: 10.1038/s44220-025-00456-w).

Stress schlägt auf den Magen. Die Psychologie beschreibt das zugrundeliegende Phänomen mit der sogenannten Interozeption. Das ist die Fähigkeit, innere Körpersignale wie Herzschlag, Atmung oder Magenaktivität wahrzunehmen und zu interpretieren.

Diese Fähigkeit spielt eine zentrale Rolle für Emotionen, Stressregulation und körperliches Wohlbefinden. In der Wissenschaft ist die Entstehung und Bedeutung der Interozeption bisher noch sehr wenig verstanden. Immer mehr Studiendaten deuten jedoch darauf hin, dass es ein gemeinsamer Risikofaktor für verschiedene psychische und somatische Erkrankungen ist.

Das Team von der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie der TU Dresden unter Leitung von Anna-Lena Zietlow hat nun in einer Metaanalyse untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen Kindesmisshandlung und veränderter Interozeption gibt und wenn ja, welche Arten von Kindesmisshandlung besonders stark damit verbunden sind.

Die Forschenden analysierten dafür Daten aus 17 Studien mit 3.705 Teilnehmenden. Dabei stammten 21 der 35 eingeschlossenen Proben aus Deutschland (60,00 %), 7 aus den USA (20,00 %), 4 aus Italien und je eine aus Litauen und Luxemburg. Gut 70 % identifizierten sich als weiblich (n = 2.678).

Über alle Studien hinweg zeigte sich kein einheitlicher Zusammenhang zwischen Interozeption und Missbrauchs- sowie Misshandlungserfahrungen in der Kindheit. Nur eine Dimension der Interozeption war beeinträchtigt, und zwar die, die das Vertrauen in Körpersignale widerspiegelt.

Emotionale Vernachlässigung stärkster Prädiktor

Kinder, die Missbrauch erlebt haben, hatten ein vermindertes Vertrauen in die eigenen Körperwahrnehmungen (r = -0,12, p< 0,001). Der Effekt war statistisch signifikant, aber von geringer Stärke, da der Korrelationskoeffizient r zwischen -0,10 und -0,30 als kleiner bis mittlerer Effekt gilt.

Der Effekt auf die Körperwahrnehmung zeigte sich unterschiedlich stark bei den verschiedenen Formen des Missbrauchs. Die stärksten Prädiktoren für einen Vertrauensverlust waren emotionale Vernachlässigung (r = -0,23) und emotionaler Missbrauch (r = -0,19). Darüber hinaus korrelierte das Körpervertrauen negativ mit körperlicher Misshandlung (r = -0,08) und sexuellem Missbrauch (r = -0,16), jedoch nicht mit körperlicher Vernachlässigung.

Erstautorin Julia Ditzer vermutet weitreichende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, da es zum Beispiel die Emotionsregulation, die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse sowie die Stressverarbeitung beeinträchtigen könne.

„Dies könnte ein Erklärungsansatz dafür sein, warum Betroffene von Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen wie Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen aufweisen.“

Ilka Böhm, Mitarbeiterin an der Professur für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, ergänzt: „Trotz der langfristigen Folgen, wird diesen Formen der Kindesmisshandlung bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt.“

Im Gegensatz zu körperlicher oder sexueller Misshandlung seien sie weniger sichtbar. Dabei erlebt etwa jedes 4. Kind Misshandlung, wobei häufig mehrere Formen gleichzeitig auftreten: emotionaler, körperlicher und sexueller Missbrauch sowie emotionale und körperliche Vernachlässigung.

Letztautorin Anna-Lena Zietlow hofft, dass ihre Forschung dazu beiträgt, emotionale Misshandlung und Vernachlässigung stärker ins öffentliche und fachliche Bewusstsein zu rücken.

„Kinder benötigen nicht nur Schutz vor körperlicher Gewalt, sondern ebenso eine verlässliche und feinfühlige emotionale Zuwendung. Ihren emotionalen Bedürfnissen sollte sowohl in der Gesellschaft als auch in der Forschung und in präventiven Maßnahmen deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.“

Anknüpfend an die Ergebnisse der Metaanalyse führt das Team nun eine Studie zum Zusammenhang von Kindesmisshandlung und Interozeption bei Jugendlichen zwischen 12-17 Jahren durch.

gie

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