Zusammenhang zwischen schweren frühkindlichen Traumata und Verschwörungstheorien

Berlin – Frühkindliche Traumata durch Vernachlässigung, Missbrauch oder unsichere Bindungserfahrungen können das Vertrauen in andere Menschen tiefgreifend erschüttern. Wenn diese nicht angemessen verarbeitet werden, könnten sie langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und die Fähigkeit haben, stabile Beziehungen aufzubauen.
Das erklärte Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM), anlässlich des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der unter dem Titel „Beziehungen in der Krise – Aufbrüche“ vom 12. bis 14. März in Berlin stattfinden wird.
„Es besteht eine enge Verbindung zwischen belastenden Kindheitserfahrungen und der Entwicklung von Depressionen, Ängsten, somatischen Belastungsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder auch Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter“, sagte der Kongresspräsident.
Es finde sich beispielsweise ein doppelt so hohes Risiko für depressive Störungen und ein 2,7-fach erhöhtes Risiko für Angststörungen. Zudem gingen belastende Kindheitserfahrungen auch mit körperlichen Erkrankungen im Erwachsenenalter wie zum Beispiel dem Typ-2-Diabetes einher.
Unverarbeitete Kindheitstraumata haben Kruse zufolge aber auch eine gesellschaftliche Dimension: „Insbesondere Misstrauen und Leichtgläubigkeit entwickeln sich vermehrt nach schweren frühkindlichen Belastungen“, sagte er. Fehlendes Vertrauen und Bindungsunsicherheit wirkten sich auf das soziale Miteinander aus und könnten gesellschaftliche Isolation, Konflikte und Spaltung verstärken. „Menschen mit schweren frühkindlichen Traumatisierungen und Leichtgläubigkeit hängen vermehrt Verschwörungstheorien an“, sagte Kruse.
Wenn Menschen Schwierigkeiten haben, Informationen und Menschen zu vertrauen, nehmen ihm zufolge Einsamkeit und Misstrauen zu, während der gesellschaftliche Zusammenhalt abnimmt. „Es entsteht eine sich selbst verstärkende Spirale von Misstrauen und Einsamkeit. Die zunehmende Digitalisierung spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle“, so der Arzt.
Einsamkeit erhöht die Gesamtmortalität um rund 30 Prozent
Den Fokus auf Einsamkeit als Risikofaktor für psychische und körperliche Erkrankungen legte Hans-Christoph Friederich, ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM). So sei Einsamkeit häufig vergesellschaftet mit Depressionen, Angsterkrankungen, Abhängigkeitserkrankungen oder selbstverletzendem Verhalten.
Einsamkeit erhöht Friederich zufolge die Gesamtmortalität zwischen 29 und 32 Prozent, weil sie assoziiert sei mit einem gehäuften Auftreten von kardiovaskulären (einschließlich Schlaganfall), metabolischen und demenziellen Erkrankungen. „Umgekehrt führt eine gute soziale Integration gegenüber sozialer Isolation zu einer 50-prozentigen Reduktion der Mortalität“, berichtete er.
Unter den klassischen Risikofaktoren auf der Verhaltensebene, wie Bewegungsmangel, Überernährung und Adipositas, Alkohol und Rauchen, gelte Einsamkeit als der gefährlichste Risikofaktor.
Von Einsamkeit betroffen sind Zahlen des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) zufolge alle Altersgruppen. Doch während sich die Einsamkeit seit 2013 insbesondere in den Altersgruppen der 18–29- und der 30–50-Jährigen verdoppelt habe, sei die Häufigkeit der Einsamkeit in der Altersgruppe der über 75-Jährigen weitgehend gleich geblieben sei.
Die 18- bis 29-Jährigen zeigen durch den Anstieg die höchste Einsamkeit aller Altersgruppen. „Das heißt, dass die jungen Erwachsenen verstärkt bei Maßnahmen gegen Einsamkeit in den Blick genommen werden müssen“, betonte der DGPM-Vorsitzende.
Soziale Medien tragen Friederich zufolge nicht zur Verringerung von Einsamkeit bei. „Das Erleben von sozialer Verbundenheit braucht körperliche Nähe, Wärme und reale Begegnungen“, sagte er. Berührungen durch Händedruck oder Umarmungen zur Begrüßung seien online nicht möglich und blieben somit „seelenlose“ und virtuelle Begegnungen. Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung unterstrichen das angeborene Bedürfnis des Menschen nach engen und emotional geprägten Beziehungen.
Die intensive Nutzung von sozialen Medien scheine aber per se nicht mit einem erhöhten Auftreten von Einsamkeit verbunden zu sein. Sofern soziale Medien jedoch gezielt als Hilfsmittel für das Fehlen von guten realen Beziehungen oder zur Kompensation von verminderten sozialen Kompetenzen eingesetzt werden, dann finde sich ein signifikanter Zusammenhang mit Einsamkeit.
Frühkindliche Traumata erschwerten es, stabile Beziehungen aufzubauen. Ungünstige Muster der Beziehungsgestaltung führen Friederich zufolge indes zu wiederkehrenden und frustrierenden Kontaktabbrüchen und Einsamkeit. „Die Betroffenen sind meist blind für diese interaktionellen Muster, sodass es notwendig ist, im Rahmen einer Psychotherapie diese Beziehungsmuster zu identifizieren und zu bearbeiten“, sagte der DGPM-Vorsitzende.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: