Klinikreform: Was Ärztinnen und Ärzte aus der Versorgung denken

Berlin – Welche Änderungen durch die Krankenhausreform auf Ärztinnen und Ärzte zukommen, lässt sich nicht genau vorhersagen. Klar ist aber, durch die geplante Verteilung von Leistungsgruppen auf alle Klinikstandorte in Deutschland, werden sich Abteilungen spätestens ab 2027 anders aufstellen und organisieren müssen. Manche Bereiche werden aufgebaut, andere abgebaut werden.
Ein Aspekt steht dabei im Fokus der Debatte: Die Weiterbildung. Viele sorgen sich, dass die Weiterbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten durch die Umstrukturierung und Reduktion von Krankenhausstandorten leidet. Davor warnen etwa der Marburger Bund (MB) oder die Bundesärztekammer (BÄK).
Es sei absehbar, dass durch die geplanten Strukturveränderungen ein erheblicher Teil medizinischer Leistungen künftig im ambulanten Bereich stattfinden werde, erklärte Constanze Weber, Ärztin in Weiterbildung in der Neurologie am Universitätsklinikum Dresden, dem Deutschen Ärzteblatt. „Das bedeutet, dass Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung bestimmte praktische Fähigkeiten zunehmend nur noch dort erwerben können.“
Bislang hätten die berufspolitischen Akteure Weber zufolge allerdings noch keine überzeugenden Konzepte vorgelegt, wie eine qualitativ hochwertige Weiterbildung sektorenübergreifend sichergestellt werden könne. Um alle Inhalte erfolgreich vermitteln zu können, seien künftig Weiterbildungsverbünde zwischen Kliniken, Praxen und anderen Versorgungseinrichtungen unumgänglich, betonte Weber. „Dazu braucht es aber klare rechtliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel für die Arbeitnehmerüberlassung.“
Zentral sei zudem eine gesetzliche Regelung zur Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung, die eine intersektorale Förderung von Weiterbildungsstellen in allen Fachbereichen sicherstellen könne. „Auch die Finanzierung einer ambulanten ärztlichen Weiterbildung ist bislang weitgehend ungeklärt“, kritisierte Weber vor, die auch Sprecherin des Bündnisses Junge Ärztinnen und Ärzte (BJÄ) ist.
Um die Weiterbildung intersektoral neu denken zu können, brauche es eine inhaltlich ernsthafte Auseinandersetzung und tragfähige Lösungen, die innerhalb der vorgesehenen Fristen umgesetzt werden könnten. Gut ausgebildete Ärzte, die ihr Wissen sicher und fundiert anwenden können, sind Weber zufolge der wichtigste Qualitäts- und Effizienzfaktor im Gesundheitswesen. In diesen Bereich müsse gezielt investiert werden, sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor.
Christine Hidas, leitende Oberärztin der Zentralen Notaufnahme (ZNA) am Klinikum Darmstadt, betonte ebenfalls, die Finanzierung der Weiterbildung fehle komplett, sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. „Wenn fachärztlicher Standard gefordert wird, muss er auch auskömmlich finanziert weitergebildet werden können“, sagte Hidas dem Deutschen Ärzteblatt.
„Die im Rahmen der Reform vorgesehene Finanzierung über Vorhaltepauschalen könnte hier eine Chance darstellen, die mit der Weiterbildung verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwendungen adäquat zu berücksichtigen“, schlägt Weber vor.
Herausforderungen bestehen nicht langfristig
Weiter brauche es Rahmenbedingungen für eine angemessene Supervision, etwa durch eine verbindliche ärztliche Personalbedarfsbemessung, damit die Weiterbildung nicht zulasten der Qualität oder nur über eine Erhöhung des Arbeitspensums realisiert werden könne, findet die junge Ärztin. „Ich habe aktuell die Sorge, dass die Reform in der jetzigen Fassung die bereits bestehenden Probleme in der ärztlichen Weiterbildung verschärft. Hier muss dringend nachgebessert werden“, forderte Weber.
Für den stationären Bereich sieht Thomas Ochtrop, Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Klinikum Lüdenscheid, eher kurzfristig Herausforderungen für die Weiterbildung. „Wenn bei kleineren Krankenhäusern Leistungsbereiche wegfallen, wird die Organisation der Weiterbildung dort meiner Einschätzung nach nur vorübergehend ein Problem darstellen“, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt.
Das Ziel der Reform sei, dass Häuser kooperieren, sodass künftig Maximalversorger wie das Klinikum Lüdenscheid die Weiterbildung in kleineren Häusern unterstützen könnten. „Ich bin zuversichtlich, dass sich dieses Problem so lösen lassen wird“, erklärte Ochtrop. Dies erfordere Flexibilität, was jedoch auch eine Chance darstelle. „Denn durch einen Wechsel erhält man Einblicke und lernt neue Perspektiven kennen, die man sonst vielleicht nicht erfahren hätte“, betonte er.
Im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), das Ende 2024 in Kraft getreten ist und die gesetzliche Grundlage der Krankenhausreform bildet, ist bereits ein erster Vorschlag für eine künftige Finanzierung der Weiterbildung geregelt. Darin heißt es, dass das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) ein Konzept über Zu- und Abschläge zur sachgerechten Finanzierung der mit der ärztlichen Weiterbildung verbundenen Mehrkosten bei der Leistungserbringung vorlegen soll.
Eine verbindliche Entscheidung, wie ein solches Konzept aussehen könnte, sollen dem Gesetz zufolge die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), der GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) gemeinsam treffen. Diese Entscheidung soll laut Gesetz bis zum 31. Dezember 2025 getroffen werden.
„Die Ressourcen der Selbstverwaltung und des InEK sind derzeit durch die sehr zeitkritische Umsetzung der Krankenhausreform, des DRG-Kataloges und der Hybrid-DRGs gebunden“, erklärte die DKG auf Nachfrage. Die Gespräche zur Umsetzung der Zu- und Abschläge für die ärztliche Weiterbildung sollen demnach sobald wie möglich mit dem Ziel fortgesetzt werden, bis Ende Dezember 2025 eine Entscheidung zu treffen.
Konzentration erhöht Effizienz und Qualität
Insgesamt hält der Radiologe Ochtrop die Krankenhausreform für richtig und wichtig. Im Rahmen der landesweiten Reform, die in Nordrhein-Westfalen vergangenes Jahr bereits umgesetzt wurde, seien dem Klinikum Lüdenscheid zahlreiche Fachbereiche zugesprochen worden.
Dies sei Ochtrop zufolge positiv, da die Klinik der Maximalversorger in der Region sei und es nur wenige weitere Krankenhäuser in der näheren Umgebung gebe. „Die Konsolidierung von Leistungen an einem Standort und die Fokussierung auf spezialisierte Fachbereiche erhöhen die Effizienz und Qualität – ein Standard, den wir in Lüdenscheid schon lange erfolgreich umsetzen“, sagte Ochtrop.
Weber sieht im nun geplanten Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) mit seinen verlängerten Umsetzungsfristen und Übergangsregelungen grundsätzlich die Möglichkeit, die Versorgungslandschaft schrittweise anzupassen.
Die vorgesehenen erweiterten Ausnahmemöglichkeiten für die Länder könnten eine Chance dadurch sein, dass die Länder stärker auf die regionalen Besonderheiten der medizinischen Versorgungslandschaft reagieren können, sagte die angehende Neurologin. „Unterschiedliche Bevölkerungsstrukturen, Entfernungen, Krankenhausdichten oder Fachkräfteverfügbarkeiten erfordern flexible Lösungen.“
Die Möglichkeit, Ausnahmen zuzulassen, könne helfen, Versorgungslücken insbesondere in ländlichen Regionen zu verhindern und erlaube eine bedarfsgerechte Anpassung der Krankenhausplanung sowie eine engere Einbindung regionaler Akteure der Gesundheitsversorgung, was die Akzeptanz und Umsetzbarkeit der Reform verbessern könne, so Weber.
„Das Risiko besteht jedoch darin, dass durch eine uneinheitliche Anwendung der Ausnahmeregelungen das eigentliche Ziel der Reform abgeschwächt werden könnte“, betonte Weber. Wenn jedes Bundesland eigene Wege gehe, sei die Folge eine Uneinheitlichkeit in Qualitätsstandards und Finanzierung. „Das kann langfristig dazu führen, dass die angestrebte Transparenz und die Steuerung der Ressourcen nach Qualität nicht erreicht wird.“
Wichtig sei deshalb eine klare, nachvollziehbare und einheitliche Umsetzungspraxis, die Flexibilität erlaube, ohne die Grundprinzipien der Reform zu verwässern, forderte Weber. Entscheidend werde sein, ob die neuen Gestaltungsspielräume verantwortungsvoll und im Sinne einer übergeordneten Versorgungsqualität genutzt werden oder ob sie zu einer Rückkehr partikularer Interessen führen.
Hidas sieht in den geplanten Ausnahmemöglichkeiten für die Bundesländer sowohl Chancen und Risiken. Ihr zufolge werden sie aber vor allem die Bürokratisierung und Regulierung weiter vorantreiben.
Auch sie sieht die Reform aber als dringend erforderlich an. Zu wenig auf dem Schirm seien noch die Notaufnahmen, ein zentraler Bestandteil der Versorgung kranker Menschen, betonte die Oberärztin. „Die Nichtberücksichtigung der Leistungsgruppe Notfallmedizin erscheint mir für die weitere Entwicklung problematisch“, sagte Hidas.
Sie frage sich, aus welchen Töpfen die dringend erforderlichen Umstrukturierungen – auch hinsichtlich Rettungsdienst, Katastrophenmedizin und Pandemievorsorge – finanziert werden sollen, wenn es diese Leistungsgruppe künftig nicht geben soll.
Zur Erklärung: Im KHVVG war diese Leistungsgruppe plus drei weitere noch vorgesehen. Laut dem KHAG soll es statt der ursprünglich 65 künftig aber nur noch 61 Leistungsgruppen geben.
Noch wenige Auswirkungen in den Kliniken spürbar
Noch sei die Krankenhausreform in Dresden und Darmstadt nicht deutlich zu spüren, sagen Hidas und Weber. „Da ich an einem Maximalversorger tätig bin, spielt die Krankenhausreform in der täglichen Arbeit bislang eine eher untergeordnete Rolle“, erklärte Weber.
Deutlich spürbarer sei dagegen die zunehmende Ambulantisierung. „Die Indikation zur stationären Aufnahme wird strenger geprüft, und für viele Patientinnen und Patienten werden verstärkt alternative ambulante Versorgungspfade etabliert“, erläuterte Weber.
Auch die Notfallmedizinerin Hidas erklärte, in der ZNA seien Ärztinnen und Ärzte komplett mit der Patientenversorgung beschäftigt. Die geplante Reform werde in anderen Bereichen diskutiert. „Wir merken allerdings die stetige Zunahme kranker Menschen sowie Menschen, die das Gesundheitssystem nicht kennen, aus unterschiedlichen Gründen ambulant nicht versorgt sind oder aus anderen Versorgungsproblemen eingewiesen werden.“
Der wichtigste Hebel sei deshalb Hidas zufolge eine Patientensteuerung, die die Patienten in die richtige Versorgungebene lenke. Hinderlich seien hierfür allerdings unterschiedliche Erreichbarkeiten im ambulanten Bereich (Arztpraxen, Apotheken, Pflegedienste und ärztliche Bereitschaftsdienste) und in den Krankenhäusern. Der Notfallmedizinerin komme es so vor, dass alle unklaren Fälle insbesondere in den Nächten oder am Wochenende in der Notaufnahme landen würden und die vorhandenen Ressourcen dafür nicht ausreichen.
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