Koalitionsvertrag beschneidet Spielraum der Selbstverwaltung

Dortmund – Der Koalitionsvertrag von Union und SPD birgt Gefahren für die gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Die Politik bringe sich über Antrags- und Beratungsrechte immer weiter fachlich ein und beschneide den Spielraum zunehmend, betonte Wolfgang-Axel Dryden, 1. Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), bei der jüngsten Sitzung der Vertreterversammlung (VV).
Als Beispiel nannte Dryden die von der möglichen Großen Koalition geplante Bund-Länder-Arbeitsgruppe, „die Vorschläge für die Weiterentwicklung zu einer sektorenübergreifenden Versorgung des stationären und ambulanten Systems im Hinblick auf Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung, Codierung, Dokumentation, Kooperation der Gesundheitsberufe und Qualitätssicherung unter Berücksichtigung der telematischen Infrastruktur bis 2020 vorlegen soll“.
Eingriff in fachliche Zuständigkeiten
Zusammen mit dem Mitberatungs- und Antragsrecht, das die Länder in den Zulassungsausschüssen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) erhalten sollen, sei das ein Eingriff in die fachlichen Zuständigkeiten der Selbstverwaltung von KVen und Krankenkassen, so Dryden. Als fehlerhaft bezeichnete er die Ursachenanalyse und Lösungsvorstellungen der Politik hinsichtlich der Bedarfsplanung zur Verteilung von Arztsitzen.
Der KVWL-Chef bezog sich dabei auf die Aussage im Koalitionsvertrag, dass die Regierungsparteien darauf drängen wollen, die Bedarfsplanung künftig kleinräumiger, bedarfsgerechter und flexibler zu gestalten. Zusätzlich sollen in ländlichen und strukturschwachen Gegenden die Zulassungssperren für die Neuniederlassung von Ärzten entfallen.
„Der Gemeinsame Bundesausschuss hat insbesondere mit Blick auf die Sonderregion Ruhrgebiet inzwischen eine kleinräumigere Bedarfsplanung auf den Weg gebracht“, betonte der KVWL-Chef. „Diese wird aber bei fehlendem Nachwuchs zulasten der ländlichen Regionen gehen.“ Zudem werde schon jetzt dort, wo es notwendig sei, kleinräumig geplant. Dryden warnte auch davor, die kleinräumige Planung auf alle Arztgruppe auszudehnen. „Oder wollen wir demnächst an jeder Straßenecke Humangenetiker oder Pathologen ansiedeln?“
Die Bürgerversicherung, wie sie derzeit von der SPD propagiert wird, bezeichnete Dryden als „Gesundheitssystemfinanzierungssicherungsgesetz“. Je nach Modell werde das Verschmelzen der Versicherungssysteme mit Blick auf die Vergütung ambulanter ärztlicher Leistungen zu einem Verlust von eineinhalb bis sieben Milliarden Euro führen. Das lege ein Gutachten von Professor Jürgen Wasem nahe, der an der Universität Duisburg/Essen den Lehrstuhl für Gesundheitsmanagement innehat. Selbst wenn diese Verluste ausgeglichen würden, käme es dennoch zu teils erheblichen Umverteilungseffekten, von denen Fachärzte stärker betroffen wären als Hausärzte.
„Praxen in sozial hochgestellten Gebieten wie zum Beispiel am Chiemsee werden stärker verlieren als Praxen im bayerischen Wald, die materiell gut gestellten Länder im Süden der Republik werden Finanzmittel abgeben müssen, während Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern zu den Gewinnern gehören“, prophezeite der KV-Chef und warnte davor, dass auch noch andere Denkfiguren aus der Bürgerversicherung in der Gesundheitspolitik einer großen Koalition auftauchen können. „Schritt für Schritt werden Lauterbach und Konsorten Parlament und Ministerium in die von ihnen gewünschte Richtung drängen“, ist Dryden überzeugt. „Das wird subtil geschehen und nicht offen. Also Vorsicht!“
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