Kontrolle in der Transplantationsmedizin: Bahr will Länder stärker beteiligen

Berlin – Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drängt auf rasche Konsequenzen aus dem Organspendeskandal. Sowohl die Kontrolle und Aufsicht als auch die Transparenz in der Transplantationsmedizin und die Beteiligung von Politik und Ländern müssten gestärkt werden, sagte er im Anschluss an das heutige Krisentreffen mit Vertretern der Selbstverwaltung und den Ländern. „Wir werden es nicht akzeptieren, dass Einzelne das Vertrauen in die Organspende infrage stellen.“
Bei dem Spitzentreffen einigten sich die Beteiligten auf einen Maßnahmenkatalog. So soll unter anderem die Prüfungskommission der Bundesärztekammer um zusätzliche unabhängige Experten erweitert werden. Ferner sollen künftig Organspenden von einer interdisziplinären Transplantationskonferenz in den Kliniken überwacht werden. „Wir brauchen ein Mehr-Augen-Prinzip bei der Vergabe von Spenderorganen, damit noch eine unabhängige Person, die nicht Teil der Abläufe der Transplantation ist, alles prüft", sagte Bahr.
Bereits seit 1. August seien durch das novellierte Transplantationsgesetz stichprobenartige unangemeldete Prüfungen unter Einbeziehung von Vertretern der Länder möglich, betonte Bahr. Das werde dazu beitragen, dass Kontrolle und Aufsicht besser werden. Der saarländische Gesundheitsminister Andreas Storm (CDU) betonte nach dem Spitzentreffen, dass sich auch die Länder aktiver an den Kontrollen beteiligen wollen.
Zu dem Treffen im Bundesgesundheitsministerium hatte Bahr nach Bekanntwerden eines Transplantationsskandals an den Unikliniken Göttingen und Regensburg eingeladen. An ihm nahmen Vertreter des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Stiftung Organtransplantation, der Stiftung Eurotransplant, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Bundesärztekammer, der Ständigen Kommission Organtransplantation, der Überwachungs- und Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer sowie Vertreter der Länder und der Bundespatientenbeauftragte teil.
Der Etablierung einer neuen staatlichen Behörde zur Kontrolle der Transplantationsmedizin erteilt Bahr jedoch eine Absage. „Es muss keine Super-Behörde geschaffen werden. Sie würde nichts besser machen“, sagte er. Man setze stattdessen auf eine Verbesserung der bestehenden Strukturen.
Eine staatliche Kontrolle der Transplantationsmedizin lehnte auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, erneut ab. Wünschenswert wäre aber eine Kombination von Selbstverwaltung und Behörden, erklärte er gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Denn jeder brauche den anderen. „Es geht nie ohne den Sachverstand der Fachleute in den Kommissionen. Ich wünschte mir aber sehr, dass dort auch Menschen mit einer polizeiähnlichen Kompetenz sind“, betonte Montgomery.
Zuvor hatte der Präsident bereits mehr Transparenz, bessere Kontrollen und schärfere Sanktionen bis zum Entzug der Approbation und Schließungen von Transplantationszentren gefordert. Montgomery geht davon aus. dass es sich bei den bekannt gewordenen Fällen lediglich um Einzelfälle handelt. „Wir haben 50.000 Fälle in den letzten zehn Jahren in den Kommissionen analysiert. Dabei haben wir 119 Auffälligkeiten gefunden und 21 Verstöße gegen die Richtlinien der Verteilung - da kann man weder von Mafia noch von großflächigem kriminellen Verhalten sprechen."
Die Richtlinien für die Transplantationsmedizin durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erarbeiten zu lassen, hält Bahr ebenfalls nicht für zielführend: „Der G-BA würde es nicht besser machen“, sagte er. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, Johann-Magnus von Stackelberg, hatte zuvor mehr Transparenz bei der Erarbeitung der Richtlinien für Organtransplantationen gefordert. Diese sollten nach seiner Ansicht nicht mehr allein von der Bundesärztekammer erstellt werden.
Bahr will nun den Weg für rasche Gesetzesänderungen auf parteiübergreifender Grundlage freimachen. Bund und Länder würden auch die bestehenden Straf- und Ordnungswidrigkeitsnormen überprüfen und anpassen, betonte der Minister. Morgen will er die Gespräche auf bundespolitischer Ebene fortsetzen. Dazu lud er die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen ein.
Unterdessen hat die gemeinsame Prüfungskommission von GKV-Spitzenverband, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer ihre Prüfungsberichte zu Auffälligkeiten bei der Organvergabe öffentlich zugänglich gemacht. Aus Gründen des Patientenschutzes sind die dokumentierten Fälle anonymisiert gehalten.
Von 2000 bis 2011 wurden in Deutschland 50.739 Organtransplantationen an Eurotransplant gemeldet (43.536 Postmortalspenden, 7.203 Lebendorganspenden). In diesem Zeitraum hat die Prüfungskommission in 119 ihr zur Kenntnis gebrachten Fällen Allokationsauffälligkeiten überprüft. In 31 Fällen wurden Verstöße unterschiedlichen Schweregrades festgestellt, davon sind bis dato 21 Verstöße weiteren Institutionen zugeleitet worden.
Bereits im Vorfeld des heutigen Treffens hatte die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) Empfehlungen zur Transplantationschirurgie erarbeitet. Die Fachgesellschaft unterstützt in ihrer Stellungnahme ausdrücklich die Aufarbeitung und Untersuchung aller Verdachtsfälle. Die aktuelle Debatte dürfe aber nicht dazu führen, dass ein für Tausende Patienten lebensrettendes Verfahren Schaden nehme.
Die DGCH empfiehlt unter anderem, die Transplantationsmedizin auf weniger Zentren zu konzentrieren. Im Sinne der Transparenz begrüßt sie, die vollständigen Ergebnisse und Qualitätskennzahlen dieser Zentren öffentlich zugänglich zu machen. „Interdisziplinäre, protokollierte Transplantationskonferenzen müssen dazu beitragen, dass die entsprechenden Schritte und Entscheidungen zu jeder Zeit nachvollziehbar sind“, sagte der Generalsekretär der DGCH aus Hannover, Hans Joachim Meyer.
Gemäß dem Sechs-Augen-Prinzip sollten je ein operativer und ein konservativer Transplantationsmediziner und ein nicht direkt beteiligter Dritter – Laborarzt, Intensivmediziner oder Anästhesist – einbezogen sein. Außerdem empfiehlt die Fachgesellschaft Vor-Ort-Audits. Bei diesen Begehungen sollten sich unabhängige Experten etwa aus Ärztekammer und Ministerium vom ordnungsgemäßen Vorgehen überzeugen. Ein Schritt zu mehr Transparenz sei zudem ein zentrales Transplantationsregister. Dafür gelte es, zügig Finanzierung und Datenschutz zu regeln, so die DGCH.
In Notfällen – etwa bei akutem Organversagen – müssten in der Transplantationsmedizin auch kurzfristige ärztliche Entscheidungen möglich sein. Diese Notfallentscheidungen sollten auf der nächsten Transplantationskonferenz nach dem Sechs-Augen-Prinzip vorgestellt, diskutiert und dokumentiert werden. „Eine staatliche Kontrolle dieser ärztlichen Ad-hoc-Entscheidungen halten wir jedoch weder für sinnvoll noch für machbar“, ergänzte DGCH-Präsident Karl-Walter Jauch.
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