Vermischtes

Krankenhäuser im Kriegsfall nur bedingt einsatzfähig

  • Dienstag, 28. Oktober 2025
/picture alliance, dpa, Marijan Murat
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Berlin – Im Krisen- oder Kriegsfall wären die deutschen Krankenhäuser nur eingeschränkt krisen- und verteidigungsfähig. Das zeigt eine aktuelle Studie des Institute for Health Care Business (hcb) und des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).

Die veränderte Sicherheitslage in Europa und Deutschland habe weitreichende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben und damit auch auf die Krankenhäuser, heißt es darin. „Russland rüstet gerade über den Bedarf auf, den es in der Ukraine braucht“, sagte Boris Augurzky vom hcb-Institut und Co-Autor des Gutachtens heute bei der Vorstellung. Entsprechend müsse man sich auf verschiedene Szenarien vorbereiten.

Einer Umfrage des DKI von Anfang September zufolge bestehen erhebliche Schwächen in fünf Bereichen: Personal, Cybersicherheit, physische Sicherheit, Versorgung und Vorbereitung auf CBRN-Lagen (chemisch, biologisch, radiologisch und nuklear). An der Umfrage nahmen 216 Allgemeinkrankenhäuser mit mehr als 50 Betten teil.

Gut aufgestellt seien die Krankenhäuser hinsichtlich der Zahl der Betten, hieß es. In Deutschland halten die rund 1.600 Allgemeinkrankenhäuser demnach rund 452.000 Betten vor. Davon sind dem DIVI-Intensivregister zufolge 15.000 Intensivbetten. Die vorhandenen Kapazitäten auf den Normal- und Intensivstationen würden der Studie zufolge bei einem möglichen NATO-Bündnisfall – wenn ein NATO-Staat angegriffen werden würde – ausreichen.

So geht die Bundeswehr dem Gutachten zufolge bei einem solchen Szenario von bis zu 1.000 Verwundeten pro Tag aus. Davon würden etwa knapp ein Viertel schwer-chirurgische Fälle sein (22 Prozent), die eine komplexe und längere Intensivbehandlung benötigen. „Im Bündnis- oder Verteidigungsfall müssten aber zusätzliche Bedarfe aufgrund von potenziellen Flüchtlingsströmen in der regulären Versorgung berücksichtigt werden.“

In zusätzlich durchgeführten Experteninterviews heißt es weiter, dass Krankenhäuser häufig weitere Betten aufstellen könnten. Augurzky ergänzte, dass zudem zügig Feldlazarette aufgebaut werden mit 32 Krankenhausbetten (davon acht Intensivbetten), inklusive OP-Bereich und Bildgebung wie Röntgen, CT und Labor. Das würde etwa neun Millionen Euro kosten.

Engstelle Personal

Der Betrieb zusätzlicher Intensivbetten erfordere zudem eine spezialisierte Ausstattung sowie qualifiziertes Personal. Letzteres stelle dabei den größten Engpass dar, da bereits im Normalbetrieb Personal fehle. Der Personalmangel könnte aber eine wirksame Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzungen, wie sie im Kriegsfall auftreten können, erschweren, heißt es. „Im Krisenfall müssten daher Personalvorgaben gelockert und weniger qualifizierte Kräfte eingesetzt werden“, empfiehlt die Studie.

Augurzky sieht zudem die hohe Teilzeitquote unter dem Gesundheitspersonal als effektiven Hebel. „Wenn es uns gelingt Teilzeitkräfte über eine gewisse Zeit zu motivieren, Vollzeit zu arbeiten, dann hätte man sofort mehr Leute, die gut ausgebildet sind.“

Der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß, erinnerte heute zudem daran, dass durch weniger Dokumentation und Bürokratie ebenfalls mehr Personal in den Kliniken zur Verfügung stehen könnte.

Problematisch sei zudem, dass das Gesundheitspersonal in Krisenfällen in den Krankenhäusern dringend benötigt werde. Viele seien aber zudem im Rettungsdienst tätig oder würden ehrenamtlich im Zivil- und Katastrophenschutz benötigt. Entsprechende Doppelrollen und berufliche Verpflichtungen würden die Verfügbarkeit von benötigten Einsatzkräften deutlich einschränken, heißt es weiter.

Fehlende Schulungen für Kriegsverletzungen

Weiter sind Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachkräfte der Studie zufolge nicht auf Wundbilder vorbereitet, die in Krisen- oder Kriegsfällen auftreten können. Die große Mehrheit der Anfang September befragten Kliniken (81 Prozent) bildet das ärztliche und pflegerische Personal nicht gezielt für Katastrophenszenarien weiter. Nur rund 19 Prozent der Kliniken bilden Ärztinnen und Ärzte entsprechend aus. Pflegerisches Personal wird nur an 13 Prozent der Krankenhäuser fortgebildet.

Entsprechende Schulungen und Fortbildungen für alle Mitarbeitenden kosten Geld. Pro Klinik werden deshalb bislang nur etwa zwei bis drei Personen geschult. Durch die Behandlung von ukrainischen Verletzten hätten einige deutsche Kliniken zwar Erfahrungen mit der Behandlung von Kriegsverletzungen sammeln können.

Dieses Wissen sollte aber einem breiteren Personenkreis zugänglich gemacht werden und in einer Leitlinie für die Behandlung von Kriegsverletzungen münden, empfiehlt das Gutachten. Unzureichend sei ebenfalls die psychosoziale Unterstützung, auch um etwa Personalausfällen entgegenzuwirken.

Krankenhäuser seien in Krisenfällen darüber hinaus mit mehr Todesfällen konfrontiert. Entsprechend müsste darüber nachgedacht werden, wie bürokratische Prozesse bezüglich ärztlicher Feststellung, Todesbescheinigung und Leichenschau vereinfacht werden könnten und was mit den Leichnamen geschehen würde. Die Krankenhäuser verfügen hierfür auch nur über begrenzte Lagerungsmöglichkeiten, heißt es.

So fühlen sich die Kliniken vorbereitet

Ein Problemfeld stellt heute schon die Cybersicherheit dar. Cyberangriffe können den Krankenhausbetrieb erheblich beeinträchtigen. So wurde etwa das Universitätsklinikum Düsseldorf 2020 von Hackern angegriffen. 13 Tage lang konnte die Klinik beispielsweise nicht von Rettungsdiensten angefahren werden. „Die Uniklinik Frankfurt war fast ein Jahr lang nicht online erreichbar“, ergänzte Augurzky.

Allerdings fühlt sich die große Mehrheit der befragten Kliniken zu möglichen Cyberangriffen gut vorbereitet (82 Prozent). Vor allem sind Krankenhäuser aber hinsichtlich technischer und infrastrukturbedingter Ausfälle sowie Massenunfällen oder Großschadensereignissen vorbereitet. Über entsprechende Alarm- und Einsatzpläne (KAEP) verfügen 95 Prozent der befragten Kliniken.

Etwas mehr als die Hälfte aller Kliniken sehen sich zudem gewappnet für Versorgungsengpässe (56 Prozent) und rund ein Viertel für Sicherheits- und Verteidigungsbedrohungen (26 Prozent). Lediglich zwölf Prozent der befragten Krankenhäuser haben Pläne für die Landesverteidigung im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung.

Nachgefragt nach den existierenden Möglichkeiten vor Ort, sieht das Bild durchwachsen aus. In den meisten Krankenhäusern gibt es etwa keine Tiefgaragen oder Kellerräume, die im Krisenfall als Ausweichbehandlungsräume genutzt werden können (72 Prozent).

Bei den Lagerkapazitäten sieht es etwas besser aus. So haben mehr als die Hälfte der befragten Kliniken erweiterte oder teilweise erweiterte Lagerkapazitäten, etwa für medizinische Vorräte, Verbandsstoffe oder chirurgisches Material (58 Prozent). Auf mögliche Lieferengpässe bereiten sich die Kliniken etwa mit Absprachen mit den Lieferanten, Notfalllisten für unbedingt erforderliche Arzneimittel oder Kooperationen mit anderen Krankenhäusern vor.

Gegen Stromausfälle sind hingegen fast alle Kliniken gewappnet. 98 Prozent verfügen über Notstromaggregate mit einer Laufzeit von mindestens 24 Stunden bis 72 Stunden, weitere 88 Prozent verfügen hierfür zudem über weitere Kraftstoffreserven. Weitere Ausstattungen, wie etwa eine Photovoltaikanlage (41 Prozent), Trinkwasseraufbereitungssysteme/-reserven (14 Prozent), Detektionssysteme zur Erkennung von Kontaminationen (vier Prozent), kommen weniger häufig vor.

Investitionsbedarfe von drei Szenarien

Um sich auf Krisen- und Kriegsfälle besser vorzubereiten, müssten kurzfristig realisierbare Maßnahmen in die Wege geleitet werden, empfiehlt das Gutachten. Höchste Priorität hätten demnach Maßnahmen zur IT- und Kommunikationssicherheit, weil sich bereits heute in Deutschland und Europa Cyberangriffe häuften. Zudem können diese Maßnahmen schnell umgesetzt werden.

Bauliche Veränderungen, die zu mehr unterirdischen Schutzräumen führen, würden viele Jahre dauern. Bei Krankenhausneubauten sollten entsprechende Schutzräume aber ab jetzt mitgedacht werden. Aufgrund von längeren Umsetzungszeiträumen, sollten entsprechende Maßnahmen aber auch frühzeitig begonnen werden.

Insbesondere Bundeswehrkrankenhäuser, BG-Kliniken und Standorte mit einem überregionalen Traumazentrum und solche mit einem Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV) sollten bei der zeitlichen Abfolge eine höhere Priorität genießen. Zudem müssten vor allem Krankenhäuser besser auf Krisen- und Kriegsfälle vorbereitet sein, die sich in der Nähe eines sogenannten „Hubs“ befinden, also nahe einem Flughafen, Hubschrauberlandeplatz, Seehafen oder Grenzübergang.

Drei Szenarien für Investitionsbedarfe

Bezüglich der möglichen Investitionsbedarfe unterscheidet die Studie drei Szenarien. Für das Szenario „Cyberangriffe und Sabotageakte“ werden demnach die Investitionskosten auf etwa 2,7 Milliarden Euro und die Betriebskosten auf 670 Millionen Euro geschätzt.

Der größte Anteil der Investitionskosten entfällt mit 58 Prozent auf die Maßnahmen für IT- und Kommunikationssicherheit. 85 Prozent der Betriebskosten entfallen auf die Bereiche der technischen Infrastruktur und der IT- und Kommunikationssicherheit.

Im Szenario „NATO-Bündnisfall“ würde mehr Geld benötigt werden (4,9 Milliarden Euro für Investitionskosten und 890 Millionen Euro an Betriebskosten). Eine größere Rolle spiele hier der Schutz des Krankenhauses und die Ausweitung der Lagerhaltung, aber kein Ausbau von unterirdischen Schutzräumen.

Für das dritte Szenario „Verteidigungsfall“ – also ein kriegerischer Angriff auf Deutschland – würden der Studie zufolge die benötigten Investitionskosten bei 14 bis 15 Milliarden Euro und die Betriebskosten rund 1,1 Milliarden Euro betragen.

Mehr als ein Drittel der Investitionskosten entfalle auf den Ausbau und die Nutzung geschützter Räume. Wichtig sei für dieses Szenario, künftig bei Neubauten die unterirdischen Schutzräume von Anfang an mitzuplanen, forderte Augurzky. Es brauche hierfür auch eine Beschleunigung des Bauens, nicht nur für den Verteidigungsfall.

Dass Deutschland in der Lage sei, schnell zu handeln und Vorhaben umzusetzen, habe etwa 2022 das LNG-Beschleunigungsgesetz gezeigt, mit dessen Hilfe die LNG-Terminals schnell aufgebaut werden konnten. Entsprechend brauche es ein Baubeschleunigungsgesetz für Kliniken, um die bürokratischen Hürden zu überwinden, erklärte Augurzky.

„Da die Maßnahmen nicht der normalen Krankenversorgung dienen, sollten die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Investitionen aus dem Sondervermögen ‚Verteidigung‘ finanziert werden“, heißt es weiter in dem Gutachten.

Konkret könnte man beim geplanten Transformationsfonds im Zuge der Krankenhausreform zusätzlich Gelder aus dem Sondervermögen Verteidigung hinzuziehen, etwa um das Bauen von unterirdischen Schutzräumen zu finanzieren, schlägt Augurzky vor.

Die DKG habe das Gutachten in Auftrag gegeben, weil entsprechende Szenarien derzeit in Deutschland diskutiert werden, sagte Gaß. Zwar seien auch die Krankenhausträger in der Pflicht, entsprechend verantwortlich zu agieren und Maßnahmen anzugehen. Allerdings müsste vor allem die Politik nun die gewonnenen Erkenntnisse nutzen und priorisieren, wofür Mittel aus dem Sondervermögen Verteidigung im Krankenhausbereich eingesetzt werden könnten, sagte Gaß.

Im Zuge der derzeit voranschreitenden Krankenhausreform sei das Thema Krisenresilienz in den Krankenhäusern hingegen noch gar kein Thema, bemängelte Gaß. „Jetzt ist aber der richtige Zeitpunkt, um darüber zu debattieren.“ Schwierig werde es, wenn durch die Reform große bauliche Veränderungen bei den Kliniken vorangetrieben würden, ohne etwa unterirdische Schutzräume mitzudenken, betonte Gaß. „Dann müsste man die gleiche Aufgabe mit doppelten Kosten anfassen.“

cmk

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