Krankenhausreform: Weitere Kritik an geplanten Änderungen

Berlin – Die anstehende Reform der Krankenhausreform soll Kliniken und Bundesländern mehr Ausnahmen und mehr Zeit für eine Umsetzung verschaffen. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) spricht von Änderungen, die die Reform „praxistauglicher“ machen soll.
Noch bis kommende Woche Donnerstag können Verbände und Länder ihre Stellungnahmen zu den vorgesehenen Anpassungen abgeben. Bereits vergangene Woche gab es Lob, aber auch Kritik zu den geplanten Änderungen im kürzlich vorgelegten Referentenentwurf des Krankenhausanpassungsgesetzes (KHAG) – und vor allem die kritischen Töne reißen nicht ab.
Mit dem KHAG sollen vier Leistungsgruppen gestrichen werden, die im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) von Ende 2024 noch vorgesehen waren. Dazu gehören die spezielle Kinder- und Jugendmedizin sowie die spezielle Kinder- und Jugendchirurgie. Kinder- und Jugendmediziner befürchten deshalb eine drohende Unterversorgung.
In den vergangenen Jahrzehnten habe sich die Kinder- und Jugendmedizin gemäß den medizinischen Notwendigkeiten weiterentwickelt und differenziert, erklärte kürzlich die Fachgesellschaft der Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).
Wie in der Erwachsenenmedizin auch gebe es Spezialisten und Spezialistinnen für Kinderkardiologie, -gastroenterologie, -pneumologie, -neurologie und viele weitere, die insbesondere chronische Organerkrankungen behandeln und Komplikationen vorbeugen würden.
Die Regierungskommission Krankenhaus – die der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Erarbeitung der Krankenhausreform eingesetzt hatte – hatte empfohlen, diese spezialisierten Bereiche analog zur Erwachsenenmedizin zu berücksichtigen.
Die ersatzlose Streichung im KHAG werfe nun Fragen auf, wie diese Leistungen in der Zukunft finanziert und in der Planung berücksichtigt werden sollen, hieß es. „Wer behandelt dann die kranken Kinder? Fachfremde Behandlung durch Erwachsenenmediziner? – Das darf die Politik nicht unbeantwortet lassen“, sagte DGKJ-Präsidentin Ursula Felderhoff-Müser.
Dieses Vorgehen sei ein extremer Rückschritt für die medizinische Versorgung kranker Kinder. „Statt die spezialfachärztliche Versorgung abzusichern, katapultiert uns dieses Konzept zurück in die 1960er-Jahre“, kritisierte Felderhoff-Müser.
Sorge vor spezialisierter Kindermedizin an nicht qualifizierten Kliniken
Die Folge aus Sicht der Fachgesellschaft: Hochspezialisierte Bereiche wie Kinderrheumatologie oder Kindergastroenterologie würden künftig in die Leistungsgruppe allgemeine Kinder- und Jugendmedizin fallen, die geringere Kostenstrukturen hätten.
Damit könnten spezialisierte Leistungen auch an nicht qualifizierten Kliniken erbracht werden, bemängelte DKGJ-Generalsekretär Burkhard Rodeck. „Die Politik muss sicherstellen, dass spezialisierte Angebote für Kinder weiterhin flächendeckend verfügbar sind – und nicht durch technische Planungslücken verschwinden. Leidtragende wären dann wieder einmal die Kinder“, sagte Rodeck.
Weiter gibt es vor allem zu den Vorgaben der Leistungsgruppen Kritik und Verbesserungsvorschläge. Der Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC) kritisiert die zu hohe Anzahl vorzuhaltender Fachärzte. Davon sei die spezialisierte Chirurgie in besonderem Maße betroffen, wenn mehr als ein oder zwei verwandte Leistungsgruppen vorgehalten werden sollten.
„In diesen Fällen verdoppelt oder verdreifacht sich die Anzahl der benötigten Fachärzte zur Erfüllung der Anforderungen“, bemängelte BDC-Präsident Hans-Joachim Meyer. Dies werde in vielen Kliniken die ohnehin schon angespannte Personalsituation weiter verschärfen und sich nur schwer realisieren lassen.
Für die fachärztliche Weiterbildung brauche es etwa Lösungen für die Finanzierung in Klinik und Praxis, forderte der BDC weiter. Im Rahmen der neuen Leistungsgruppenzuteilung müssten komplexe Modelle der Rotation für Weiterzubildende entwickelt werden für eine fundierte und zeitgerechte Erfüllung des Weiterbildungscurriculums, so der Vorschlag des BDC. Dafür müsse eine angemessene Vergütung vorgesehen werden.
Risiko einer schleichenden Qualitätsabsenkung befürchtet
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) bemängelt hingegen die Aufweichung der Qualitätsvorgaben in den Leistungsgruppen. So soll etwa die vorgeschriebene Endoskopie-Vorhaltezeit in der Inneren Medizin sinken und die Pflicht zur Vorhaltung eines Blutdepots in der speziellen Traumatologie entfallen.
„Solche Änderungen erhöhen die Flexibilität der Kliniken, bergen jedoch das Risiko einer schleichenden Qualitätsabsenkung“, kritisierte DGCH-Generalsekretär Thomas Schmitz-Rixen. Das gelte insbesondere für die Lockerung bei onkochirurgischen Mindestmengen und Spezialisierungsanforderungen.
„Onkologische Fachverbände und Vertreter seltener Erkrankungen warnen zu Recht, dass künftig mehr komplexe Operationen in Kliniken mit geringer Fallzahl durchgeführt werden, was das Risiko für Patienten erhöhen könnte“, erklärte Schmitz-Rixen.
Insgesamt wirke der Gesetzentwurf wie eine politische Kompromisslösung, die die Reformziele zwar formal beibehalte, sie aber durch großzügige Ausnahmen, verlängerte Übergangsfristen und weichere Standards stark abschwäche, resümierte er.
„Im Ergebnis werden bestehende Strukturen stabilisiert und notwendige Qualitätsverbesserungen in die Zukunft verschoben“, sagte Schmitz-Rixen. Damit sei zwar der akute Reformdruck für zahlreiche Krankenhäuser genommen, zugleich steige jedoch das Risiko, dass die angestrebte Spezialisierung und Qualitätssteigerung im Versorgungsalltag verwässert – und die eigentlichen Ziele der Krankenhausreform in den Hintergrund treten.
Auch der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zufolge gehen die Anpassungen in die falsche Richtung. Dass jedes Bundesland künftig selbst entscheiden können solle, ob und inwieweit die im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz vorgesehenen Maßstäbe zur Behandlungsqualität angesetzt würden, würde zu einem Flickenteppich in der Versorgungsqualität onkologischer Patientinnen und Patienten führen, bemängelte DKG-Generalsekretär Johannes Bruns. Dies werde die Behandlung von Krebsbetroffenen nicht verbessern. „Wir fordern evidenzbasierte, einheitliche und flächendeckende Qualitätsstandards in ganz Deutschland.“
Ausreichend Pflegepersonal als Qualitätskriterium beibehalten
Der Deutsche Pflegerat (DPR) warnt vor der vorgesehenen Streichung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV). Diese war bislang als Qualitätskriterium für die Leistungsgruppen vorgesehen, das KHAG will dies nun ändern.
„Die PpUGV ist die einzige geltende Leitplanke, die pflegerische Mindeststandards im Krankenhaus in den aktuellen Reformbestrebungen verbindlich absichert“, kritisierte Christine Vogler, Präsidentin des DPR. „Wenn sie fällt, bleibt keine einzige pflegespezifische Anforderung im KHVVG mehr übrig.“ Das sei ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten, so Vogler.
Zwar würden die Pflegepersonaluntergrenzen formal bestehen bleiben, jedoch ohne jede Verbindung zur Leistungsgruppensystematik. Pflegequalität werde nicht mehr zum Planungskriterium und damit inhaltlich wieder abgewertet. „Wenn Pflegequalität aus den Leistungsgruppen verschwindet, wird sie zur Nebensache. Das können wir nicht hinnehmen“, so Vogler.
Bis es die gesetzlich verbindliche Pflegepersonalbemessung PPR 2.0 gebe, sei diese Untergrenzenregelung die rote Linie, sagte Vogler weiter. Die Streichung aus den Leistungsgruppen oder der komplette Wegfall wäre ein Frontalangriff auf die pflegerische Versorgung, mit kalkulierten Risiken für die Patienten.
Der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) hingegen sieht die geplante Streichung der Pflegepersonaluntergrenzen als Qualitätskriterium für die Leistungsgruppen positiv.
Brandenburg fordert weitere Ausnahmemöglichkeiten
Auch von den Ländern kam eine erste Reaktion. Der aktuelle Entwurf des KHAG sei ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Krankenhausreform, erklärte Brandenburgs Gesundheitsministerin Britta Müller (parteilos). Gleichzeitig forderte sie weitere Nachbesserungen.
So seien die geplanten Ausnahmeregelungen (für maximal sechs Jahre) positiv zu bewerten. Insbesondere die unbefristeten Ausnahmen für die Sicherstellungskrankenhäuser seien richtig, so Müller. Allerdings reichen ihr diese nicht. Es sei kritisch, dass es keine Möglichkeit geben soll, längere Ausnahmen auch für geplante Konzentrations- oder Schließungsprozesse zu nutzen.
Müller forderte zudem mehr Flexibilität bei der Anrechnung von Fachärztinnen und Fachärzten. Diese dürfen nach wie vor für maximal drei Leistungsgruppen angerechnet werden. „Hier ist mehr Flexibilität nötig, um gerade in der Fläche die Versorgung zu sichern“, betonte die Ministerin. Problematisch sei zudem, dass Tageskliniken künftig dieselben Qualitätskriterien wie vollstationäre Einrichtungen erfüllen müssten. Das sei eine Hürde für dezentrale tagesklinische Angebote in Brandenburg.
Neben den Leistungsgruppen gibt es Kritik auch an anderen Aspekten der Reform. So müssten die Regelungen zu den Hybrid-DRG angepasst werden, forderte BDC-Präsident Meyer. „Behandlungen dürfen kein Nullsummen- oder Minusspiel sein, sonst wird die Chirurgie als ärztlicher Beruf unattraktiv“, sagte Meyer. Diese Schieflage in der Abrechnung von Leistungen im Rahmen der Hybrid-DRG müsse unbedingt korrigiert werden.
Aus Sicht des VKD seien die Fallvorgaben für die Hybrid-DRG nicht leistbar und würden die Versorgung nicht verbessern. Für die Krankenhäuser ergeben sich daraus erhebliche Erlösverluste, denen auf der Kostenseite keine Deckung bei den Personal- und Sachkosten gegenübersteht, erklärte der VKD.
Der BDC fordert weiter: Statt der Vorhaltevergütung in der aktuellen Form brauche es eine Überarbeitung und eine übergangsweise Einführung weiterer Strukturkostenkomponenten, etwa Zuschläge für Notfallstufen, Zentren und insbesondere auch für die Weiterbildung.
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