Krankenkassen für Strukturreform in der ambulanten Versorgung

Berlin – Der GKV-Spitzenverband ruft die Politik zu tiefgreifenden Reformen der ambulanten Versorgung auf. Unter anderem werden eine verpflichtende Ersteinschätzung in die Versorgungsebenen, ein Primärversorgungsmodell, mehr Digitalisierung und mehr Steuerung durch die Krankenkassen vorgeschlagen. Das geht aus einem neuen Positionspapier hervor.
Der Zugang zur ambulanten Versorgung und die Koordination im Gesundheitssystem muss endlich effizienter ausgestaltet werden und sich stärker am realen medizinischen Behandlungsbedarf ausrichten“, sagte Susanne Wagenmann, Verwaltungsratsvorsitzende des Verbandes und Vertreterin der Arbeitgebenden.
Laut dem Konzept sollen Versicherten künftig verpflichtend ein Verfahren zur Ersteinschätzung nutzen – digital oder telefonisch. Dieses Verfahren soll die Behandlungsnotwendigkeit, Dringlichkeit und den Versorgungspfad klären.
„Um hier die entsprechende Reichweite und Akzeptanz zu erzielen, sollte gemeinsam mit der Ärzteschaft ein einheitliches verbindliches Tool zur Anwendung kommen, das über unterschiedliche Zugänge erreicht werden kann“, heißt es in dem Papier. Bestehende Systeme wie die 116117 sowie die Terminservicestellen sollen dabei genutzt und ausgebaut werden.
Zweitens soll die Versorgung stärker in größeren, kooperativ organisierten primärversorgenden Praxen gebündelt werden. Sie sollen je nach Bedarf an Fachärzte oder andere Versorgungssektoren weitervermitteln. Delegation und Substitution von Leistungen an nicht ärztliche Berufsgruppen sollen dabei die Ärzteschaft entlasten.
Eine zentrale Rolle spielen in dem Krankenkassenkonzept digitale Anwendungen wie die elektronische Patientenakte (ePA) und die elektronische Überweisung.
Durch standardisierte Datenübermittlung und automatisierte Rückmeldungen sollen primärversorgende Praxen jederzeit über den Behandlungsstand ihrer Patienten informiert sein. In Verbindung mit einem bundesweit einheitlichen digitalen Terminvergabesystem sollen Facharzttermine bedarfs- und zeitgerecht vermittelt werden.
Wichtig sei auch eine rasche Datenübermittlung vertragsärztlicher Leistungen an die Krankenkassen. Diese sollen dadurch in die Lage versetzt werden, unterstützende Funktionen wie Erinnerungen an Impftermine oder Präventionsangebote zeitnah anzubieten.
„Aktuell erhalten Krankenkassen und ihre Versicherten Informationen zum ambulanten Leistungsgeschehen aus der Übermittlung von versichertenbezogenen vertragsärztlichen Abrechnungsdaten circa fünf Monate nach Ablauf des Quartals, in dem die Leistungen erbracht wurden. Diese Verzögerung hindert Krankenkassen derzeit daran, eine unterstützende oder koordinierende Funktion wahrnehmen zu können“, heißt es in dem Papier. Dies soll sich nach der Vorstellung des GKV-Spitzenverbandes ändern, damit die Kassen stärker koordinierend tätig werden können.
Kritik an dem Papier kommt von den Vertragsärzten. „Was unter dem Deckmantel der besseren Koordination und Digitalisierung vorgelegt wird, bedeutet in Wahrheit eine Entmündigung und eine systematische Schwächung der ambulanten Fachärzteschaft“, sagte Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (Spifa).
Eine taggleiche Übermittlung von Behandlungsdaten sei aus Sicht der Fachärzte durchaus begrüßenswert, wenn dies dann auch entsprechend in eine sofortige vollumfängliche Vergütung mündete anstelle einer budgetierten um Monate verspäteten Zahlung.
„Mit dem Aufbau einer digitalen staatlich-zentralisierten Plattform löst man aktuell bestehende Versorgungsengpässe nicht, sondern schaufelt lediglich über Jahre hinweg ein Millionengrab“, sagte Norbert Smetak, Mitglied des Spifa-Vorstandes.
Zudem sei die Forderung, alle Diagnosen und Therapien vollumfänglich noch am selben Tag an die Krankenkassen zu übermitteln realitätsfern und schlicht nicht erfüllbar. „Da sprechen die Schreibtischtäter und es zeigt sich wieder eine Misstrauenskultur die nur zu mehr Bürokratie, aber nicht zu besserer Versorgung führt.“
„Der Haus- und Fachärztemangel wird sich in den kommenden Jahren weiter dramatisch auf die ambulante Versorgung der Bevölkerung auswirken“, sagte Michael Eckstein, stellvertretender Vorsitzender von Medi Baden-Württemberg und praktizierender Hausarzt.
Statt kooperative und effiziente Vorschläge mit der Ärzteschaft gemeinsam zu erarbeiten, entwickele der GKV-Spitzenverband mit seinem neuen Positionspapier auch für junge Mediziner eine „abschreckende Kampagne gegen die Niederlassung“. Er betonte, der Spitzenverband habe „den Ernst der Lage anscheinend nicht verstanden“.
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