Krebsgesellschaft weist auf ungenutzte Potenziale der Krebsstrategie hin
Berlin – Brücken bauen zwischen Wissenschaft und Politik – das ist das Ziel der im Jahr 2019 initiierten Nationalen Dekade gegen Krebs, der langfristigen Forschungsstrategie gegen Krebs in Deutschland. Doch gerade bezüglich der Vernetzung bleiben noch viele Potenziale im Kampf gegen den Krebs ungenutzt, bedauerte gestern die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG).
Als Bilanz nach den ersten Jahren zeigte die politische Diskussionsveranstaltung „Brennpunkt Onkologie“ der Deutschen Krebsgesellschaft gestern in Berlin neben Erfolgen und künftigen Herausforderungen auch das Besondere an der Nationalen Dekade gegen Krebs: Sie ist ein ressortübergreifendes sowie sektoren- und interessenübergreifendes Programm, unterstützt vom Bundesforschungs- und Bundesgesundheitsministerium.
„Die Dekade bewirkt ein intensives Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik. Sie berät die Politik, um tatsächlich in der Versorgung etwas zu verändern und um mit vereinten Kräften die Krebsforschung in Deutschland entscheidend voranzubringen“, sagte Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft.
Die Dekade (2019 bis 2029) ergänze den auf die Versorgung fokussierten Nationalen Krebsplan, könne onkologische Themen voranbringen und dann tatsächlich strukturelle Veränderungen bewirken. Dabei würden die Belange der Patientinnen und Patienten in den Fokus gesetzt.
Neu ins Licht geholt würde dabei insbesondere das Zusammenwirken von Forschenden und Versorgenden, so Bruns. „Das war schon immer unser Ziel als Deutsche Krebsgesellschaft.“
Ausgerufen wurde die Nationale Dekade am 4. Februar 2019, am Weltkrebstag. 2019 hatten sich dafür 16 Akteure aus Medizin, Forschung, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zusammengetan; inzwischen hat die Dekade 58 Organisationen als Unterstützer.
Innerhalb der Dekade gegen den Krebs soll die Forschung in den Bereichen Prävention, Früherkennung, Diagnostik und innovative Therapien vorangetrieben und ausgebaut werden. Ziel ist es, Ergebnisse und Innovationen schnell zu den Patientinnen und Patienten zu bringen und die Erkenntnisse aus der Versorgung für die Forschung zu nutzen.
Der Strategiekreis habe dafür drei wesentliche Handlungsfelder identifiziert und Arbeitsgruppen eingerichtet, berichtete Bruns. Diese beschäftigten sich mit ungeklärten Fragen der onkologischen Spitzenforschung, mit der Präventionsforschung sowie mit der „Wissen generierenden Versorgung“. Insbesondere letztere könne nur durch Vernetzung von Forschung und Versorgung erfolgreich sein, betonte Bruns.
Erste Erfolge gibt es bereits – sowohl bezüglich einer besseren Vernetzung der Akteure im Gesundheitswesen als auch der Forschungsförderung. So wird beispielsweise das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) von zwei auf sechs Standorte erweitert. Zudem wurden in den vergangenen Jahren mehrere Förderrichtlinien erlassen.
Gerade bewilligte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zudem einen Förderantrag für ein Konzept zur bundesweiten Zusammenführung von Krebsregisterdaten mit anderen Daten zu Forschungszwecken. Führende onkologische Organisationen und Vertretende der Krebsregistrierung wollen jetzt gemeinsam ein Konzept für eine Plattform erarbeiten, die die Datenzusammenführung bundesweit und anlassbezogen ermöglicht und eine Verknüpfung mit anderen Datenquellen zulässt.
Vorgesehen ist außerdem die fachliche Begleitung sowie die Bereitstellung von Expertise für eine klinisch-wissenschaftliche Auswertung der zusammengeführten Daten. Mit der Plattform soll das Nutzenpotential der Krebsregisterdaten in der Verknüpfung mit anderen Datenquellen noch besser ausgeschöpft werden.
„Am Ende ist die Dekade ein Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik, bei dem es nur gemeinsam funktionieren kann. Die Politik braucht Beratung. Um grundsätzlich weiterzukommen, brauchen wir aber auch Gesetzesänderungen. Die Dekade sollte einen Raum bieten, um über Fraktionen und Ressorts hinaus die Belange der Patientinnen und Patienten sowie der Versorgung in den Blick zu nehmen und voranzubringen“, sagte Bruns.
Der Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft richtete den Blick auch in die Zukunft: „Langfristig sollte daraus ein unbefristetes ‚Nationales Netzwerk gegen Krebs‘ hervorgehen, um keine Befristung zu haben und den Mut zu haben, voranzuschreiten und gemeinsam etwas zu entwickeln“, erklärte er.
Die bislang noch ungenutzten Potenziale des Zusammenwirkens betonte auch Olaf Ortmann vom Vorstand der Deutschen Krebsgesellschaft. „Die Defizite in der Onkologie liegen nicht bei der Forschung oder dem Fehlen von Strukturen der Versorgung, sondern vielmehr bei der mangelhaften Vernetzung zwischen Forschung und Versorgung“, sagte das Mitglied des Strategiekreises der Dekade gegen den Krebs und Mitvorsitzender der Arbeitsgruppe „Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung“.
„Sowohl der Transfer von Erkenntnissen aus der klinischen Forschung in die Versorgung als auch die Nutzung von Daten aus der Versorgung für die Forschung funktionieren noch nicht so gut, wie wir es uns wünschen“, sagte Ortmann.
Dabei verwies er auf den Kreislauf zwischen Innovationen in Krebsforschung und deren Implementierung in die Versorgung sowie dem Erkenntnisgewinn daraus, der wiederrum die Versorgung verbessern könne.
„Wir sollten Leitlinien in zertifizierten Zentren umsetzen, dort Daten generieren und in Krebsregistern speichern, damit sie dann wieder zu evidenzbasierten Leitlinien führen können“, sagte er. Hürden seien jedoch fehlende IT-Strukturen, fehlende interoperable Datensysteme und auch die Datenschutzgesetze.
Derzeit gebe es noch keine systematische Prüfung von Umsetzbarkeit, Wirkung und Nutzen der aus klinischer Krebsforschung gewonnenen Evidenz, bedauerte Ortmann. Die Versorgungsdaten würden bislang nur unzureichend für die Krebsforschung genutzt.
Nachholbedarf gibt es auch noch bei der interdisziplinären Zusammenarbeit. „Die Psychoonkologie kommt zu wenig in der ‚Dekade‘ vor“, bedauerte Ute Goerling, Koordinatorin Psychoonkologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Über den ganzen Behandlungspfad – von der Früherkennung, bei der genetische Testungen Betroffene belasten können, über die Therapie bis hin zur Nachsorge – spiele die psychoonkologische Versorgung eine Rolle. „Das bildet sich in den Aktivitäten der Dekade aber nicht ab“, kritisierte die Psychologin.
Zu wenig Beachtung finde aber auch die Chirurgie, meinte Michael Ghadimi, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin Göttingen und Präsident des Deutschen Krebskongresses 2022.
„Die chirurgische Onkologie ist eine der zentralen Fachrichtungen onkologischer Therapie. Sie bietet daher einen idealen Ansatzpunkt für die Nationale Dekade gegen Krebs, um onkologische Forschung voranzubringen und möglichst viele Krebspatientinnen und -patienten von ihren Erkenntnissen profitieren zu lassen. Die Aspekte der onkologischen Chirurgie müssen zukünftig bei Entscheidungsträgern mehr Gehör finden.“
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