Leitlinie zur Nachhaltigkeit in der Intensivmedizin veröffentlicht

Berlin – Unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) haben Fachleute die S1-Leitlinie „Nachhaltigkeit in der Intensiv- und Notfallmedizin“ veröffentlicht, in der zahlreiche Empfehlungen zusammengefasst sind: vom Energieverbrauch über die Müllvermeidung bis hin zur Reduzierung von Übertherapie.
„Der Klimawandel gilt als die größte globale Gefahr für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert“, heißt es in der Leitlinie. Das Gesundheitswesen befinde sich in einem Dilemma: Denn einerseits müsse es die durch die Klimakrise zunehmenden gesundheitlichen Folgeerkrankungen versorgen, andererseits trage es selbst erheblich zur Klimaveränderung bei.
Wenngleich eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung stets an erster Stelle stehen müsse, so stehe auch das Gesundheitssystem in der Verantwortung, Veränderungen und Einsparungen im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit anzustoßen.
High-Tech-Medizin verbraucht viele Ressourcen
„Um die Klimaschutzziele des Pariser Abkommens und des deutschen Klimaschutzgesetzes zu erreichen, muss auch der Gesundheitssektor in Deutschland seine Treibhausgasemissionen deutlich verringern“, betonen die Autorinnen und Autoren der Leitlinie.
Bisher sei dem Klimaschutz im deutschen Gesundheitswesen jedoch relativ wenig Beachtung geschenkt worden. Es fehlt ihrer Ansicht nach an einem nationalen systematischen Energie- und Emissionsmonitoring sowie an einer sektorübergreifenden Strategie zur Dekarbonisierung.
Die moderne Medizin und insbesondere die Intensiv- und Notfallmedizin habe zum verbesserten Überleben von schwerstkranken Patienten beigetragen. Die High-Tech-Medizin in der Intensiv- und Notfallmedizin benötige jedoch einen hohen technischen und materiellen Aufwand, der mit einem erheblichen Verbrauch an unterschiedlichen Ressourcen und der Produktion einer großen Menge von Abfall einhergehe. Dabei sei der Anteil der Intensiv- und Notfallmedizin an der Gesamtemission des Gesundheitswesens bislang nicht genau eruiert worden.
Motivation der Mitarbeitenden ist hoch
Aus Sicht der Autoren sind eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema und eine wachsende Bereitschaft zur Umsetzung notwendiger Klimaschutzmaßnahmen zu beobachten. In einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin zeige sich unter den Befragten eine hohe Motivation, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen, hieß es.
Vor diesem Hintergrund richtet sich die Leitlinie an Verantwortliche im Gesundheitswesen, an Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachkräfte. Ziel der Leitlinie ist es, für den Bereich der Intensiv- und Notfallmedizin konkrete Maßnahmen und Vorschläge zu formulieren, wie nachhaltige Arbeit ermöglicht und optimiert werden kann.
Green Teams auf der Intensivstation
Die Autoren empfehlen die Einrichtung einer übergeordneten Stabsstelle für Nachhaltigkeit in den Krankenhäusern. Neben der Benennung eines Nachhaltigkeitsbeauftragten seien auch sogenannte Green Teams wichtig, die auf der Ebene der Intensiv- und Notfalleinheiten arbeiten und aus Teammitgliedern aller Berufsgruppen bestehen sollten.
Diese sollten im Regelbetrieb beziehungsweise im laufenden Betrieb besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit legen, Projekte der Stabsstelle entsprechend umsetzen und als Multiplikatoren der Stabsstelle im Intensiv- und Notfallteam gelten. Zudem könne die Nachhaltigkeit auch im Einkauf verankert werden.
„Wir empfehlen die Einführung und Anwendung eines Bewertungskriteriums für Nachhaltigkeit im Einkauf von Medizinprodukten und Arzneimittel“, schreiben die Autoren. „Neben inhaltlichen haben bislang besonders finanzielle Aspekte die wichtigste Priorität. Hingegen hat Nachhaltigkeit nur einen geringen Einfluss auf Entscheidungen gehabt, sollte aber bei Kaufentscheidungen zukünftig eine größere Rolle spielen.“
Weniger Müll in Isolationszimmern
Bei der inhalativen Sedierung auf der Intensivstation solle Sevofluran aufgrund der geringeren Klimawirkungen gegenüber Isofluran für kurzzeitige Sedierungen bis 72 Stunden bevorzugt werden, empfehlen die Experten. Für längere Sedierungen über 72 Stunden hinaus könne aufgrund fehlender Daten in Bezug auf einen möglichen Diabetes insipidus keine Empfehlung für oder gegen die Verwendung von Sevofluran gegeben werden.
Zudem wird eine „maximal konservative“ Lagerhaltung in Isolationszimmern empfohlen. Eine Festlegung, dass nach Isolationsende in Schränken gelagertes Material entsorgt werden müsse, sei zudem auf Erreger zu beschränken, die durch dieses potenziell auf nachfolgende Patienten übertragen werde.
„Eine konservative Lagerhaltung in Isolationspatientenzimmern kann potenziell die Anzahl der verworfenen Medizinprodukte und Arzneimittel reduzieren“, heißt es. „Dies liegt daran, dass bei einer konservativen Lagerhaltungsstrategie die Lagerbestände auf das notwendige Minimum beschränkt werden, wodurch weniger Produkte aufgrund von Isolationsvorschriften entsorgt werden müssen.“
Einführung von Recyclingplänen
Empfohlen wird zudem die Einführung von Recyclingplänen auf einer Intensiv- und Notfalleinheit. Je nach Land, Studienauswertung und Material sollten die Mengen von recyclebaren Medizinprodukten demnach zwischen 20 und 80 Prozent liegen.
„Um möglichst hohe Recyclingraten zu erreichen, ist ein multimodales Konzept erforderlich, das die Einbindung aller wesentlichen Entscheidungsträgerinnen und -träger umfasst, darunter die Klinikleitung (Stabsstelle Nachhaltigkeit), die Leitung der Intensiv- und/oder Notfallstation und des Green Teams der entsprechenden Abteilung, Einkauf, Krankenhausapotheke, Krankenhaushygiene und das Abfallmanagement.“ Ziele und Maßnahmen sollten präzise definiert sein, beispielsweise die Reduzierung des Gesamtmülls oder das Erreichen einer spezifischen Recyclingquote.
Zudem empfehlen die Experten den Einkauf von wiederverwertbaren beziehungsweise recycelbaren Medizinprodukten und Verbrauchsmaterialien für die Intensiv- und Notfallmedizin. „Im Zuge des Europäischen Klimaschutzgesetzes und des Green Deals der Europäischen Union kommen gewaltige Änderungen auf den Gesundheitssektor zu“, schreiben sie zur Begründung.
„Spätestens über das Geschäftsjahr 2025 müssen größere Krankenhäuser (>250 Mitarbeiter) Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Darin müssen sie Rechenschaft über ihren Treibhausgasausstoß und ihre Strategien, wie sie diesen verringern wollen, ablegen.“
Im Zuge dessen werde unter anderem die Beschaffung von wiederverwertbaren beziehungsweise recycelbaren Medizinprodukten und Verbrauchsmaterialien für die Intensiv- und Notfallmedizin ein starker Hebel für Krankenhäuser sein, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern. Untersuchungen aus der Anästhesie und im Operationsbereich hätten gezeigt, dass Mehrwegprodukte ökologisch und finanziell oft vorteilhafter sind als Einwegprodukte, trotz eines leicht erhöhten Wasserverbrauchs.
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