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Interesse an Qualitätssiegel zum Klimaschutz in Arztpraxen wächst

  • Freitag, 29. November 2024
/Wanan, stock.adobe.com
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Göttingen – Arztpraxen können anhand einer Checkliste überprüfen, ob sie gut auf Krisensituationen vorbereitet sind. Die Checkliste, die die vier Handlungsfelder „Individuelle Resilienz“, „Krisenprävention“, „Praxisorganisation“ und „Klimaresilienz“ umfasst, ist aus dem Projekt „Krisenresilienz fördern: Entwicklung und Validierung von Qualitätsindikatoren zur Vorbereitung von ambulanten Arztpraxen auf Krisensituationen“ (Resilare) hervorgegangen, das aus Mitteln des Innovationsfonds gefördert wurde.

„Eine gute Vorbereitung auf Krisensituationen vermeidet nicht nur unnötigen Stress in den Praxisteams, sie dient auch dem Schutz vulnerabler Patientengruppen durch angemessene Reaktionen zum Beispiel bei Pandemien“, sagt Björn Broge zum Deutschen Ärzteblatt (), Geschäftsführer des Göttinger Aqua-Instituts, welches die Checkliste und dahinterstehende Indikatoren gemeinsam mit verschiedenen Projektpartnern aus der Praxis und der Versorgungsforschung entwickelt hat. „Für das Projekt haben wir bereits etablierte Strukturen des Qualitätsmanagements genutzt, um die Indikatoren zur Krisenresilienz zu entwickeln.

Die Indikatoren des Handlungsfelds „Individuelle Resilienz“ zielen darauf ab, sich mit der Stärkung der Resilienz des Praxisteams zu beschäftigen. Zu den Indikatoren zählt zum Beispiel die Frage, ob den Mitarbeitenden mindestens alle drei Jahren Maßnahmen zur Selbststärkung in Bezug auf Krisensituationen wie Achtsamkeitstrainings oder das Erlernen von Entspannungstechniken angeboten werden, oder die Frage, ob die Praxis in der Lage ist, in Krisensituationen oder bei Personalmangel die Aufgaben kurzfristig durch Priorisierung neu zu verteilen, um handlungsfähig zu bleiben.

Zum Handlungsfeld „Praxisorganisation“ heißt es: „Gute Strukturen helfen, sich in Krisensituationen zurechtzufinden. Gerade auch der Austausch mit anderen Kolleginnen und Kollegen, beteiligten Stakeholdern wie zum Beispiel Apotheke, Nachbarschaft, Kommune ist von Bedeutung.“ Zu den Indikatoren dieses Handlungsfelds zählt die Frage, ob die Praxis über Kommunikationskanäle verfügt, über die Patienten im Krisenfall erreicht und informiert werden können.

Checkliste im Internet verfügbar

Zum Handlungsfeld „Klimaresilienz“ heißt es: „Durch das sich verändernde Klima ist ein Bündel an Maßnahmen wichtig, um den künftigen Anforderungen gewachsen zu sein. Dabei spielen abmildernde Maßnahmen und Handlungen (Mitigation) und Maßnahmen zur Klimaanpassung (Adaptation) eine wesentliche Rolle.“ Hier zählen zu den Indikatoren unter anderem die Fragen, ob die Praxis über ein Konzept für eine nachhaltigere und klimafreundlichere Arbeitsweise verfügt und über einen individualisierten Hitzeschutzplan.

Das Projekt Resilare wurde in diesem Jahr abgeschlossen. Der Abschlussbericht liegt dem Projektträger derzeit zur Prüfung vor. Die Checkliste steht schon heute im Internet zur Verfügung.

Weiterentwicklung zum Qualitätssiegel

Ein Teil der Erkenntnisse, die bei Resilare gewonnen wurden, haben darüber hinaus bereits Eingang in die Versorgung gefunden: Auf deren Grundlage hat das Aqua-Institut zusammen mit weiteren Partnern das Qualitätssiegel Nachhaltige Praxis entwickelt, das interessierte Arztpraxen erwerben können. Inhaltlich wurden bei der Weiterentwicklung neben der ökologischen zusätzlich die soziale und die ökonomische Perspektive einbezogen. Außerdem wurden Unterstützungselemente, wie zum Beispiel E-Learning Module, ergänzt.

Mit diesem Qualitätssiegel werden Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren ausgezeichnet, die sich nachweislich und systematisch engagieren, ökologische, soziale und ökonomische Ziele im Praxisalltag in Einklang zu bringen. Das Siegel erhält, wer eine Reihe von Kernanforderungen erfüllt. Einrichtungen mit besonders guten Ergebnissen werden mit einer Exzellenzstufe ausgezeichnet.

Entscheidend für den Erhalt des Qualitätssiegels ist eine grundlegend nachhaltige Gestaltung der Abläufe und Prozesse in der Praxis. „Das betrifft zum einen alltägliche Aspekte wie Papierverbrauch oder Mülltrennung“, sagt Broge. „Aber auch größere Projekte wie die Ermittlung des CO2-Fußabdrucks, die Erstellung eines praxisindividuellen Hitzeschutzplans und dessen Verankerung in einem Nachhaltigkeitskonzept sind Bestandteil. Teilnehmende Praxen werden anhand einer integrierten E-Learning-Plattform an diese Themen herangeführt und geschult.“

Positiver Effekt auf die Wettbewerbsfähigkeit

„Nachhaltigkeit in einer Arztpraxis ist mehr als die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. Ebenso wichtig ist beispielsweise, den Mitarbeitenden ein gesundes Arbeitsumfeld zu bieten“, so Broge. Er betont, ein zufriedenes, resilientes und anpassungsfähiges Praxisteam habe auch einen positiven Effekt auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Praxis.

Konkret besteht das Siegel aus den Modulen „Nachhaltigkeit und Klimaschutz“, „Rationale und nachhaltige Pharmakotherapie“, „Klimabezogene Aspekte der Patientenversorgung“ und „Resilienz und Verankerung“. Das Modul „Nachhaltigkeit und Klimaschutz“ enthält 15 Indikatoren, zu denen das Vorliegen eines schriftlichen Nachhaltigkeitskonzepts gehört, die Frage, ob der CO2-Fußabdruck der Praxis gemessen und reduziert wird und ob das Praxisteam bei der Erstellung und Umsetzung mit eingebunden ist. Und zu dem Modul „Rationale und nachhaltige Pharmakotherapie“ gehören die Indikatoren Medikationsmanagement, Anwendungsdauer von Arzneimitteln oder Deprescribing. Das Siegel wird nach einer unabhängigen Prüfung durch die Stiftung Praxissiegel e. V. verliehen.

Bislang mehr als 170 teilnehmende Praxen

Für die Schulungen und die Umsetzung der Maßnahmen sollten die Praxen Broge zufolge etwa zwei bis sechs Monate einplanen. Werden die Anforderungen erfüllt, dann ist das Siegel für drei Jahre gültig. Die Online-Schulungsmodule werden als Weiterbildung von den Ärztekammern anerkannt. In vielen Selektivverträgen zur „Hausärztlichen Versorgung“ (HzV) erhalten Praxen mit dem Qualitätssiegel darüber hinaus einen Zuschlag auf die Grundpauschale.

„Bis heute haben wir mehr als 170 Arztpraxen, die für den Erwerb des Siegels eingeschrieben sind. 50 Praxen wurden bislang auditiert“, sagt Broge. „Für die Vorbereitung auf das Siegel haben die bisherigen Teilnehmer sehr unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Neben den erwartbaren Bemühungen im Feld der Reduktion von Verbräuchen haben eine Reihe von Einrichtungen das Siegel als Anstoß genutzt, ihr Arzneimittelmanagement umzustellen. Andere Einrichtungen haben den Schwerpunkt dagegen auf die Verbesserung ihres Qualitätsmanagements gelegt. Wir haben den Eindruck, dass bisher alle auditierten Einrichtungen hilfreiche Anstöße zur Weiterentwicklung ihrer Praxis in den Inhalten des Siegels gefunden haben.“

Absetzen einer unnötigen Medikation spart Treibhausgase ein

„Manche der Praxen sind überrascht, was alles in die Nachhaltigkeit hineinspielt“, berichtet Christina Degener, die das Siegel beim Aqua-Institut betreut, „zum Beispiel, dass das Absetzen einer nicht notwendigen Medikation nicht nur Nebenwirkungen vermeiden kann, sondern auch Treibhausgase einspart, die bei der Produktion und dem Transport der Arzneimittel entstehen.“

„Viele Ärztinnen und Ärzte erzählen uns, dass sie oft darauf angesprochen werden, dass sie das Siegel erhalten haben“, so Degener weiter. „Die Ärzte sind stolz darauf und nutzen das Siegel als Werbung für ihre Praxis. Auch und gerade von den Mitarbeitenden wird das geschätzt.“ Die Idee sei ohnehin, das ganze Praxisteam mit einzubeziehen. Die Nachhaltigkeitsbeauftragten, die man für das Siegel benennen muss, seien oft Medizinische Fachangestellte. Diese sorgten dann dafür, dass die Maßnahmen in den Praxisalltag übernommen werden.

Dem Klimawandel nicht mehr hilflos ausgeliefert

„Nicht unwichtig ist aus meiner Sicht bei dem Siegel die zusätzliche Vergütung, die die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte erhalten“, meint Broge. „Das ist eine Extrawürdigung für die Praxen, denen Klimaschutz ohnehin wichtig ist. Auf diese Weise kann man eine Veränderung in der Versorgung anstoßen.“

Broge zufolge nimmt die Anzahl der Teilnehmer derzeit zu, allerdings noch auf einem eher niedrigen Niveau. „Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte spiegeln uns“, fasst Degener zusammen, „weshalb es sich für sie gut anfühlt, das Siegel erhalten zu haben: Sie sind dem Wandel nicht mehr hilflos ausgeliefert. Sie kommen in die Aktion und tun etwas Sinnvolles, auch für ihre Patientinnen und Patienten. Das fühlt sich gut an.“

fos

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