Politik

Luftverschmutzung: Niedrigere Grenzwerte für Europa gefordert

  • Dienstag, 20. Juni 2023
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Berlin – Die derzeit geltenden Grenzwerte für Feinstaubbelastung und Luftverschmutzung in Deutschland und Europa sind deutlich zu hoch. Das kritisierten gestern Expertinnen bei einer Anhörung des Unterausschusses Globale Gesundheit im Bundestag.

Luftverschmutzung ist die weltweit vierthäufigste Todesursache, erklärte die Medizinerin und Forscherin Babette Simon von der Universität Paris. Rund 6,7 Millionen Menschen verstarben im Jahr 2019 aufgrund von Feinstaub und anderen Partikeln in der Luft. Insbesondere Feinstaub und Stickstoffdioxid seien gesundheitsgefährlich, so Simon. Aber auch Ozon habe gesundheitliche Auswirkungen.

Je kleiner die Partikel zudem sind, desto tiefer gelangen sie in die Lunge und wirken dort meist toxisch oder entzündlich. Nanopartikel gelangen zudem ins Blut und wirken damit überall im Körper, erklärte Simon aber auch die Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann von der Universität Duisburg-Essen.

Eine große Anzahl an Studien habe gezeigt, dass Luftverschmutzung jedes Organ schaden könne, darunter die Atemwege, der Stoffwechsel, das Nervensystem. Zudem seien oftmals auch Diabetes oder psychische Erkrankungen auf Luftverschmutzung zurückzuführen, erklärte Simon.

„Bei schwangeren Frauen steigt mit zunehmender Luftverschmutzung zudem das Risiko einer Schwangerschaftsvergiftung und Schwangerschaftsdiabetes“, sagte Hoffmann. Auch Frühgeburten werden damit wahrscheinlicher. Bei Kindern stünden zudem insbesondere Atemwegserkrankungen im Vordergrund. „60 Prozent der Asthma-Erkrankungen werden durch Luftverschmutzung ausgelöst“, sagte Hoffmann.

Eine neue Studie habe zudem gezeigt, dass Luftverschmutzung in Deutschland Lungenkrebs verursache obwohl die Feinstaub- und Partikelwerte unterhalb der geltenden Grenzwerte in Deutschland lagen, erklärte Simon. Die Studie ist im Februar in der Publikation Nature erschienen (DOI: 10.1038/s41586-023-05874-3).

Empfehlungen der WHO in Gesetze gießen

Die wichtigste Konsequenz aus dieser Erkenntnis sei, dass es eine strengere Regulation bezüglich der Feinstaubbelastung geben müsse, forderte Simon. Zwar habe sich die Luftqualität in Deutschland in den vergangenen Jahren verbessert, allerdings wurden die heutigen Schadstoffgrenzwerte vor mehr als 20 Jahren festgelegt und entsprächen damit nicht mehr den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Wie hoch die Gesundheitsgefahr einer Stadt, Region oder einem Land aufgrund der Luftverschmutzung tatsächlich ist, könne mithilfe der Software AirQ+ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt werden, erklärte Dorota Jarosińska von der WHO. Auch eine deutsche Version ist verfügbar.

Simon verwies zudem auf Empfehlungen der WHO, die 2021 neue Grenzwerte für Luftverschmutzung vorgeschlagen hatte. Die EU arbeite gerade daran, diese Empfehlungen in verbindliche Grenzwerte festzulegen. Allerdings lägen die von der EU adaptierten Grenzwerte höher als die Empfehlungen der WHO. Hoffmann ergänzte, dass der entsprechende Entschluss des europäischen Parlaments im Juli anstehe.

Weitere Messstellen gefordert

Die Bundesregierung sei aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die EU-Normen an den Empfehlungen der WHO orientiert werden sollten, forderte Simon. Zudem müssten weitere gesundheitsbezogene Schadstoffe in den Luftqualitätsnormen und Überwachungssystemen berücksichtigt werden, etwa Ammoniak, Ruß oder sehr feine Partikel (PMO,1). Sie plädierte zudem für eine Erhöhung der Messstationen-Dichte.

Hoffmann ergänzte, dass die Messdichte auch in benachteiligten Regionen erhöht werden müsste, um Maßnahmen für vulnerable Gruppen besser ergreifen zu können. Entsprechende Daten zur Luftverschmutzung gebe es bereits beispielsweise vom Umweltbundesamt oder der Europäischen Umweltagentur, allerdings brauche es hier noch weitere Datenpunkte.

Simon schlägt außerdem vor, ein Warnsystem zu etablieren, das die Bevölkerung bei Feinstaubalarm warnt, so dass diese sich entsprechend verhalten könne. Dies werde bereits in Frankreich praktiziert.

Wichtig sei aber vor allem, ressortübergreifend eine gesundheits- und umweltfreundliche Verkehrspolitik zu gestalten. Dazu könnten kostenfreie öffentliche Verkehrsmittel, Tempolimits und Fahrverbote aber auch bessere Radwegenetze oder der Ausbau von Elektromobilität gehören. Auch Stadtplanungen sollten sich künftig besser an der Luftqualität orientieren, forderte Simon.

cmk

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