Mangelndes Wissen über Digitale Gesundheitsanwendungen behindert Verordnungen

Berlin – Die Integration Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) in den Versorgungsalltag leidet nach wie vor an einer mangelnden Kenntnis von Informationsangeboten – auf ärztlicher genauso wie auf Patientenseite. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Untersuchungen, die beim 22. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung vorgestellt worden sind.
„Es fehlt an Informationen. Leistungserbringer sollen DiGA verordnen, wissen aber selbst meist zu wenig über sie“, erklärte Stefanie Solar vom Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement.
Im Rahmen des Projekts „Die Umsetzung von Potenzialen Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der ambulanten Versorgung psychischer Erkrankungen“ (DiGAPsy) will sie Handlungsempfehlungen entwickeln, um die Potenziale von DiGA in den ambulanten Versorgungsprozess psychischer Erkrankungen zu realisieren.
Das vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderte Projekt läuft seit Anfang 2022 und bis Ende des kommenden Jahres. Neben Bedenken bezüglich Datensicherheit und -schutz konnte Solar nach ihrer Darstellung Hürden und Hemmnisse bisher vor allem in den Bereichen Akzeptanz, Information sowie organisatorische Barrieren identifizieren.
Sowohl Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten als auch Patientinnen und Patienten fehle es vier Jahre nach Einführung verordnungs- und erstattungsfähiger DiGA noch an übersichtlichen Informationen – und das sei beiden Seiten bewusst.
Hinzu komme, dass Psychotherapeuten die Qualität der Informationen oft nicht ausreiche. Die Studien der Hersteller würden wissenschaftlichen Standards oft nicht entsprechen, die Evidenz für den Nutzen der der Apps sei oft zu schwammig und es gebe nicht genug Quellen, die die Wirksamkeit ausreichend belegen.
Das schlage sich in mangelndem Vertrauen nieder, was durch die Zulassungsmodalitäten nicht verbessert werde. „Insgesamt ist die größte Unsicherheit das Fast-Track-Verfahren“, erklärte Solar. Das sei zu uneinsichtig, um bei Ärzten und Psychotherapeuten Vertrauen zu schaffen. „Und wenn Ärzte kein Vertrauen in eine Anwendung haben, dann verordnen sie sie auch nicht.“
Dazu zähle neben Informationen zu einzelnen DiGA auch der Überblick: Gerade bei indikationsgleichen DiGA gebe es nur mangelnde Vergleichsmöglichkeiten, kritisierte Felix Plescher von der Universität Duisburg-Essen. Es fehle an einer entsprechenden Ermächtigung mittels Informationsangeboten sowohl für Ärzte als auch für Patienten.
Solar hatte erklärt, auch die Integration der DiGA in die ärztlichen Workflows sei weiterhin schwierig – die Apps würden teilweise nicht so konzipiert, dass sie sich gut in die Therapie einbinden lassen. Der erhöhte Beratungsbedarf lasse sich dabei nicht einfach abbilden: Ärzte und Psychotherapeuten hätten ohnehin oft nicht genug Zeit, sich ihren Patienten ausreichend zu widmen, für Gespräche über die App-Nutzung sei dann erst recht keine Zeit übrig.
Dabei sei besonders diese menschliche Vermittlung zwischen Arzt und Patient von Bedeutung, um DiGA erfolgreich zu nutzen, erklärte wiederum Silke Kuske von der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf. Im Projekt „Emotionale Sicherheit als Gelingensbedingung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen“ (SteTiG) erforscht sie Grundlagen zu emotionalen Einflussfaktoren und Bedürfnissen bei der Nutzung und im Kontext digitaler Systeme im Gesundheitsbereich.
Vor allem zu Beginn der Therapie mit DiGA sei es vielen Patienten wichtig menschliche Anleitung zu erhalten, um im Erstkontakt mit der Anwendung das nötige Vertrauen zu bilden. „Es zeigt sich bereits jetzt, dass die Personalausstattung hier der wunde Punkt ist“, erklärte sie.
Diese Befunde – insbesondere die zur Informationslage – decken sich mit den Ergebnissen einer Befragung von 3.829 Hausärzten zur Untersuchung von deren Einstellungen, Erwartungen und Erfahrungswerten mit DiGA , die Julian Wangler von der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt hat.
Generell stehe eine Mehrheit von 67 Prozent der befragten Ärzte DiGA positiv gegenüber, nur 18 Prozent sind demnach explizit skeptisch. Dabei zeigte sich, dass diejenigen Hausärzte, die bereits mit DiGA gearbeitet haben, in großer Mehrheit zufrieden sind: 83 Prozent von ihnen gaben an die verordneten Anwendungen hätten sich als nützlich oder sehr nützlich erwiesen.
Allerdings haben nur 14 Prozent der Befragten schon einmal eine DiGA verschrieben. „Das Gros der Hausärzte ist noch unsicher und traut sich nicht, sie zu verordnen“, sagte Wangler. Dabei habe sich eine deutliche Diskrepanz gezeigt: Demnach gaben das 21 Prozent der befragten Hausärzte in urbanen Räumen an, aber nur fünf Prozent in ländlichen Gebieten.
Das habe jedoch weniger damit zu tun, dass Hausärzte in städtischen Gebieten in irgendeiner Weise moderner oder progressiver seien als die Kolleginnen und Kollegen auf dem Land, sondern vielmehr damit, dass der interprofessionelle Austausch den Befragungsergebnissen zufolge ebenfalls eine große Rolle für die meisten Ärzte spiele. Der wiederum sei im urbanen Raum einfacher und verbreiteter.
Dass das Bedürfnis so groß sei, sich bei Fragen zu DiGA an einen fachärztlichen Kollegen zu wenden, hänge mit ebenjener mangelhaften Informationslage zusammen. Zwar gebe es durchaus Angebote, aber: „Seriöse Informationsquellen müssen den Ärzten bekannt sein. Das ist aus unserer Sicht ein besonders großes Manko“, erklärte Wangler.
Speziell bei den Hausärzten, die mit einer besonders großen Bandbreite an Patienten und Indikationen konfrontiert seien, fehle die Möglichkeit, schnell und unkompliziert einen Überblick und Vergleichsmöglichkeiten zu erhalten.
„Viele sagen, sie hätten schon die DiGA-Liste des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte geschaut, die habe ihnen aber nicht geholfen“, sagte Wangler. Andere Angebote gebe es zwar, die seien unter Hausärzten aber nicht bekannt genug. „Was es hier braucht, ist also vor allem eine große Informationsoffensive“, betonte er.
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