Politik

Krankenkassen kritisieren Ausgaben für DiGA ohne nachweisbaren Nutzen

  • Dienstag, 9. Januar 2024
/Kaspars Grinvalds, stock.adobe.com
/Kaspars Grinvalds, stock.adobe.com

Berlin – Der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) hat sich enttäuscht über einen aus seiner Sicht ausbleibenden Nutzen Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Versorgung gezeigt. Der Anteil der DiGA, die bei ihrer Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog bereits einen Nutzen hätten nachweisen können, sei stark gesunken – während die Kosten kontinuierlich steigen würden.

„Die Bilanz zu den DiGA ist von Ernüchterung geprägt“, erklärte Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis gestern in Berlin. „Auch im dritten Jahr nach ihrer Einführung lösen die Gesundheits-Apps nicht ihr Versprechen ein, die gesundheitliche Versorgung grundlegend zu verbessern.“

Zwar kämen die Apps auf Rezept langsam in der Versorgung an, wie die Zahlen des gestern vorgestellten dritten DiGA-Berichts zeigen. Mit ihm informiert der GKV-SV das Bundesgesundheitsministerium (BMG) jährlich über die Nutzung und die Kosten der Anwendungen.

Demnach wurden im Berichtszeitraum vom 1. September 2020 bis zum 30. September 2023 374.000 DiGA in Anspruch genommen, wofür die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) 113 Millionen Euro gezahlt hat.

Sowohl die Verordnungszahlen als auch die die Kosten haben sich demnach innerhalb eines Jahres verdoppelt: Gab die GKV bis Oktober 2022 noch 32 Millionen Euro für 164.000 verordnete DiGA aus, stieg die Zahl im Folgejahr auf 67,5 Millionen Euro für besagte 374.000 DiGA.

„Die DiGA kommen in der Versorgung an, das finden wir gut“, sagte Stoff-Ahnis bei der Vorstellung des Berichts. Allerdings könne auch nach drei Jahren noch nicht von einem Durchbruch gesprochen werden. Im Vergleich zu den rund 50 Millionen Arzneimittelverordnungen im Monat seien die Verordnungszahlen der DiGA über­schaubar. „Der erhoffte Run ist nicht eingetreten“, konstatierte Stoff-Ahnis.

Ebenfalls kontinuierlich gestiegen seien die durchschnittlichen Herstellerpreise, nämlich von 407 Euro im ersten Jahr auf 557 Euro im zweiten und 593 Euro im dritten Jahr. Das entspricht einer Steigerung von knapp 46 Prozent.

Dabei variiert das Preisspektrum allerdings zwischen 119 und 2.077 Euro, wobei letztere DiGA eine Ausnahme ist. Es handelt sich um die App Levidex für Patienten mit Multipler Sklerose. Die zweitteuerste DiGA, die App Optimune für Patientinnen mit Brustkrebs kostet bereits weniger als die Hälfte.

Die Preise können die Hersteller allerdings nur im ersten Jahr abrufen, danach greifen Vergütungsbeträge, die sie mit den Krankenkassen aushandeln müssen. Diese liegen laut GKV-SV im Schnitt bei 221 Euro. In rund zwei Drittel der Fälle würden die Vergütungspreise durch bilaterale Verhandlungen erreicht werden können, in nur noch einem Drittel der Fälle müsse die Schiedsstelle angerufen werden.

Abschläge von bis zu 67 Prozent würden wiederum zeigen, dass die von den Herstellern festgelegten Preise nicht angemessen seien. Stoff-Ahnis beklagte eine „vereinzelt unverschämte Preispolitik der Hersteller“, die zeige, „dass manche von ihnen Beitragsgelder als Selbstbedienungsladen verstehen“.

Besonders problematisch seien diese Preise angesichts des mangelnden Nutzennachweises der meisten DiGA. „Trotz unklaren Nutzens kommen DiGA in die Versorgung, und die Hersteller können Preise selbst festlegen. Das ist eine enorme Schieflage im Vergleich zu anderen Versorgungsbereichen“, kritisierte sie.

Hier spiele das Fast-Track-Verfahren eine besondere Rolle. Dabei ermöglicht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) innerhalb von drei Monaten die Erprobung einer DiGA für bis zu zwei Jahre, bevor ein Nutzen nachgewiesen werden muss.

Die GKV zahle dann für mindestens zwölf Monate, obwohl der Nutzen unklar sei. Von den 55 DiGA, die bisher in die BfArM-Liste aufgenommen wurden, wurden sechs bereits wieder gestrichen. Stoff-Ahnis brachte das Bei­spiel einer Migräne-App an, bei der die GKV für 11.500 Verordnungen 1,7 Millionen Euro gezahlt hat. Nach 16 Monaten Erprobung wurde die App dann aus dem Verzeichnis gestrichen, weil der Hersteller keinen positiven Versorgungseffekt nachweisen konnte.

Von 49 DiGA, die zum Ende des Betrachtungszeitraumes gelistet waren, waren 25 in Erprobung. Dieser hohe Anteil sorge für Unsicherheit und mangelnde Akzeptanz sowohl bei den verordnenden Ärztinnen und Ärzten als auch bei Patienten.

„Es ist auch aus Ärztesicht ungewöhnlich, denn eine Verordnung ohne nachgewiesenen Nutzen schafft kein Ver­trauen“, sagte der Leiter der Abteilung ambulante Versorgung, Torsten Fürstenberg. „Das ist ein ungewöhnlicher Zustand, den wir so aus anderen Leistungsbereichen nicht kennen.“

Zudem sei der Trend negativ. Der Bericht zeige, dass der Anteil der DiGA, die bei ihrer Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog bereits einen Nutzen nachweisen konnten, stark gesunken ist.

Hätten im ersten und zweiten Berichtsjahr jeweils ein Viertel der neu zugelassenen DiGA einen Nutzen vorwei­sen können, sei dies im Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis 30. September 2023 lediglich eine einzige von 19 auf­genommenen DiGA gewesen.

Damit hätte im gesamten Berichtszeitraum nur jede fünfte DiGA zu Beginn ihrer Aufnahme in das DiGA-Ver­zeichnis einen Nutzen für die Patienten nachweisen können.

Als Kritik an der Ärzteschaft solle das jedoch nicht verstanden werden, beteuerte Stoff-Ahnis: „Das Verord­nungs­verhalten vonseiten der Ärzte, auch der Hausärzte, stellen wir überhaupt nicht infrage.“ 40 Prozent der Verordnungen würden von Hausärzten ausgestellt. „Das zeigt aus unserer Sicht, dass die niedrigschwellige Versorgung mit DiGA funktioniert“, unterstrich Fürstenberg.

Trotz der Schieflagen bei Preisen und Nutzennachweis stehe die GKV dem Konzept von DiGA weiterhin positiv gegenüber. „Wir stellen diesen Leistungsbereich nicht infrage“, beteuerte Stoff-Ahnis. „Wir sehen echte Mehr­werte, die erreicht werden können durch hochwertige medizinische Daten, die durch DiGA erhoben werden können.“

Der GKV-Spitzenverband wolle deshalb an dem Konzept festhalten, fordere jedoch ein regulatorisches Update: So sollte eine DiGA nur noch bei nachgewiesenem Nutzen in das Verzeichnis aufgenommen werden dürfen, Zu­lassungsanforderungen analog zu anderen Leistungsbereichen angehoben werden und die Rahmenbedingun­gen für DiGA mit anderen GKV-Leistungsbereichen harmonisiert werden.

Auch die Festlegung der Preise durch die Hersteller müsse abgeschafft werden und stattdessen verhandelte Vergütungsbeträge ab dem ersten Tag gelten. Zudem müssten DiGA besser in Versorgungspfade integriert werden, um das Digitalisierungspotenzial bei der Behandlung und der Vernetzung über Leistungssektoren hinweg nutzen zu können.

lau

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung