Marburger Bund kritisiert Initiative der Arbeitgeber als „Generalangriff auf das Streikrecht“

Berlin – Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat gestern ein Gutachten vorgelegt, demzufolge Schlichtungen grundsätzlich eine größere Rolle in Tarifverhandlungen bekommen sollten. Der Marburger Bund (MB) wertet das als „Generalangriff auf das Streikrecht“.
In einem im Auftrag des Arbeitgeberverbands verfassten „Gesetzentwurf zur Schlichtung von Tarifkonflikten“ schlagen die Autoren konkret vor, dass jede Vertragspartei in einem Tarifkonflikt eine Schlichtung anrufen kann. Streiks sollen nur möglich sein, wenn diese Schlichtung gescheitert ist.
„Jede Partei kann einseitig ein Schlichtungsverfahren eröffnen“, erklärte einer der Autoren des Gesetzentwurfs, der geschäftsführende Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln, Clemens Höpfner, gestern in Berlin. „Es gibt aber keinen Einlassungszwang. Wer sich allerdings einer Schlichtung verweigert, darf nicht streiken.“
Dadurch werde das Prinzip gestärkt, dass ein Streik nur als Ultima Ratio innerhalb eines Tarifkonflikts eingesetzt werden dürfe. „Während der Schlichtung soll eine Friedenspflicht gelten“, fuhr Höpfner fort. Bis zum ersten Verhandlungstermin der Schlichtung sollen dabei nur noch zweistündige Warnstreiks im Abstand von sieben Tagen möglich sein.
Für den Bereich der Daseinsvorsorge – zu dem auch die Krankenhäuser gehören – schlagen die Autoren des Gesetzentwurfs vor, dass bei Streiks eine angemessene Grundversorgung gewährleistet werden müsse. Zudem soll es eine Ankündigungsfrist von vier Tagen vor Streiks geben.
MB: Arbeitgeber könnten weitgehendes Streikverbot durchsetzen
Die Gesetzesinitiative richte sich auch gegen Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern, erklärte der MB heute. Der Gesetzentwurf sei „ein Generalangriff auf das grundgesetzlich geschützte Streikrecht in Deutschland“, kritisierte die Ärztegewerkschaft.
„Unter dem Deckmantel einer ‚Stärkung der Tarifautonomie‘ sollen Arbeitgeber in die Lage versetzt werden, ein weitgehendes Streikverbot durchzusetzen.“ Der MB werde sich diesem Ansinnen mit allen gebotenen Mitteln entgegenstellen.
Der MB stellte klar, dass Arbeitgeber mit dem Gesetzentwurf bereits unmittelbar nach Empfang gewerkschaftlicher Tarifforderungen die Möglichkeit erhalten sollen, ein Schlichtungsverfahren in Gang zu setzen.
Die Teilnahme am Schlichtungsverfahren sei für die beteiligte Gewerkschaft nur vordergründig freiwillig. De facto werde die Gewerkschaft zur Teilnahme gezwungen, weil es ihr verboten sei, während der von der Arbeitgeberseite eingeleiteten Schlichtung zu streiken.
Johna: Freifahrtschein für die Arbeitgeber
„Die Autoren des Gesetzentwurfs verschleiern ganz bewusst, dass diese Art von Schlichtungsverfahren letztlich ein Freifahrtschein für die Arbeitgeber ist“, sagte die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna.
„Die Arbeitgeber können eine Schlichtung initiieren, ohne sich ernsthaft auf Verhandlungen einzulassen. Die Einleitung der Schlichtung wird so zu einem Streikverhinderungsinstrument, nicht zu einem Vermittlungsangebot. Die Kampfparität wird massiv zu Gunsten der Arbeitgeber verschoben.“
Sie stellte klar, dass es bereits Schlichtungsmodelle auf tarifvertraglicher Ebene gebe. „Das setzt das Einverständnis beider Seiten voraus“, so Johna. „Die vorgesehene Regelung im Entwurf der Arbeitgeber entkoppelt aber das Schlichtungsverfahren von der Zustimmung beider Seiten – dies widerspricht dem Grundgedanken der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit.“
Menschen werden rechtlos gestellt
Die Gesetzesinitiative gehe über die eigene Branche hinaus und ziele vor allem auf Bereiche der Daseinsvorsorge. „So sollen Streiks in diesen Bereichen generell vier Tage vorher angekündigt werden, wodurch die Arbeitgeber sehr viel mehr Möglichkeiten bekommen, den Arbeitskampf ins Leere laufen zu lassen“, schreibt der MB.
„Einrichtungen der Daseinsvorsorge wird zusätzlich zum ‚zügigen Abschluss von Vereinbarungen über Notdienst- und Erhaltungsarbeiten‘ für den Fall eines Arbeitskampfes auferlegt, ‚auch eine angemessene Grundversorgung zu gewährleisten‘. Was darunter zu verstehen ist, bleibt unklar und rechtlich unbestimmt, geht aber über die bisher im Streikfall zu gewährende Notfallversorgung hinaus.“
Johna kritisierte, dass „die Arbeitgeber offensichtlich den vielfach ohnehin schon personell stark dezimierten Regelbetrieb zur Grundversorgung erklären“ wollten. „Damit würde ein Großteil der Beschäftigten, die in Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie beispielsweise Krankenhäusern arbeiten, auch jenseits eines Schlichtungsverfahrens faktisch einem Streikverbot unterworfen. Angestellte Ärztinnen und Ärzte wären davon genauso betroffen wie Pflegende und andere Angehörige von Gesundheitsberufen.“
„Man kann es nur so deuten: Menschen, die rund um die Uhr, Tag und Nacht, ihren Dienst tun und für andere Menschen da sind, werden rechtlos gestellt“, sagte Johna. „Das ist wirklich ungeheuerlich und wird unseren massiven Widerstand hervorrufen. Ich kann die Politik nur davor warnen, diese Arbeitgeberfantasien zu übernehmen.“ Die Gesetzesinitiative von Gesamtmetall sei nicht nur ein Angriff auf Arbeitnehmerrechte, sie sei auch ein Programm zur Verschärfung des Fachkräftemangels in Deutschland.
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