Ausland

Medikamentenmangel: Analyse sieht dauerhafte Bedrohung

  • Donnerstag, 18. April 2024
/Sergio Delle Vedove, stock.adobe.com
/Sergio Delle Vedove, stock.adobe.com

London – Patienten in der Europäischen Union (EU), aber insbesondere in Großbritannien, könnten einer neuen Untersuchung zufolge dauerhaft vom Mangel wichtiger Medikamente wie Antibiotika und Mittel gegen Epilepsie bedroht sein.

Die Mangellage sei im Vereinigten Königreich zur „neuen Normalität“ geworden und habe „auch ernsthafte Auswirkungen in EU-Ländern“, heißt es in einer Untersuchung der britischen Denkfabrik Nuffield Trust, die heute veröffentlicht wurde.

Der Brexit-Forschungsleiter im Nuffield Trust, Mark Dayan, erklärte, Großbritanniens Austritt aus der EU habe die dortigen Lieferprobleme bei Medikamenten nicht verursacht, aber verschärft.

Für Großbritannien und die EU gelte gleichermaßen, „dass viele der Probleme global sind und mit fragilen Lieferketten bei Importen aus Asien, verschärft durch Werksschließungen wegen Corona, die Inflation und globale Instabilität zusammenhängen“.

Der Brexit habe dem Vereinigten Königreich aber „einige zusätzliche Probleme“ beschert, führte Dayan aus. So könnten Medikamente aus der EU nicht mehr so problemlos importiert werden. Außerdem drohten Verzöge­rungen bei der Zulassung von Arzneien dazu zu führen, „dass wir weniger verfügbare Alternativen haben“.

Wissenschaftler warnen überdies, dass der Brexit auch bedeutet, dass Großbritannien nicht mehr von den gemeinschaftlichen Anstrengungen der EU-Länder zur Verringerung der Nachschubprobleme profitiert, etwa von der Wiederansiedlung von Pharmawerken in Europa. So sei Großbritannien auch bei der Anfang des Jahres gegründeten EU-Allianz für lebenswichtige Arzneimittel außen vor.

Aus öffentlich zugänglichen Daten und anhand von Anfragen bei den zuständigen Behörden rechneten die Autoren aus, dass sich in Großbritannien die Mitteilungen von Pharmafirmen mit Warnungen vor bevorstehen­den Engpässen innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt hätten. Demnach wurden 2020 noch 648 sol­cher Warnungen ausgesprochen und 2023 mehr als 1.600.

Außerdem muss die britische Regierung immer häufiger einen Mechanismus in Kraft setzen, der es den Gesundheitsbehörden erlaubt, überhöhte Preise für Medikamente zu zahlen, die sonst nicht zu haben sind.

Wurde dieser Mechanismus vor 2016, dem Jahr des Brexit-Referendums, nur gut 20 Mal pro Monat genutzt, waren es Ende 2022 im Monat 199 Fälle. Die Mehrkosten für das Gesundheitssystem beliefen sich Schätzun­gen zufolge von September 2022 bis September 2023 auf rund 220 Millionen Pfund (257 Millionen Euro) pro Monat.

Der Chef des britischen Pharmaverbandes, Paul Rees, kritisierte, dass Medikamentenengpässe zu einem „Gemeinplatz“ geworden seien, sei „vollkommen inakzeptabel in jedem modernen Gesundheitssystem“. „Lieferprobleme sind eine reale und präsente Gefahr für diejenigen Patienten, die für ihr Wohlergehen von lebensrettenden Medikamenten abhängig sind“, betonte der Branchenvertreter.

Aus dem Gesundheitsministerium in London hieß es, Großbritannien stehe bei dem Medikamentenmangel nicht allein da. Die meisten Engpässe seien aber „schnell mit minimalen Störungen für die Patienten geregelt“ worden.

Auch Deutschland war in den vergangenen Jahren von Engpässen bei Medikamenten wie Antibiotika sowie Arzneimitteln für Kinder betroffen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte deswegen ver­gangenes Jahr eine High-Level-Arbeitsgruppe gegründet, die regelmäßig die aktuelle Versorgungslage erör­tert. In dem Gremium sind Vertreter der Pharmaindustrie, des Großhandels und der Ärzte- und Apotheker­schaft vertreten.

afp

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung