Medizinhistoriker empfehlen kritisch-gelassenen Umgang mit Krankheitsnamen
Köln – Beim Umgang mit Krankheitsnamen, die auf Eigennamen von Ärzten zurückgehen, die ethisch oder politisch belastet sind, empfiehlt der Fachverband Medizingeschichte eine „historisch informierte Reflexion“ und daraus resultierend einen kritisch-gelassenen Umgang. Die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) befragt im Augenblick die Fachgesellschaften nach Eigennamen-Bezeichnungen, sogenannten Eponymen, die auf politisch belastete Ärzte hinweisen.
Die Benennung von Krankheiten sowie (patho-)physiologischen Phänomenen mithilfe von Eponymen ist seit der frühen Neuzeit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gebräuchlich. Ein bekanntes Beispiel: „Morbus Alzheimer“. „Dieser Usus wurde und wird wie der größte Teil der Fachsprache – abgesehen von der anatomischen Nomenklatur – nicht reglementiert“, heißt es in einer Stellungnahme des Fachverbandes.
Fragwürdige Benennungen
Den Gebrauch – oder das Vergessen solcher Bezeichnungen – reguliere die weltweite Medizingemeinschaft durch kollektive Be- und Missachtung, ohne dass offizielle Erklärungen von Fachgesellschaften oder von Herausgebern medizinischer Fachzeitschriften dazu erforderlich wären, so der Fachverband.
Allerdings hätten Ärzte bereits seit der griechisch-römischen Antike häufig unter zweifelhaften Bedingungen geforscht und dabei auch neue Benennungen verwandt. „Edward Jenners Kuhpocken- oder Robert Kochs Tuberkulinversuche würden heute vor keiner Ethikkommission Bestand haben“, nennt der Fachverband Beispiele. Die Medizingeschichte sei „voll von solch fragwürdigen Geschichten und damit in Zusammenhang stehenden Benennungen“.
Korrekturen andenken
Es sei wichtig, „fortwährend historische Fehler zu benennen, dadurch aus ihnen zu lernen und auch die dunkle Geschichte des Fachs als die eigene anzuerkennen“, heißt es in der Stellungnahme. Dies gelte insbesondere für den Umgang mit nationalsozialistischen Ärzten.
Der Fachverband begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften sich ihrer Verantwortung stellten und in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ihre Geschichte erforschten.
„Die von einstigen Fachvertretern ausgegangenen Bezeichnungen zu ändern, etwa im Rahmen einer feierlichen Erklärung der jeweiligen Fachgesellschaften, scheint uns aber im nationalen wie internationalen Rahmen aus den oben genannten Gründen weder durchsetzbar noch hilfreich zu sein“, heißt es in der Stellungnahme weiter.
Die deutschen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften sollten sich vielmehr von einer eponymkritischen Bewegung und entsprechenden Anfragen zu einer historisch informierten Reflexion anregen lassen.
Abhängig vom medizinhistorischen Forschungsstand könne es im Einzelfall angemessen sein, auf den problematischen Kontext einzelner Eponyme beziehungsweise ihrer Namensgeber hinzuweisen und auf alternative Benennungen aufmerksam zu machen, empfiehlt der Verband.
„Solche differenzierten Empfehlungen zu übermitteln erscheint uns sinnvoller als apodiktische Erklärungen zum Gebrauch von Fachtermini zu proklamieren, deren Reichweite und Verbindlichkeit fraglich wäre“, heißt es in der Stellungnahme.
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