Politik

Mehr Kinder von Gewalt und Vernachlässigung bedroht

  • Dienstag, 19. November 2019
/Ralf Geithe, stockadobecom
/Ralf Geithe, stockadobecom

Wiesbaden – In Deutschland sind mehr Kinder und Jugendliche von Gewalt oder Ver­nach­lässigung bedroht. Laut der Zahlen des Statistischen Bundesamts stellten die Ju­gendämter 2018 bei rund 50.400 Kindern und Jugendlichen diesbezüglich eine Kindes­wohlgefährdung fest, das sind zehn Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, bezeichnete die heute vorgelegten Zahlen als „alarmierend“. Er fordert, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzu­nehmen.

Einen leichten Rückgang verzeichnete die Statistik dagegen im Bereich Kinderarmut. So sank die Zahl der unter 18-Jährigen, die hierzulande von Armut oder sozialer Ausgren­zung gefährdet sind, auf 2,4 Millionen – das waren sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Zudem konnten sich auch wieder mehr Haushalte mit Kindern eine einwöchige Urlaubs­reise leisten. Gaben 2017 noch 15,5 Prozent der Menschen an, dass das finanziell nicht möglich sei, waren es ein Jahr später nur noch 13,4 Prozent.

Der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Minderjährigen ging von 18 Prozent auf 17,3 Prozent zurück. Das sei der niedrigste Wert seit mehr als zehn Jahren, hieß es.

Ein Mensch gilt nach der EU-Definition als armutsgefährdet, wenn er über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die entsprechende Grenze bei 2.385 Euro im Monat.

Für den Kinderschutzbund gehen die Zahlen an der Realität vorbei. Das sehe man schon daran, dass drei Millionen Kinder Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums bezögen und vier Millionen Anspruch darauf hätten, so Hilgers. Kinderarmut mache sich vor allem in drei Bereichen bemerkbar: In der Bildung, der sozialen Teilhabe und der Gesundheitsvorsorge.

Michael Klundt, Professor für Kinderpolitik im Studiengang Angewandte Kindheits­wis­sen­­schaften von der Hochschule Magdeburg-Stendal, sagte: „Es ist ein enormes Armuts­zeugnis, dass wir angesichts des Reichtums in Deutschland in diesem Ausmaß mit Kin­der­armut, Gewalt und Vernachlässigung zu tun haben.“ Da könne man bei den vorhande­nen finan­ziellen Mitteln klar entgegenwirken.

Im Zusammenhang mit der gestiegenen Kindeswohlgefährdung wurden laut der Statistik des Bundesamts auch mehr Minderjährige in Obhut genommen. In 6.200 Fällen geschah dies aufgrund von Misshandlungen, in 6000 Fällen wegen Vernachlässigungen und in 840 Fällen aufgrund von sexueller Gewalt.

Die ganze Gesellschaft brauche ein Bewusstseinswandel, sagte Hilgers. „Wenn sie in Schwe­den ein Kind auf der Straße ohrfeigen, mischen sich gleich 20 Leute ein. Hier schau­en immer noch zu viele weg.“

Deshalb sei es auch so wichtig, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Gegner würden mit der Privatheit der Familie argumentieren. „Aber Familie kann nicht privat sein, wenn es um Gewalt gegen Kinder oder auch gegen Frauen geht.“ Und: „Kinder sind nicht unser Eigentum, sondern Menschen mit Würde und eigenen Rechten.“

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung