Merck feiert 350-jähriges Bestehen

Darmstadt – Eine historische Engel-Figur mit dem Familienwappen und Fotos auf einem Leuchtband: Sie erinnern an die 350 Jahre lange Geschichte der größten Apotheke in Darmstadt. Friedrich Jakob Merck hatte 1668 mit der Übernahme der zweiten Hofapotheke die Keimzelle für den gleichnamigen Pharma- und Chemiekonzern gelegt.
Der Dreißigjährige Krieg war da erst 20 Jahre vorüber. Heute steht die Engel-Apotheke im Merck-Haus am Luisenplatz im Darmstädter Zentrum. Sie ist nach wie vor in der Hand der Familie – so wie Merck selbst. Inhaberin Renate Koehler, eine Nachfahrin von Friedrich Jakob in elfter Generation, plant schon die Nachfolge. „Es ist moralisch eine wichtige Sache, dass es in der Familie bleibt“, sagte sie.
70 Prozent Familienanteil
Tradition spielt in Darmstadt eine besondere Rolle. Merck liegt mit gut 70 Prozent der Aktien in Besitz der Familie. Über die E. Merck Kommanditgesellschaft kontrolliert sie den Konzern. Damit ist Merck im Leitindex Dax ein Sonderfall. Um die 266 Familienmitglieder weltweit zusammenzuhalten, pflegt Oberhaupt Frank Stangenberg-Haverkamp Netzwerke. Schon mit 15 Jahren werden Merck-Sprösslinge ans Unternehmen herangeführt mit dem Ziel, es „in einem möglichst besseren Zustand“ weiterzugeben.
Heute feierte der Konzern, zusammen mit rund 800 Gästen und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit 350 Jahren ragt Merck selbst unter alten deutschen Wirtschaftsriesen wie BASF oder Siemens heraus. Seit 1668 hat die Firma viel überstanden, nicht zuletzt zwei Weltkriege. Heute hat der Konzern fast 53.000 Mitarbeiter weltweit und erzielt gut 15 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Er spielt im globalen Pharmakonzert mit, wenn auch nicht auf Augenhöhe mit den Branchenriesen aus der Schweiz oder den USA.
Von kleiner Apotheke zum Konzern
Der Wandel von der kleinen Apotheke zum forschenden Industrieunternehmen habe sich mit dem wissenschaftlich gebildeten Emanuel Merck vollzogen, sagt Merck-Historikerin Sabine Bernschneider. Er legte 1827 für Ärzte, Chemiker und Apotheker eine Sammlung hochreiner Pflanzen-Alkaloide an – Naturstoff-Verbindungen mit medizinischer Wirkung. Sein Ziel: „Sie mit wenigen Kosten in den Stand (zu) setzen, Versuche anzustellen.“
Um die Firma abzusichern, gründete Emanuel Merck mit seinen Söhnen 1850 die Gemeinschafts-Sozietät E. Merck mit mehreren Teilhabern – „im richtigen Moment die richtige Geschäftsidee“, so Bernschneider. Als Kaufmann, Apotheker und Chemiker führten die drei Brüder Merck gemeinsam. Schnell folgte die Expansion über Deutschland hinaus.
Die Weltkriege aber warfen Merck zurück. So verlor der Konzern im Zuge des Ersten Weltkrieges seine US-Tochter. Als Merck & Co ist sie heute eigenständig und an der Wall Street notiert. Und 1944 wurden bei einem Luftangriff auf die Darmstädter Fabrik 60 Menschen getötet und fast 70 Prozent der Gebäude zerstört. Damals waren rund 3.000 Menschen, einschließlich 257 Zwangsarbeitern, in Darmstadt beschäftigt.
Jahrzehnte später, 1995, gelang Merck der Aufstieg in den Dax per Börsengang. Mit 2,4 Milliarden D-Mark Volumen war er der bis dato größte Deutschlands. Die Familie trat die operative Führung ab, behielt aber die Kontrolle im Hintergrund. Wichtige Entscheidungen treffen seither andere. Merck kaufte etwa die Biotech-Firma Serono, den Spezialchemiekonzern Electronic Materials und den Laborausrüster Sigma-Aldrich. Allein Zukäufe seit 2007 kosteten 30 Milliarden Euro.
Umbau zum Wissenschaftskonzern
Heute treibt Chef Stefan Oschmann den Umbau zum Wissenschaftskonzern voran. Als Arzneimittelhersteller sieht sich Merck nicht mehr, selbst wenn die Sparte am meisten Umsatz bringt. Auch das Image soll moderner werden. Mit knalligen Farben will Merck die Marke aufpeppen. Und im neuen Innovationszentrum tüfteln Start-ups und Mitarbeiter an Ideen.
Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr schwächelt Merck. 2018 werden leichte Rückgänge beim Betriebsergebnis erwartet. Im hochprofitablen Geschäft mit Flüssigkristallen etwa für Smartphone-Displays drückt die Konkurrenz aus China die Preise. Merck habe zu spät auf neue Wettbewerber reagiert, gab Stangenberg-Haverkamp, Vorsitzender des Merck-Familienrats, zuletzt im Manager Magazin zu.
Hoffnung liegt auf Avelumab
Zudem bringen alte Kassenschlager-Arzneimittel immer weniger Erlös. Große Hoffnungen liegen auf dem Mittel Avelumab, das das körpereigene Abwehrsystem stärken soll, um Krebszellen zu zerstören. Bei einem seltenen Hautkrebs und Blasenkrebs bekam es erste Zulassungen, scheiterte aber in anderen Tests. In der Pharmasparte ist Avelumab der einzige große Pfeil im Köcher von Merck.
Indes muss Merck für die angepeilte Wende 2019 Kompromisse machen. So verkaufte Oschmann die rezeptfreien Arzneien an Procter & Gamble für 3,4 Milliarden Euro. Er braucht das Geld, um Schulden zu senken und teure Pharma-Blockbuster voranzutreiben. „Wir müssen unsere finanziellen Mittel genau einteilen“, sagte er. Zumal Merck für Enttäuschungen gewappnet sein muss, sollte Avelumab in weiteren Studien scheitern.
Familie hält am Unternehmen fest
Die Familie werde auch künftig „fest hinter dem Unternehmen stehen“, erklärte Stangenberg-Haverkamp. Sie habe ihr Vermögen in die Firma investiert und gehe üblichen Berufen nach. Man habe derzeit keine Pläne, den Anteil der Mercks am Konzern zu senken. Auch ein Verkauf der Pharmasparte stehe nicht zur Debatte, selbst bei neuen Krisen.
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