Politik

Merkel hält Debatte über Lockerung der Corona-Maßnahmen für verfrüht

  • Freitag, 27. März 2020
/picture alliance, Michael Kappeler
/picture alliance, Michael Kappeler

Berlin − Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält es für viel zu früh, über eine Locke­rung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu sprechen. Sie wolle „sehr klar sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist, über die Lockerung dieser Maßnahmen zu sprechen“, sagte sie gestern Abend in Berlin.

Im Moment dauere es immer noch nur vier bis fünf Tage, bis sich die Zahl der Infizierten verdoppele. Diese Zeitspanne müsse sehr viel weiter gestreckt werden, „in Richtung von zehn Tagen“. Das Ziel der Maßnahmen sei es, dass das Gesundheitssystem nicht überlas­tet werde.

Die Inkubationszeit dauere mindestens fünf Tage und könne bis 14 Tage dauern, sagte Merkel. Nachdem die am vergangenen Sonntag beschlossenen Maßnahmen erst am Mon­tag in weiten Teilen Deutschlands in Kraft getreten seien, sei man noch nicht in dem Be­reich, in dem man sehen könne, ob sie wirkten.

Sie müsse deshalb „die Menschen in Deutschland um Geduld bitten“, sagte die Kanzlerin und ergänzte: „Es war immer klar, dass wir erst dann, wenn wir Effekte sehen, darüber nachdenken können“, die Maßnahmen zurück zu fahren. Davon sei man leider „noch ein ganzes Stück entfernt“.

Das Bundesgesundheitsministerium zeigte sich überrascht. „Woher die Zahl mit den zehn Tagen kommt, auf die die Kanzlerin rekurriert, weiß ich nicht“, sagte ein Sprecher. Er wisse nichts von Studien, die in dieser Frage „einen klaren Zeitpunkt“ festlegten, sagte er weiter. Über eine Aufhebung der Beschränkungen könne erst dann nachgedacht werden, „wenn man sieht, dass das, was wir machen, wirkt“. Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer stellte klar, dass sich die Kanzlerin mit ihrer Äußerung auf "keine feststehende Größe“ habe festlegen wollen.

Lage beobachten

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte vor verfrühten Spekulationen über ein Ende der Beschränkungen und Auflagen. „Wenn wir erfolgreich sein wollen, und wenn wir aus dieser Krise herauskommen wollen, müssen wir diesen Weg, den wir jetzt be­schritt­en haben, weitergehen“, sagte Söder in einer gestern Abend verbreiteten Videobot­schaft. „Deswegen mein Tipp: Noch nicht vorzeitig darüber spekulieren, wann und wie Maßnahmen gelockert werden können. Sondern jetzt ist es wichtig, die nächste Zeit gemeinschaftlich durchzustehen.“

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte gestern Abend in der Sendung ARD-Extra: „Wir sind nicht über den Berg, wir stehen mitten in der Krise.“ Er erklärte, man werde Ende der Osterferien beurteilen, „wo stehen wir in Deutschland“.

Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes, sprach sich dafür aus, die Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen in Deutschland nur schrittweise wieder aufzuheben. Selbst wenn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) überlege, nach Ostern eine mögliche Aufweichung der derzeit strikten Maßnahmen zu prüfen, „wird dies nicht gleich vollständig geschehen“, sagte Montgomery der Passauer Neuen Presse.

„Wir müssen sehr aufpassen, dass es keinen Rückschlag gibt und die Infektionszahlen wie­­der in die Höhe schnellen, weil sich alle Menschen wieder treffen“, warnte er. Ostern sei für mögliche Lockerungen womöglich noch zu früh. Das hänge von der Entwicklung der Zahl der Infizierten ab und müsse in Abstimmung mit dem Robert-Koch-Institut entschieden werden.

Montgomery hält es generell für überfällig, über eine Exitstrategie aus den einschneiden­den Corona-Maßnahmen nachzudenken. „Bei der Anweisung einer kollektiven Quaran­täne ist auch eine Strategie nötig, wie der Status beendet werden kann“, sagte er.

„Wann wird alles wieder so, wie es mal war? Die Frage stellen wir uns alle – aber noch ist es zu früh, über ein Ende der Maßnahmen zu sprechen. Jetzt heißt es: Leben retten hat Vorrang“, erklärte auch die stellvertretenden Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas.

Die steile Kurve an Infektionen müsse deutlich abflachen. Es müsse sicher sein, dass es genügend Schutzmaterial gebe, insbesondere Atemmasken. „Wir müssen mehr über das Virus lernen. Zum Beispiel: Warum trifft es auch jüngere Menschen ohne Vorerkrankun­gen. Und nicht zuletzt müssen wir viel breiter testen“, sagte sie.

Bundesrat beschließt Hilfsprogramme

Der Bundesrat beschloss heute endgültig das gewaltige Hilfsprogramm in der Coronakrise. Es umfasst Maßnahmen zur Rettung von Arbeitsplätzen und Unternehmen, zur Un­terstützung von Krankenhäusern sowie zur Sicherung von Lebensunterhalt und Wohnung der Bürger.

Inzwischen sind in Deutschland mehr als 43.000 Infektionen mit dem neuen Coronavirus registriert worden. Mehr als 260 Infizierte sind bundesweit gestorben. Bund und Länder haben beispiellose Maßnahmen beschlossen, um die Ausbreitung des Virus einzu­dämm­en, darunter einen Neun-Punkte-Plan, der zwischenmenschliche Kontakte minimieren soll. Dieser Beschluss war erst am vergangenen Sonntag getroffen worden. Zuletzt hatte aber bereits eine Debatte darüber begonnen, wann die Maßnahmen wieder gelockert werden können.

Um die Folgen der Coronakrise aufzufangen, nimmt der Staat viel Geld in die Hand - vor allem, um bedrohte Unternehmen und damit Arbeitsplätze zu retten. Für kleine Firmen und Selbstständige soll es direkte Zuschüsse im Höhe von 50 Milliarden Euro geben. Außerdem läuft ein unbegrenztes Kreditprogramm über die Förderbank KfW.

dpa/afp/may

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung