Merz sieht Gesundheitswesen als größte Baustelle der Sozialpolitik

Berlin – CDU-Chef Friedrich Merz will die Pharmaindustrie und das gesundheitswesen durch Sozialreformen sowie einen Abbau von Steuerbelastungen und Bürokratie stärken. Europa müsse seine Abhängigkeit von fragilen Lieferketten verringern, erklärte er bei der Hauptversammlung des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in Berlin.
Es gebe keinen Sektor der deutschen Volkswirtschaft, der ein solches Wachstumspotenzial habe und so schnell wachse, wie die Gesundheitswirtschaft. „Wir haben ein Interesse daran, dass wir ein starker Pharmastandort bleiben – und ich zögere beim Wort bleiben“, erklärte Merz.
Denn die deutsche Pharmaindustrie habe in den zurückliegenden Jahren an Qualität und Innovationskraft eingebüßt. „Die Verteufelung der Biotechnologie und Gentechnik war der Beginn des Niedergangs dieses Teils der pharmazeutischen Industrie“, sagte er. „Davon haben wir uns bis heute nicht erholt.“
Es sei auch angesichts der globalen strategischen Lage inakzeptabel, dass Deutschland und Europa heute von internationalen Lieferketten abhängig sei, um die Grundversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen. „Wenn es in Europa noch einen einzigen Penicillinhersteller in Österreich gibt, der davor steht, von einem chinesischen Investor übernommen zu werden, muss das ein Warnsignal sein.“
Er sprach sich dagegen aus, rein auf Subventionen zu setzen, um Produktion und Forschung wieder ins Land zu ziehen. So würden die 2,5 Milliarden Euro, die die öffentliche Hand zur Förderung des Werkes von Eli Lily in Alzey ausgebe, dem Kapitalabfluss aus Deutschland in einer einzigen Woche entsprechen. 2022 sei mit einem Nettokapitalabfluss von 115 Milliarden Euro aus Deutschland ein neuer Negativrekord aufgestellt worden.
Um eine Wende herbeizuführen, müsse der Standort wieder attraktiv gemacht werden. So seien die Arbeitskosten in Deutschland deutlich zu hoch. Er meine damit nicht die Löhne, sondern vor allem die Lohnnebenkosten. „Wir kommen um die Reform unserer Sozialsysteme nicht herum“, betonte er. Das Gesundheitswesen sei dabei „sozialpolitisch die größte Baustelle der nächsten Jahre“.
Erneut machte er seine Ablehnung des Bürgergelds deutlich, das falsche Anreize setze und Menschen verleite, nicht mehr zu arbeiten, weil es sich finanziell für sie nicht mehr rentieren würde. Das müsse sich ändern.
Zudem müsse das Thema Bürokratie endlich angegangen werden. „Die Komplexitätskosten für die Unternehmen sind ins Unermessliche gestiegen“, mahnte er. Insbesondere die EU spiele dabei eine unrühmliche Rolle. Sie müsse sich in Zukunft mehr auf große Fragen wie Außen- und Sicherheitspolitik konzentrieren statt auf kleinteilige Regulierung.
Hinzu komme, dass Deutschland europäische Vorgaben regelmäßig übererfülle. Nach einem möglichen Regierungswechsel im kommenden Jahr wolle er deshalb dafür sorgen, dass EU-Vorgaben künftig eins zu eins umgesetzt werden und unnötige Regulationen abgebaut werden, die auf EU-Vorgaben basieren, aber EU-rechtlich nicht notwendig sind. Er habe bereits in Auftrag gegeben, eruieren zu lassen, an welchen Stellen das möglich ist.
Energiekosten und Steuerbelastung seien ebenfalls zu hoch. Er wolle die Unternehmenssteuerbelastung auf 25 Prozent senken und eine einheitliche Unternehmensbelastung unabhängig von der Rechtsform einführen.
Es müssten die makroökonomischen Bedingungen geschaffen werden, um medizinische Innovationen wieder zu fördern. Dazu gehöre eine Stärkung des Patentrechts als wirtchaftlichem Garant für Innovationen. Dabei brauche es aber auch das nötige gesellschaftspolitische Klima, das Unternehmertum nicht mehr geringschätze, sowie die für Forschung und Entwicklung notwendige Infrastruktur.
„Wenn ein Unternehmen wie Biontech seine Forschungsabteilung nach Großbritannien verlegt, weil in der EU keine Forschung möglich ist, muss man sich fragen, warum das so ist“, sagte er. Es müsse leichter möglich sein, Daten, die bei der Behandlung von Patienten entstünden, anonymisiert für die Forschung in der pharmazeutischen Industrie zu nutzen.
Der BPI-Vorsitzende Oliver Kirst wiederum kritisierte mangelnde Erstattung als Hauptursache für den Niedergang der pharmazeutischen Industrie. Es gebe Lieferengpässe, „weil Arzneimittel als reiner Kostenfaktor betrachtet werden“, sagte er. Die Rabattvertragsausschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen – insbesondere jene mit nur einem Zuschlag – seien wesentlich dafür verantwortlich, dass kaum noch pharmazeutische Produktion in Europa ansässig sei.
Denn wenn nur ein Hersteller den Zuschlag erhält, wüssten alle anderen Hersteller, dass sie mit ebenjenem Produkt in den kommenden Jahren keine Gewinne erzielen könnten, und würden die jeweilige Produktion stilllegen.
Sie dann wieder aufzubauen, sei langwierig und unter diesen Umständen auch kein wirtschaftlich darstellbarer Weg. Es brauche deshalb mindesten Ausschreibungen mit mehreren Zuschlägen, in denen auch mehrere Wirkstoffproduzenten vorgeschrieben werden.
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