Nachbesserungen bei Plänen zu Arzneimittelengpässen gefordert

Berlin – Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) erhält wenige Tage, bevor sich der Bundesgesundheitsausschuss mit ihm befasst, gemischte Reaktionen. Die geplanten Neuregelungen gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln werden als im Grundsatz richtig, aber nicht weitgehend genug kritisiert.
Die unparteiischen Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) kritisieren am vorliegenden Entwurf, dass es bei den geplanten Reformen im Bereich von Kinderarzneimitteln Regelungslücken gäbe. Arzneimittel mit altersgerechten Darreichungsformen für Kinder soll der G-BA demnach bei der Bildung für Festbetragsgruppen unberücksichtigt lassen. Die Hersteller sollen die Preise dann um 50 Prozent anheben dürfen.
Der G-BA soll jedoch laut Gesetzentwurf eine „fiktive Eingruppierung in eine Festbetragsgruppe“ für Arzneimittel mit altersgerechten Darreichungsformen und Wirkstärken für Kinder vornehmen, die dazu auf eine entsprechende Liste gesetzt werden. Der GKV-Spitzenverband soll dann einen „fiktiven Festbetrag“ festsetzen.
Die unparteiischen Mitglieder – Josef Hecken, Monika Lelgemann und Karin Maag – halten das für nicht erforderlich. „Mit einer entsprechenden Klarstellung, dass die von dieser Liste erfassten Arzneimittel als von der Festbetragsgruppe nicht erfasst gelten, könnte dies auch regulatorisch erreicht werden, ohne dass es einer fiktiven Eingruppierung durch den G-BA bedürfte“, schlagen sie stattdessen vor.
Sowohl der Zeitpunkt als auch die derzeit unbestimmte Begrifflichkeit des Inverkehrbringens eines Kinderarzneimittels würden für den G-BA angesichts der Vielzahl von Fallkonstellationen keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für eine solche fiktive Eingruppierung darstellen.
Demgegenüber begrüßen die drei Unparteiischen eine geplante Konkretisierung, wonach auch laut Gesetzestext künftig alle erstattungsfähigen Arzneimittel durch den G-BA bewertet werden sollen: „Damit wird klargestellt, dass (…) für jedes erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, das keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wird, zwingend ein Erstattungsbetrag durch Vereinbarung oder Festsetzung bestimmt werden muss und der G-BA hierfür eine Nutzenbewertung durchzuführen und eine Vergleichstherapie festzulegen hat.“
Das werfe jedoch ein neues Problem auf, da das Bundessozialgericht (BSG) im Februar 2023 entschieden hatte, dass der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln – der sogenannte Off-Label Use – keine zweckmäßige Vergleichstherapie gegenüber einem zulassungsrechtlichen Solisten – also dem in der jeweiligen Indikation einzigen zugelassenen Arzneimittel – sein könne.
Dadurch könne das Verfahren der frühen Nutzenbewertung seinem originären Zweck, eine wissenschaftliche Begutachtung des Zusatznutzens eines innovativen Arzneimittels gegenüber dem jeweiligen Versorgungsstandard zu ermöglichen, nicht hinreichend gerecht werden, kritisieren die unparteiischen G-BA-Mitglieder und fordern, eine dahingehende Nachbesserung in das ALBVVG aufzunehmen.
Sie schlagen dazu die Einführung des neuen Terminus „Vergleichstherapie zu Bewertungszwecken“ vor. In Abgrenzung zur Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie, die ausschließlich zugelassene Optionen berücksichtigen kann, könnte demnach bei Arzneimitteln ohne zugelassene zweckmäßige Vergleichstherapie der medizinische Zusatznutzen gegenüber einer vom G-BA zu bestimmenden Vergleichstherapie zu Bewertungszwecken nachgewiesen werden, so ihr Argument.
Auch aus Sicht der Pharmabranche reichen die geplanten Neuregelungen nicht aus. Die Maßnahmen seien „ein erster, wenngleich sehr zaghafter Schritt in die richtige Richtung“, erklärte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in einer schriftlichen Stellungnahme für die kommende Anhörung im Bundestag.
So werde die Preisgestaltung als „wichtiger Hebel zur Verbesserung“ der Versorgungslage erkannt, betont der BPI. Schwer erklärbar sei aber, dass Antibiotika und Kinderarzneimittel richtigerweise in den Fokus rückten, andere Patienten und Therapien von den Plänen jedoch nicht erfasst seien. „Engpassbedroht“ seien etwa auch Blutplasmapräparate.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) erläuterte in seiner Stellungnahme, strukturelle Defizite im System wie ein „ruinöser Preissenkungsmechanismus“ würden nicht angegangen. Maßnahmen mit dem Ziel, Produktion nach Deutschland und Europa „zurückzuholen“, seien schwer umzusetzen und wirkten allenfalls langfristig. Wichtig sei aber, auch akute Lieferengpässe schnell in den Griff zu bekommen.
Der GKV-Spitzenverband erklärte in seiner Stellungnahme: „Lieferengpässe haben vielfältige Ursachen.“ Der Ansatz, Liefersicherheit durch ein dauerhaft höheres Preisniveau zu erreichen, sei kein tragfähiger Lösungsweg. Mit den Neuregelungen würden Mehrkosten „jährlich mindestens im hohen dreistelligen Millionenbereich“ entstehen. Dem stehe „die bloße Erwartungshaltung gegenüber, dass damit eine verbesserte Liefersicherheit einhergeht“.
Die Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind am kommenden Montag Thema einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Sie sehen für eine bessere Absicherung des Angebots unter anderem neue Preisregeln vor, die Lieferungen nach Deutschland für Hersteller wirtschaftlich attraktiver machen sollen. Europäische Produzenten sollen generell stärker zum Zuge kommen. Geplant sind auch Regeln für mehrmonatige Bevorratungen als Sicherheitspuffer.
Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind aktuell gut 490 Meldungen zu Lieferengpässen erfasst. Probleme gab es zuletzt bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder, aber auch bei Präparaten für Erwachsene wie Antibiotika und Krebsmedikamenten.
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