Neue S1-Leitlinie zur interstitiellen Lungenerkrankung bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen

Berlin – Bei einigen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, etwa der systemischen Sklerose und bestimmten idiopathischen inflammatorischen Myopathien (IIM), kann das Risiko für eine interstitielle Lungenerkrankung (ILD) auf bis zu 70 Prozent ansteigen.
Erstmals wurde jetzt eine interdisziplinäre S1-Leitlinie zur Diagnose veröffentlicht, die vor allem Pneumologen adressiert. Ziel des Konsensuspapiers war es, für die bisher nicht standardisierte ILD-Diagnostik eine Leitschiene zu definieren.
Das Risiko dafür, dass das Krankheitsgeschehen auf die Lunge übergreift, ist nicht bei allen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gleich hoch. Besonders häufig tritt die ILD bei der systemischen Sklerose (SSc), der rheumatoiden Arthritis (RA), dem Sjögren-Syndrom und den hauptsächlich die Muskeln betreffenden Myositiden auf.
Typische ILD-Muster, serologische- und klinische Hinweise zur Diagnose werden in der Leitlinie in einer Tabelle aufgelistet. Bei der RA etwa sind fast ausschließlich Patientinnen und Patienten betroffen, bei denen sich der Rheumafaktor und bestimmte ACPA-Antikörper im Blut finden. Auch entwickeln männliche RA-Patienten häufiger eine ILD als Frauen, Raucher häufiger als Nichtraucher.
Darüber hinaus berichtete Andreas Krause, Chefarzt am Immanuel Krankenhaus Berlin bereits beim Deutschen Rheumatologiekongress 2022 überauf einen genetischen Risikofaktor für eine Lungenbeteiligung bei der RA, eine Variante in der Promoterregion des MUC5B-Gens. Während das durchschnittliche ILD-Risiko bei fünf bis zehn Prozent liege, seien Männer mit dieser genetischen Mutation zu fast 20 Prozent betroffen.
Höheres ILD-Risiko bei SSc und bestimmten IIM
Bei anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, etwa der systemischen Sklerose (SSc) und bestimmten idiopathischen inflammatorischen Myopathien (IIM), liegt der Anteil der Betroffenen zum Teil noch deutlich darüber – je nach Verlaufsform der Grunderkrankung und Art der verursachenden Autoantikörper entwickeln zwischen 30 und 70 Prozent der Patientinnen und Patienten eine Lungenbeteiligung.
Dabei steht die diffuse kutane Verlaufsform (dcSSc) im Vordergrund. Typischerweise geht sie mit einer Hautbeteiligung proximal der Ellenbogen oder Kniegelenke einher. Weitere Risikofaktoren für eine Lungenbeteiligung bei einer SSc sind laut Leitlinie AntiTopoisomerase-I-Antikörper (Anti-SCL-70) sowie männliches Geschlecht, afroamerikanische Ethnie und eine intestinale Beteiligung (European Respiratory Journal, 2020; DOI: 10.1183/13993003.02026-2019, Arthritis & Rheumatism, 2012; DOI: 10.1002/art.34482).
Bei einer IIM liegt die Häufigkeit einer klinisch apparenten ILD je nach Subtyp zwischen 30 und etwa 75 Prozent. Bei diesen entzündlichen Muskelerkrankungen handelt es sich um eine heterogene Gruppe seltener Autoimmunerkrankungen, für die eine entzündliche Beteiligung der Skelettmuskulatur namensgebend ist.
„Genaue Angaben zur Häufigkeit der ILD sind jedoch schwierig“, sagte Andreas Krause, Chefarzt am Immanuel Krankenhaus Berlin, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und Kongresspräsident 2022. Beim Deutschen Rheumatologiekongress im vergangenen Jahr wurden die Fortschritte in der Diagnose und Therapie bereits vor Veröffentlichung der Leitlinie thematisiert.
Evidenz für Therapien noch gering
Für die Therapie der rheumabedingten ILD steht mittlerweile eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung, die die überschießende Immunaktivität bremsen und so das Lungengewebe schützen.
„Allerdings ist die wissenschaftliche Evidenz für ihren Einsatz weiterhin gering“, sagte Krause – sie beruhe im Wesentlichen auf Registerdaten, Fallserien und Einzelberichten. Kontrollierte Studien seien nach wie vor rar und würden dringend benötigt.
Nicht alle Patienten würden konsequent auf einen möglichen Lungenbefall hin untersucht, zudem sei der Übergang zwischen gering ausgeprägten, eher harmlosen Lungenbefunden und einer klinisch bedeutsamen ILD fließend, erklärte Krause.
Erste Studien zur antifibrotischen Therapie
Neben der Immunsuppression gewinnt ein weiteres Wirkprinzip bei der Behandlung der ILD an Bedeutung: Antifibrotika sollen die entzündungsbedingte Umwandlung von funktionellem Lungengewebe in Narbengewebe unterbinden und so das Voranschreiten der Lungenfibrose zumindest verlangsamen.
Erste Studien zeigen, dass ILD-Patienten mit unterschiedlichen rheumatischen Grunderkrankungen davon profitieren, insbesondere wenn die immunsuppressive Therapie von einer Behandlung mit Antifibrotika flankiert wird (European Respiratory Journal, 2020; DOI: 10.1183/13993003.02279-2019).
Voraussetzung dafür, die ILD effektiv therapieren und die Lungenfunktion bestmöglich erhalten zu können, ist jedoch eine frühe Diagnosestellung. „Die Herausforderung besteht hier darin, dass eine ILD zu jedem Zeitpunkt der rheumatischen Erkrankung neu entstehen kann“, sagte Krause. Manchmal sei dies sogar noch vor der Rheumadiagnose selbst der Fall. Bei jeder neu diagnostizierten ILD solle daher auf eine möglicherweise zugrundeliegende rheumatische Erkrankung geachtet werden.
Dünnschicht-Volumen-Computertomografie als Goldstandard
Umgekehrt sollten alle Rheumapatient auf eine mögliche ILD hin untersucht werden. Dabei müssen mindestens die Lunge abgehört und mögliche Symptome wie Husten oder Luftnot abgefragt werden. Goldstandard für die Diagnose der ILD ist jedoch die Dünnschicht-Volumen-Computertomografie. In der Leitlinie gibt eine Tabelle einen Überblick über die empfohlenen technischen Parameter und Nachverabreitungsalgorithmen.
Empfehlungen dazu, welche Methode unter welchen Voraussetzungen und in welchen Abständen eingesetzt werden sollte, werden derzeit in einer interdisziplinären Leitlinie ausgearbeitet.
Ohnehin sind Diagnose und Therapie der rheumabedingten ILD von Anfang an eine interdisziplinäre Aufgabe, betonte Krause. „Schon bei Verdacht auf eine ILD – und erst recht beim Nachweis der Erkrankung – sollten das diagnostische Vorgehen, die erhobenen Befunde und die Therapie in interdisziplinären Konferenzen unter Beteiligung von Fachärztinnen und Fachärzten aus der Rheumatologie, Pulmonologie, Radiologie und Pathologie besprochen werden.“
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