Politik

Neuregelung der Suizidbeihilfe: Verfechter liberaler Entwürfe verbünden sich

  • Dienstag, 3. November 2015
Uploaded: 25.06.2014 15:17:32 by mis
dpa

Berlin – Im Vorfeld der für Freitag geplanten Entscheidung über die vier im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe haben heute zwei Gruppen ihre gegenseitige Unterstützung bei der Abstimmung bekannt gegeben. „Zum Schutz unserer Ärzte: Nein zu einer Neukriminalisierung der Suizidhilfe“ heißt der gemeinsame Appell der Gruppe um Peter Hintze (CDU), Carola Reimann und Karl Lauterbach (beide SPD) und Dagmar Wöhrl (CSU) sowie der Gruppe um Renate Künast und Kai Gehring  (beide Grüne) sowie Petra Sitte (Linke).

Sie appellieren damit an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, sich in der Abstimmung gegen „eine Neukriminalisierung der Suizidhilfe“ zu entscheiden. „Der Wunsch eines qualvoll Sterbenden nach Suizidassistenz wird durch unsere Gesetz­entwürfe abgesichert. Auch eine Beibehaltung der geltenden Rechtslage würde diesem Ziel dienen“, betonten sie.

Bei der interfraktionellen zweiten Lesung der vier Gesetzentwürfe am Freitag seien drei Runden geplant, erläuterte Hintze. In der ersten stünden alle vier Entwürfe zur Abstimmung, in der zweiten Runde nur noch die beiden mit den meisten Stimmen. Hier wollen sich die Anhänger der beiden Gruppen gegenseitig unterstützen und ihre Stimmen auf den Antrag vereinen, der dann noch mit zur Wahl steht. In der dritten Runde soll dann nur noch über den einen Gesetzentwurf mit den meisten Ja-Stimmen abgestimmt werden. Um in der dritten Lesung tatsächlich beschlossen zu werden, benötige er jedoch die Mehrheit aller abgegebenen gültigen Stimmen, betonte Hintze.

Schafft dies kein Gesetzentwurf, bleibt es bei der bisherigen Regelung. „Wer die jetzige Rechtslage beibehalten möchte, muss dann also konsequent mit Nein stimmen“, erläuterte Künast. Stimmenthaltungen könnten gravierende Folgen haben, da diese bei der Schlussabstimmung nicht zählten und somit der größten Gruppe nützen würden.

Beide Gruppen sehen mit Sorge, dass der Gesetzentwurf von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD), der eine Bestrafung der „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe vorsieht und bisher auf große Zustimmung trifft, in die letzte Runde gelangen könnte. „Dies würde die Ärzte der ernsthaften Gefahr staatsanwaltlicher Ermittlungen aussetzen“, warnte Lauterbach.

Lauterbach kritisiert Montgomery scharf
Betroffen wären insbesondere diejenigen Ärzte, die eine Vielzahl todkranker Menschen in der letzten Lebensphase begleiten, wie Palliativmediziner und Onkologen. Das würde das sensible und in der letzten Lebensphase besonders wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören. „Die Behauptung der Gruppe um Brand und Griese, eine Bestrafung der „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe würde Ärzte nicht bedrohen, ist demnach falsch“, betonte Lauterbach. Ärzte wären nur dann sicher geschützt, wenn es zu ihren Gunsten eine ausdrückliche Ausnahmeregelung gäbe, die die Gruppe Brand/Griese jedoch verweigere.

Auch dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, warf Lauterbach eine „einem Präsidenten nicht würdige Vernebelung“ der Tatsachen vor. Montgomery hatte im Vorfeld der Bundestagsentscheidung gerade noch mal seine Forderung nach einem Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe bekräftigt und sich öffentlich hinter den Gesetzentwurf Brand/Griese gestellt. Zugleich wies er Behauptungen zurück, der Entwurf kriminalisiere die Ärzte. Nach eingehender inhaltlicher und rechtlicher Prüfung könne die Bundesärztekammer keine Gefahr der Kriminalisierung der Ärzteschaft erkennen, betonte Montgomery. „Dieses Argument dient ausschließlich der Verunsicherung der Abgeordneten und auch einiger Ärzte.“

Suizidbeihilfe gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben
Der BÄK-Präsident stellte klar, dass es zwar aus Gründen des Föderalismus unterschiedliche Formulierungen in den Berufsordnungen der Landesärztekammern gebe. „Alle 17 Kammerpräsidenten Deutschlands haben aber  in einer Pressekonferenz am 5. Dezember 2014 gemeinsam festgestellt, dass es nicht zu den ärztlichen Aufgaben gehört, sich am Suizid eines Patienten helfend zu beteiligen. Dies beinhaltet die in allen 17 Berufsordnungen wortgleich verankerte „Generalpflichtenklausel“ (§ 1(2) Musterberufsordnung)“, so Montgomery. Richtig stellte Montgomery zudem, dass die Ärztekammern auch keine Approbationen entziehen würden. „Vielmehr handelt es sich hierbei um eine den staatlichen Behörden vorbehaltene Aufgabe“, stellte er klar.

Lauterbach sagte heute, man könne Montgomerys Stellungnahme mit Äußerungen, wie „die Erde ist eine Scheibe“ vergleichen. Gehring bezeichnete die Worte des BÄK-Präsidenten als „grenzwertig“. „Wir sind die Anti-Bevormundungs-Gesetzesvertreter“, erklärte er. Künast warnte vor einer Strafverschärfung, zu der es bei einer Neuregelung der Suizidbeihilfe kommen werde. Werde der Gesetzentwurf von Brand und Griese beschlossen, drohten den Ärztinnen und Ärzten Haftstrafen oder zumindest zahlreiche Ermittlungsverfahren, sagte sie. Der Entwurf ziele vielleicht auf Sterbehilfevereine, treffe aber alle, erklärte Reimann.  

Brand-Griese-Entwurf haben mehr als 200 Abgeordnete unteschrieben
Der aussichtsreiche Gesetzentwurf von Brand und Griese hat bisher Unterstützung aus den Fraktionsspitzen von Union, SPD und Grünen erhalten. Der von über 200 Abgeord­neten unterschriebene Antrag schaffe „einen rechtlich sicheren wie ethisch und politisch überzeugenden Vorschlag, um die geschäftsmäßige Ausweitung der Sterbehilfe einzudämmen", heißt es in einem jüngst von den Fraktionschefs Volker Kauder (CDU/CSU), Thomas Oppermann (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) unterzeichneten Schreiben.

Bundespräsident Joachim Gauck war gestern bei einer von ihm initierten Diskussion zum Thema Palliativmedizin nicht direkt auf die Debatte um die Neuregelung der Suizidbeihilfe eingegangen. Er lobte jedoch den geplanten Ausbau der Palliativmedizin, der am Donnerstag im Deutschen Bundestag beschlossen werden soll und würdigte den Einsatz der ehrenamtlicher Helfer in diesem Bereich. „Ich bin dankbar, dass die Hospizbewegung auch bei uns in Deutschland immer weitere Verbreitung findet. Ich bin froh, dass sie zunehmend nicht mehr als Gegenmodell zur Intensivmedizin diskutiert wird, sondern als eine sinnvolle Ergänzung“, sagte er.

ER

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung