Ärzteschaft

Niedergelassene Ärzte fordern kassenspezifische Honorarverträge

  • Mittwoch, 20. September 2017
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Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) will künftig bei den Honorar­verhandlungen zu kassenspezifischen Gesamtverträgen zurückkehren und nicht mehr mit dem GKV-Spitzenverband verhandeln. Ob die Verträge auf Bundes- oder Landes­ebene verhandelt würden, müsse man noch klären, hieß es. Hintergrund ist der gestrige Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses zu den Honoraren für das Jahr 2018.

Die einzelnen Krankenkassen hätten eine größere Nähe zur Versorgung und zu den Patienten, sodass deren Bereitschaft deutlich größer sei, sich auf innovative Vergütungsmodelle einzulassen, begründete der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen heute vor der Presse den Vorstoß. „Hier muss der Gesetzgeber nachschärfen“, forderte er und beklagte zugleich eine zunehmend „rustikale Tonalität“ in den Gesprächen mit dem GKV-Spitzenverband.

Orientierungswert steigt um 1,18 Prozent

Wie bereits gestern nannte der KBV-Chef das Ergebnis der Honorarverhandlungen „völlig unzureichend“. Der Beschluss sieht vor, den Orientierungswert, also den Preis für die ärztliche Leistung, im nächsten Jahr um 1,18 Prozent oder 437,8 Millionen Euro gegenüber diesem Jahr anzuheben. Um 0,32 Prozent oder 79,3 Millionen Euro erhöht sich demnach 2018 der geschätzte morbiditätsbedingte Behandlungsbedarf.

Weitere 8,5 Millionen Euro zusätzlich sind für einen nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs, wie zum Beispiel eine Grippewelle, vorgesehen. Das bedeutet ein durchschnittliches jährliches Umsatzplus von 3.000 Euro je Arzt. Außerdem sollen 63 Millionen Euro für Leistungen von nicht ärztlichen Praxis­assistentinnen (NäPa) in das Gesamtbudget fließen.

Endsumme unklar

Der GKV-Spitzenverband hatte gestern eine Honorarsteigerung von einer Milliarde Euro verkündet, in dieser Summe aber auch 400 Millionen Euro berücksichtigt, die für extrabudgetäre Leistungen wie zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen, bereitstehen. In den Verhandlungen hatte der GKV-Spitzenverband eine Nullrunde, die KBV ein Plus von 2,4 Prozent gefordert. Die jetzige Entscheidung von 1,18 Prozent sei im Erweiter­ten Bewertungsausschuss gegen die Stimmen der Ärzte gefallen, so Gassen. Dem Schiedsgremium gehören neben jeweils drei Vertretern von Ärzten und Krankenkassen drei unparteiische Mitglieder an.

„Selbst wenn wir tatsächlich ein Plus von einer Milliarde Euro erzielt hätten, wäre das kein tolles Ergebnis“, sagte Gassen. Denn noch immer würden 20 Prozent der ärztlichen Leistungen nicht vergütet und in den Praxen zeichne sich schon jetzt ein Investitions­stau ab. Es sei zudem nicht korrekt, wenn der GKV-Spitzenverband die extrabudgetären Leistungen in die Honorarsteigerung einpreise. Man wisse ja noch gar nicht, ob diese Leistungen abgefordert würden. Und wenn, dann müssten die Ärzte sie zusätzlich erbringen. „Das ist Mehrarbeit, die bezahlt werden muss“, meinte Gassen.

„In der Ärzteschaft werden Stimmen laut, das eigene Tun dem Honorar anzupassen“, kommentierte der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Stefan Hofmeister das Ergebnis. Auch er kritisierte die Blockadehaltung der Kassen trotz hervorragender Finanzlage. So seien auch sämtliche Vorschläge der KBV zur Strukturförderung kategorisch abgelehnt worden. Dazu gehörten Nachbesserungen bei den Chroniker­ziffern ebenso wie Zuschläge für die aufwendige Betreuung multimorbider Patienten.

Als Mogelpackung bezeichnete es Hofmeister, dass die Kassen die 63 Millionen Euro für die NäPas als Honorarsteigerung verkauften. Deren Förderung sei bereits 2014 beschlossen worden. Das Geld hätten die Hausärzte allerdings nie in voller Höhe abrufen können. „Jetzt fließt die Summe in die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung. Das Geld der letzten drei Jahre ist aber weg – ein Geschenk an die Kassen.“

Kassen zufrieden, deutliche Kritik von Ärzten

Bei den Kassen zeigte man sich zufrieden mit dem Honorarabschluss. „Das ist eine maßvolle Entscheidung, die sowohl den Honorarinteressen der niedergelassenen Ärzte als auch denen der Beitragszahler gerecht wird“, erklärte bereits gestern der stellver­tre­tende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg. Jetzt folgen weitere Verhandlungen zur Umsetzung der Honorarbeschlüsse auf regionaler Ebene zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Kassen vor Ort. Groß ist der Spielraum hingegen nicht, wie KBV-Vorstand Hofmeister betonte. „Man kann nur noch punktuell nachbessern.“

Kritik an dem Beschluss kam unter anderem aus Baden-Württemberg. Der Vorstand der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung reagierte empört. „Im Ergebnis sind das 70 Cent pro Fall im Quartal mehr. Drei Pfandflaschen vom Discounter, also 70 Cent mehr für die Versorgung im Quartal für einen Patienten – das ist die Botschaft der Bundesebene der Krankenkassen an die Menschen und niedergelassenen Ärzte, wie viel sie ihnen wert sind“, zeigten sich Vorstandschef Norbert Metke und sein Stellvertreter Johannes Fechner verärgert. Beide forderten die Politik auf, in der nächsten Legislaturperiode diesem „Unsinn“ ein Ende zu setzen. Sie forderten Verhandlungen auf Regionalebene.

Auch der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands zeigte sich enttäuscht. „Dieser Honorarabschluss ist eine Nullnummer. Damit werden die Praxisärzte von der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung abgekoppelt“, kommentierte der Bundesvorsitzende Dirk Heinrich. Er betonte, die Kassenfunktionäre an der Bundesspitze hätten sich schon längst von der Versorgungsrealität verabschiedet. „Dort fehlen das Wissen und das Verständnis, was vor Ort in den Praxen an Versorgung geleistet wird“, sagte Heinrich. Eine neue Bundesregierung müsse dringend den gesetzlichen Ablauf der Honorarverhandlungen prüfen.

Systemdebatte notwendig

Die fortgesetzte restriktive Blockadehaltung des GKV-Spitzenverbandes erzwingt nach Überzeugung des Vorsitzenden des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, eine grundsätzliche Systemdebatte. Das Selbstverständnis des Spitzenverbandes, das im Wesentlichen darin bestehe, sich durch Bereitstellung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung von jeglicher Versorgungsverantwortung zu befreien, gehöre grundsätzlich in Frage gestellt, sagte er. Solange die Krankenkassen am wirtschaftlichen Risiko durch Demographie, Morbiditätsentwicklung, medizinischen Fortschritt und auch von ihnen im Wettbewerb selbst induzierten Leistungsanspruch der Versicherten nicht unmittelbar wirklich angemessen beteiligt seien, werde es ihrerseits zu keiner wirklichen Verantwortungsübernahme im Rahmen einer sinnvoll organisierten Patientenversorgung kommen.

Die Freie Ärzteschaft (FÄ) befürchtet, dass sich angesichts dieser Honorarentwicklung die Bedingungen in der ambulanten Medizin weiter verschärfen. Die Möglichkeiten der Ärzte, kassenärztliche Leistungen anzubieten, werden weiter eingeengt. „Letztlich können viele Ärzte gar nicht anders verfahren, als Umfang und Aufwand der medizinischen Leistungen ihrer wirtschaftlichen Situation anzupassen. Das heißt oft: diese weiter zu reduzieren“, sagte der FÄ-Vorsitzende Wieland Dietrich.

HK/may

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