Nordrhein-Westfalen erlaubt mehr Freiheiten für Geimpfte, Genesene und Getestete

Düsseldorf – Wie schon Baden-Württemberg ändert nun auch Nordrhein-Westfalen (NRW) seine Coronaverordnung und ermöglicht Geimpften, Genesenen und Getesteten wieder ein einschränkungsfreieres Leben.
„Für mich ist heute ein schöner Tag“, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) vor Journalisten in Düsseldorf. „Denn wir haben eine Zeitenwende in der Pandemie erreicht. Wir können den Menschen weitestgehend ihre Freiheiten zurückgeben.“
Ab kommendem Freitag müssen Menschen in NRW bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 35 für einen Besuch der Innengastronomie, bei einer Hotelübernachtung oder beim Sport in Hallen getestet, geimpft oder genesen sein. Diese 3G-Regel gilt auch für Veranstaltungen in Innenräumen, für körpernahe Dienstleistungen und Großveranstaltungen im Freien ab 2.500 Personen.
3G-Regel gilt für den Besuch von Krankenhäusern
Für den Besuch von Clubs und Diskotheken muss ein PCR-Test vorgelegt werden. Gleiches gilt bei sexuellen Dienstleistungen. Für den Besuch von Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen gilt die 3G-Regel generell, also nicht erst ab einer 7-Tage-Inzidenz von 35. Die Regel ist zunächst bis zum 17. September gültig.
Schulpflichtige Kinder und Jugendliche gelten aufgrund ihrer Teilnahme an den verbindlichen Schultestungen als getestete Personen. „Sie brauchen dort, wo die 3G-Regel gilt, lediglich ihren Schülerausweis vorzulegen“, sagte Laumann.
Unabhängig vom Inzidenzwert besteht weiterhin für alle Personen die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske im öffentlichen Personennahverkehr, im Handel, in Innenräumen mit Publikumsverkehr, in Warteschlangen und an Verkaufsständen sowie bei Großveranstaltungen im Freien, außer am Sitzplatz.
Mit dem Impffortschritt im Land zeigte sich der Minister nicht zufrieden. „Derzeit gibt es in NRW 20.000 bis 25.000 Erstimpfungen pro Tag“, erklärte er. „Das muss mehr werden. Wir müssen in NRW noch 1,5 Millionen Menschen unbedingt impfen. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, brauchen wir dafür noch 75 Tage. Das ist mir zu lang. Wir müssen sehen, dass wir die Menschen motivieren, sich impfen zu lassen.“
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Notfall- und Intensivmedizin (DIVI), Gernot Marx, betonte, dass die Coronapandemie noch nicht vorüber sei. „Wir sind noch nicht über den Berg“, sagte er.
Derzeit lägen 548 COVID-19-Patienten in Deutschland auf den Intensivstationen. Vor einem Jahr seien es 226 gewesen. Und die Zahlen stiegen wieder an. Allerdings sei „die Lage derzeit sehr gut im Griff“, so Marx. Drei Prozent der Intensivkapazitäten würden heute für COVID-19-Patienten benötigt.
Deutliche Altersverschiebung
Der Intensivmediziner warnte allerdings davor zu glauben, dass die Delta-Variante keine schweren Verläufe induziere. „Sechs Prozent der infizierten Patienten werden hospitalisiert“, sagte Marx. Und „die überwiegende Anzahl der hospitalisierten COVID-19-Patienten ist nicht oder nicht vollständig geimpft“. Wer vollständig geimpft sei, sei hingegen vor schweren Verläufen wirksam geschützt.
In Deutschland sehe man derzeit eine deutliche Altersverschiebung. So liege die 7-Tage-Inzidenz bei den 15- bis 19-Jährigen bei 124. Je älter die Menschen seien, desto geringer werde die Inzidenz. Bei den 60- bis 64-Jährigen liege sie bei 18,3. Auf den Intensivstationen sei mittlerweile jeder vierte COVID-19-Patient unter 50 Jahren alt.
Noch keine neue Kennzahl
Derzeit wird darüber diskutiert, ob der Inzidenzwert zur Bewertung der Pandemie noch angemessen ist. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat zum Beispiel eine Kombination aus verschiedenen Daten zur Einschätzung der Pandemielage gefordert. „Wir haben noch keine neue Kennzahl“, sagte Laumann heute.
„Im NRW-Gesundheitsministerium haben wir immer nicht nur auf die Inzidenz geschaut, sondern auch auf den R-Wert, auf die Belegung der Krankenhäuser und der Intensivstationen. So werden wir das auch in den nächsten Wochen tun und auf der Basis dieser Zahlen die Situation bewerten. Das hat sich bewährt.“
Marx erklärte, dass „unsere Experten gerade dabei sind, die verschiedenen, hochkomplexen Zahlen zu analysieren, um möglichst einen einfachen Prädiktor zur Verfügung stellen zu können“.
Niedergelassene übernehmen das Impfgeschehen
Laumann machte deutlich, dass NRW Hochbetagten und Menschen, die mit Vektorimpfstoffen geimpft wurden, ein Angebot für eine Auffrischimpfung machen wolle.
Wenn Bewohner von Altenheimen in den Einrichtungen eine Auffrischimpfung erhalten, soll auch den Mitarbeitenden ein Impfangebot gemacht werden. Laumann betonte, dass jeder weiter als vollständig geimpft gelte, der zweimal geimpft wurde. Der Minister kündigte an, dass NRW Ende September seine Impfzentren schließen wolle.
„Wir haben einen Rahmenvertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung gemacht, die dann das Impfgeschehen übernimmt“, sagte Laumann. „Die niedergelassenen Ärzte haben das bisher stark gemacht und ich habe keine Bedenken, dass das nicht klappen wird.“ Pro 100.000 Einwohner gebe es in den Gesundheitsämtern zudem eine Planstelle, die das weitere Vorgehen bei den Auffrischimpfungen koordiniere.
„Wenn wir gewusst hätten, dass man Biontech auch so problemlos in Arztpraxen handhaben kann, hätten wir die Strukturen mit den Impfzentren nicht in dieser Form geschaffen“, meinte Laumann. „Die Impfzentren kosten auch jeden Monat 91 Millionen Euro.“
Laumann warb dafür, dass sich mehr 12- bis 17-Jährige gegen SARS-CoV-2 impfen lassen. Eine entsprechende Empfehlung hatte gestern die STIKO ausgesprochen. „Dieser Gruppe wollen wir ein Impfangebot in unseren Impfzentren machen“, sagte Laumann.
27 Prozent der 12- bis 17-Jährigen seien bislang in NRW geimpft. „Da ist noch Luft nach oben“, meinte der Minister. „Es wäre schön, wenn sich viele 12- bis 17-Jährige für eine Impfung entschließen könnten, weil es die Deltavariante dann in den Schulen nicht so einfach hätte.“
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: