Normung medizinischer Leistungen: „Eine der größten Bedrohungen des Kammersystems“

Rankfurt/M. – Der Präsident der Bundesärztekammer hat die laufenden Vorstöße zur Normung medizinischer Dienstleistungen auf europäischer Ebene als „eine der größten Bedrohungen des Kammersystems seit langem“ kritisiert. Über einen Umweg versuche die EU-Kommission Einfluss auf die Berufsausübung der Ärzte und langfristig auf die aller Freien Berufe in Europa zu nehmen, sagte Frank Ulrich Montgomery am 20. August bei einem Vortrag in der Landesärztekammer Hessen in Frankfurt am Main.
Eigentlich gebe der Lissaboner Vertrag den Mitgliedstaaten das Recht, das Gesundheitswesen und die medizinische Versorgung der Bevölkerung eigenverantwortlich zu gestalten: „Dieses Recht wird durch die Hintertür ausgehebelt.“
Die Bundesärztekammer werde alles daran setzen, „dass wir zumindest in Deutschland weiter in unseren beruflichen Zusammenschlüssen – Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen –die Definitionshoheit über die ärztliche Berufsausübung behalten“, betonte Montgomery. Sowohl das Bundesgesundheitsministerium als auch die Gesundheitsministerkonferenz der Länder habe man bereits für das Problem sensibilisieren und vom ärztlichen Standpunkt überzeugen können. Beim Bundeswirtschaftsministerium sei dies allerdings ungleich schwerer.
Ihm werde „Angst und Bange“, wenn er höre, dass sich die Ingenieure des Europäischen Komitees für Normung (CEN) mit Verhaltensmaßregeln und ethischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen beschäftigten, unterstrich Montgomery.
Der Präsident der Bundesärztekammer rief die anwesenden Ärztinnen und Ärzte auf, sich vehement bei ihren Ministerien und den für Normung zuständigen Institutionen dafür einzusetzen, Normierungen ihrer Tätigkeiten zu verhindern. Juristisch gegen die Normung von Gesundheitsdienstleistungen vorgehen könne man wohl erst, wenn ein Gesetz vorliege, das explizit gegen den Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2009 verstoße.
Seit Ende 2010 arbeitet das CEN gemeinsam mit 33 nationalen Instituten – in Deutschland ist es das Deutsche Institut für Normung (DIN) – an einem Standard für ästhetische Chirurgie. Bisher haben sich CEN und DIN vorwiegend damit beschäftigt, technische Standards zu setzen, etwa für USB-Sticks oder Handystecker. Jetzt soll erstmals eine Norm geschaffen werden, die sich auf die Ausübung der Medizin bezieht, indem sie Qualifikations- und Qualitätsstandards für ästhetisch-chirurgische Eingriffe vorgibt. Neben der für ästhetische Chirurgie werden zurzeit auch Normen für Homöopathie, Osteopathie und zur Behandlung der Kiefer-Gaumenspalte erarbeitet.
Solche Normen würden in „erhebliche rechtliche Konkurrenz“ zu Richtlinien der Bundesärztekammer und den Berufsordnungen der Ärztekammern treten, betonte Montgomery. Schließlich seien in Deutschland die Ärztekammern für die Definition fachärztlicher Standards in den Weiterbildungsordnungen zuständig. In den medizinischen Fachgesellschaften würden zudem qualitativ hochwertige medizinische Leitlinien entwickelt.
„Natürlich haben unsere Richtlinien und Leitlinien einen höheren Stellenwert als eine DIN-Norm, zumal die Teilhabe an der Norm freiwillig ist, dennoch würde ich Ärzten empfehlen, sich entsprechend zertifizieren zu lassen“, betonte Montgomery. Denn es bestehe die Gefahr, dass sich Gerichte in Haftungsprozessen auf die Anwendung solcher Normen beziehen könnten: „Das ist dann die normative Kraft des Faktischen“.
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