Olympia feiert Menschen mit Behinderung – ein Marketing-Gag?

Paris – Auf dem offiziellen Plakat der Olympischen Spiele 2024 – einem Wimmelbild – erkennt man auf dem Dach des Grand Palais zwei Fechter im Rollstuhl. Auf dem Arc de Triomphe treten vier Tennisspieler im Rollstuhl gegeneinander an. Darunter: die Aufschrift „Jeux Paralympiques“ (Paralympische Spiele).
Das Internationale Olympische Komitee (IOK) wirbt damit für mehr Inklusion in der Gesellschaft. Sport sei ein „Booster“, der Charakterstärke vermittle, sagte Marie-Amelie Le Fur, Präsidentin des Französischen Paralympischen und Sportlichen Komitees.
Die Realität sieht allerdings anders aus: Die Olympischen Spiele und die Paralympics laufen auch in diesem Jahr getrennt voneinander ab, mit mehr als zwei Wochen Abstand. Die Paralympics, die am 28. August beginnen, bekommen eine eigene Eröffnungsfeier. Nicht auf der Seine, sondern auf der Champs Elysees. Ist Paris 2024 trotzdem ein Schritt zu mehr Inklusion?
Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele etwa holten die Veranstalter auch Menschen mit Behinderung auf die Bühne. Diese Idee finde er zwar „ausgezeichnet“, sagte Markus Rehm, deutscher Leichtathletik-Sportler und mehrfacher Sieger bei den Paralympics.
„Ich fände es allerdings schön, die Athleten noch stärker einzubinden“ – etwa mit einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung der Olympischen Spiele und der Paralympics. „Denkbar wäre zum Beispiel ein gemeinsamer Staffellauf von Sportlern mit und Sportlern ohne Behinderung, mit dem Olympischen Feuer“, sagte Rehm. „Der Sieger hätte die Ehre, das Feuer zu entfachen.“
Interessenverbände für Menschen mit Behinderung in Deutschland reagierten gespalten. „Olympische Spiele und Paralympics werden immer noch unabhängig voneinander organisiert“, sagte Cathrin Delbrouck, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Inklusion. Nach den Olympischen Spielen würden die Sportlerinnen und Sportler meist sofort abreisen. In der Berichterstattung drohten die Paralympics deshalb unterzugehen. Von Inklusion sei Olympia „weit entfernt“.
Andere warnen vor sogenanntem Social Washing: Ähnlich wie Green oder Pink Washing meint es Strategien, sich selbst von Diskriminierungsvorwürfen gewissermaßen reinzuwaschen – mit Slogans und oberflächlichen Maßnahmen.
„Wenn das Komitee der Olympischen Spiele Inklusion nach außen propagiert, dann klingt das zwar ganz nett“, sagte Laura Mench, Mitarbeiterin des Vereins „Aktiv und selbstbestimmt“ für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige. „Wichtiger aber ist, ob Menschen mit Behinderung in den Organisationsprozess der Spiele mit eingebunden waren. Davon ist mir bislang nichts bekannt.“
Mench fordert, Olympische Spiele und Paralympics in einer Veranstaltung laufen zu lassen. „Manche Sportarten ließen sich möglicherweise sogar gemeinsam bestreiten“, sagte Mench. „Dazu müssten wir überlegen, wie sich körperliche Nachteile von Menschen mit Behinderung ausgleichen lassen – ohne Menschen ohne Behinderung zu benachteiligen.“
Delbrouck glaubt nicht, dass sich das problemlos umsetzen lässt, schlägt aber vor, die Spiele parallel laufen zu lassen. „Auch Frauen und Männer treten bei Olympia parallel gemeinsam und trotzdem getrennt voneinander an“, sagt sie. „Warum sollte so etwas nicht auch für Menschen mit Behinderung möglich sein?“
Markus Rehm zweifelt daran, dass sich gemeinsame Spiele umsetzen lassen. „Einzelne Disziplinen könnten parallel laufen“, sagte er. „Alles gemeinsam zu organisieren, würde aber den Rahmen sprengen.“ Disziplinen der Paralympics hätten teilweise eigene Regeln, die sich von den Olympischen Spielen unterscheiden. „Wir müssten hier viel Erklärarbeit leisten.“ Das könnte für das Publikum kompliziert werden – „und die paralympischen Disziplinen damit unattraktiv machen.“
Eine Fangemeinde der Paralympics gibt es schon jetzt. Das IOK rechnet bei den Olympischen und den Paralympischen Spielen mit insgesamt fast 350.000 Zuschauern mit Behinderung, heißt es in einer Pressemitteilung. Für Paris 2024 sei es deshalb Priorität, für diese Fans eine „angemessene Zugänglichkeit“ zu den Spielen zu gewährleisten.
Kritiker bemängeln, das öffentliche Verkehrssystem etwa sei auf Menschen mit Behinderung nicht ausgelegt. Die Pariser Metro ist nur an einer Linie barrierefrei, nämlich der 14. Nach Informationen des ZDF ist für die Region Ile-de-France ein Sonderprogramm über 1,5 Milliarden geplant, das RER-Bahnhöfe leichter zugänglich machen soll.
Rehm wünscht sich mehr mediale Aufmerksamkeit. „Ich habe mich gefreut zu sehen, dass das ZDF die Spiele in diesem Jahr auch in der Prime Time sendet und uns eine Plattform gibt“, sagt Rehm. „Das erhöht den Druck, da wir so eine Chance haben, uns stärker zu präsentieren.“
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