Medizin

Pädiatrische Intensivmedizin: Enge Blutzuckerkontrolle und Hypothermie in Studien ohne Vorteil

  • Donnerstag, 26. Januar 2017

Philadelphia/Ann Arbor – Die enge Kontrolle des Blutzuckers und eine therapeuti­sche Hypothermie, zwei in den letzten Jahren populär gewordene intensivmedizinische Therapien, haben in zwei großen randomisierten Studien nicht die erhofften Vorteile erzielt. Die Studien wurden auf dem Jahreskongress der Society of Critical Care Medicine in Honolulu vorgestellt und im New England Journal of Medicine (2017; doi: 10.1056/NEJMoa1612348 und 10.1056/NEJMoa1610493) publiziert.

Kontinuierliche Blutzuckermessungen und Computer-gesteuerte Insulingaben ermög­lichen es Intensivmedizinern heute, den Blutzucker ihrer Patienten in einem gewünsch­ten Korridor einzustellen. Die Normoglykämie soll dabei das Morbiditäts- und Mortalitäts­risiko der Patienten senken. Die Blutzuckereinstellung ist jedoch nicht perfekt. Hypogly­kä­mien lassen sich nicht völlig vermeiden. Kinder gelten hier als besonders gefährdet.

Auch in einer viel beachteten Studie aus der Universität Leuven, die vor sieben Jahren publiziert wurde, war es zu einem Anstieg der Hypoglykämien (5 versus 1 Prozent) gekommen. Dennoch konnte die Aufenthaltsdauer der Patienten auf der Intensivstation von 6,1 auf 5,5 Tage verkürzt werden, und die Sterblichkeitsrate halbierte sich von 6 auf 3 Prozent. 

Das National Heart, Lung, and Blood Institute (NHLBI) entschloss sich, die Ergebnisse der belgischen Studie zu überprüfen. An der HALF-PINT-Studie („Heart and Lung Failure Pediatric INsulin Titration Trial“) beteiligten sich 35 Zentren. Schwerstkranke Patienten (ausgenommen kardiale Vitien) mit einer Hyperglykämie wurden auf zwei Gruppen randomisiert. In den Gruppen wurde ein Blutzucker von 80 bis 110 mg/dl oder von 150 bis 180 mg/dl angestrebt. Primärer Endpunkt war die Dauer des Aufenthaltes auf der Intensivstation.

Ursprünglich sollten 1.414 pädiatrische Intensivpatienten mit Hyperglykämie teilnehmen. Die Studie wurde jedoch zur Halbzeit nach Einschluss von 713 Patienten abgebrochen, da kein Vorteil der engeren Blutzuckereinstellung erkennbar war. Wie Michael Agus vom Boston Children’s Hospital und Mitarbeiter jetzt berichten, konnte die Dauer der Intensiv­behandlung nicht verkürzt werden. Mortalität, Organversagen und die Zahl der Tage ohne Beatmung waren in beiden Gruppen gleich. Unter der engeren Blutzuckerein­stel­lung kam es – wie in der belgischen Studie – jedoch häufiger zu schweren Hypoglykämi­en (5,2 versus 2,0 Prozent). Auch die Zahl der Infektionen war erhöht (3,4 versus 1,1 Prozent).

Die zweite Studie hat sich mit der Frage beschäftigt, ob eine therapeutische Hypo­ther­mie bei Kindern, die nach einer kardiovaskulären Reanimation in ein Koma gefallen sind, die Prognose verbessert. Auch hier gab es Vorbilder: Erwachsene, die nach einem Herz­stillstand außerhalb des Krankenhauses reanimiert wurden, hatten in Studien häu­fi­ger überlebt, wenn ihre Körper vorübergehend abgekühlt wurden (neuere Unter­su­chungen haben dies jedoch wieder infrage gestellt).

Das National Heart, Lung, and Blood Institute (NHLBI) hat in den beiden THAPCA-Studien (Therapeutic Hypothermia after Pediatric Cardiac Arrest) untersucht, ob eine milde Abkühlung bei Kindern vorteilhaft ist. An der Studie THAPCA-OH hatten Kinder teilgenommen, die außerhalb der Klinik („out of hospital“) einen Herzstillstand erlitten hatten. Nach den vor zwei Jahren im New England Journal of Medicine (2015; 372: 1898-1908) publizierten Ergebnissen hat die milde Hypothermie die Überlebenschancen der Kinder nicht verbessert.

Jetzt liegen die Ergebnisse der Partnerstudie THAPCA-IH („in hospital“) vor. Pädiatri­sche Patienten, die nach einer Reanimation im Krankenhaus komatös waren, wurden auf zwei Gruppen randomisiert. In der ersten wurde der Körper auf eine Zieltemperatur von 33,0 Grad Celsius abgekühlt. In der anderen wurde eine Normothermie mit einer Zieltemperatur von 36,8 Grad Celsius angestrebt. Primärer Endpunkt war das Über­leben nach zwölf Monaten ohne größere Behinderungen (VABS-II-Score von 70 oder höher). 

Die Studie wurde nach dem Einschluss von 329 Patienten vorzeitig abgebrochen, weil kein Vorteil erkennbar war. Wie Frank Moler von der Universität von Michigan in Ann Arbor und Mitarbeiter berichten, hatten in der Hypothermie-Gruppe 48 von 133 Patien­ten (36 Prozent) den primären Endpunkt erreicht – gegenüber 48 von 124 Patienten (39 Prozent) in der Normothermie-Gruppe.

Das ergibt ein relatives Risiko von 0,92, das mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,67 bis 1,27 nicht signifikant war. Auch im Gesamtüberleben (49 Prozent in der Hypothermie-Gruppe und 46 Prozent in der Nor­mo­thermie-Gruppe) gab es keine Unterschiede. Die gezielte Abkühlung des Körpers scheint damit bei Kindern, die nach einem Herzstillstand reanimiert wurden und komatös sind, keine Vorteile zu haben.

rme

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