Patienten sollen in ePA ärztliche Abrechnungen überprüfen

Berlin – Patientinnen und Patienten sollen künftig über die elektronische Patientenakte (ePA) genauer überprüfen, was ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte abrechnen. Die Krankenkassen wiederum sollten bei ihren Versicherten für dieses Vorgehen werben. Das forderte die Leiterin der Unterabteilung Versorgung und Krankenhauswesen im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Johanna Sell, gestern in Berlin.
Die flächendeckende Einführung der ePA könne unter Versicherten mehr Bewusstsein für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen schaffen, erklärte Sell bei einer Veranstaltung anlässlich des 20. Jubiläums der Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen des GKV-Spitzenverbands.
Denn sie würden dadurch die Möglichkeit erhalten, unkompliziert selbst nachzuverfolgen, welche Leistungen erbracht und abgerechnet wurden. Im Zweifelsfall könnten sie mutmaßlichen Betrug dann selbstständig melden. Die Kassen wiederum sollten sie auf diese Möglichkeiten explizit hinweisen, erklärte sie.
Mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen (Digitalgesetz) und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) sollen sowohl die ePA mittels einer automatischen Bereitstellung durch die Krankenkassen flächendeckend verfügbar gemacht werden als auch die Möglichkeiten zur Nutzung von Gesundheitsdaten verbessert werden.
Das werde auch die Fähigkeiten der Kassen zur Bekämpfung von Abrechnungsbetrug und Korruption verbessern, erklärte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer. „Wir haben bereits viele Daten, die wir nur besser nutzen müssen“, erklärte er.
Die Kassen müssten künftig Abrechnungsdaten systematischer mit Algorithmen analysieren, um Unregelmäßigkeiten oder bestimmte Muster zu erkennen. Das dürften sie jedoch nicht allein tun, sondern müssten zusammenarbeiten und ihre Erkenntnisse miteinander teilen.
Das gelte nicht nur zwischen den Kassen, sondern beispielsweise auch für deren Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) bei der Betrugsbekämpfung. „Ich glaube, dass wir gesetzliche Grundlagen brauchen, um vernetzter zu arbeiten“, sagte Kiefer. „Wir müssen, ähnlich wie es die Strafverfolgungsbehörden tun, auf neue technische Möglichkeiten setzen.“
Dazu würden aber auch neue Datenübermittlungsbefugnisse zu anderen Sozialversicherungsträgern wie der Rentenversicherung benötigt, betonte die alternierende Vorsitzende des Verwaltungsrates des GKV-Spitzenverbandes, Susanne Wagenmann. Auch müsse der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), speziell von Machine-Learning-Algorithmen, ermöglicht werden, um die unüberschaubaren Datenmengen automatisiert zu analysieren.
Nach wie vor keine Dunkelfeldstudie
Allerdings brauche es auch eine Dunkelfeldstudie zu Abrechnungsbetrug und anderem Fehlverhalten im Gesundheitswesen – was der GKV-Spitzenverband bereits seit Jahren erfolglos von der Politik fordere. Nur so könne das wahre Ausmaß und der tatsächliche Handlungsbedarf festgestellt werden.
„Wir sind weiter mit dem Bundesjustizministerium im Gespräch und halten eine Dunkelfeldstudie ebenfalls für sinnvoll“, erklärte Sell dazu. Allerdings liege die Durchführung einer solchen Studie nicht in der Zuständigkeit des BMG, das dafür gar keine kriminologische Kompetenz vorhalte.
Außerdem könne der mutmaßliche Schadensbetrag, den eine solche Studie möglicherweise aufzeigt, eine Anspruchshaltung verursachen und die Kassen ungewollt in Zugzwang bringen. Wichtiger sei es, die Mittel zur Bekämpfung von Fehlverhalten zu stärken.
Dem widersprach der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Rechtswissenschaftler Kai Bussmann. Er habe bereits mehrere Dunkelfeldstudien zu Geldwäsche durchgeführt, die unter Federführung des Bundesfinanzministeriums erstellt wurden. Die kriminologische Expertise, die es dafür braucht, könne man sich extern hinzuholen. „Ich denke also schon, dass das in der Zuständigkeit des BMG liegt“, unterstrich er.
Die Abschätzung des tatsächlichen Schadensvolumens könne dabei sehr wohl eine entscheidende Rolle spielen. „Die Größe des Problems ist ein Treiber seiner Bekämpfung“, erklärte Bussmann. Zudem könne eine Dunkelfeldstudie durchaus einen Mehrwert bieten, der darüber hinausgeht. Denn sie würde auch Strukturen und besonders betroffene Bereiche aufzeigen.
Nach den bisherigen Erkenntnissen ist vor allem die häusliche Krankenpflege ein Betrugsschwerpunkt, wie Kiefer zuvor betont hatte. In diesem Leistungsbereich ist in den Jahren 2020 und 2021 laut dem aktuellen Fehlverhaltensbericht ein Schaden in Höhe von 29,60 Millionen Euro entstanden. Nur knapp die Hälfte konnte zurückgefordert werden.
Dies trifft in ähnlicher Weise auch auf den Gesamtschaden in diesem Zeitraum zu: Von 132 Millionen Euro konnten durch entsprechende Ermittlungen weniger als die Hälfte zurückgeholt werden. Ein erheblicher Schaden für die Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherungen, wie es auch auf der Veranstaltung betont wurde.
Der GKV-Spitzenverband verwies gestern auf Schätzungen, wonach sich der Gesamtschaden im Gesundheitswesen auf 16 bis 19 Milliarden Euro im Jahr beläuft. Die festgestellten Summen entsprechen nur einem Bruchteil dessen.
Infolge der Coronapandemie sei es außerdem zu einem Rückgang verfolgter Neufälle um 17 Prozent gekommen, heißt es im Bericht. Auch seien den Kassen weniger Hinweise auf Fehlverhalten gemeldet worden (- 6,5 Prozent).
Gründe sind laut Bericht unter anderem die pandemiebedingte Aussetzung der Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen des Medizinischen Dienstes, Verzögerungen in der Ermittlung von Neufällen und Verlängerungen bei der Verfahrensdauer verfolgter Bestandsfälle.
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