Politik

Patienten sollen mehr über ihre Gesundheit wissen

  • Mittwoch, 13. September 2017

Berlin – Viele Informationen zu Krankheiten, viele Wege in die Arztpraxen und Ambu­lan­zen und dennoch große Überforderung für viele Patienten: An der Kompetenz, Gesundheitsinformationen richtig zu verstehen und daraus eine Entscheidung für das eigene Leben zu treffen, fehlt es in Deutschland vielen Menschen. Um dies zu ändern und die Akteure im Gesundheitswesen für eine gemeinsame Aktion zusammen­zubringen, wurde bereits Mitte Juni die „Allianz für Gesundheitskompetenz“ unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) gegründet.

Vertreten sind dabei 15 Verbände, Körperschaften und Institutionen, die sich das Ziel gesetzt haben, sich mehr für die Gesundheitsaufklärung der Gesellschaft einzusetzen. Im internationalen Vergleichen liege Deutschland bei Fragen des Verständnisses für Gesundheitsthemen auf den hinteren Plätzen, erklärte Lutz Stroppe, Staatssekretär im BMG, heute bei einer Fachtagung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Kein eigenes Schulfach

Auf der Tagung wollten Experten der KBV, der Kassenärztlichen Vereinigungen und andere Experten über Strategien in der Gesundheitsförderung, Prävention sowie das Verständ­nis von Patienten diskutieren. Das BMG forciere das Thema, betonte Stroppe, auch international bei der Weltgesundheitsorganisation sei „Health Literacy“, so der wissen­schaftliche Begriff, ein Schwerpunktthema.

Für die Verbesserung der Gesundheitskompetenz in Deutschland sieht Stroppe drei Handlungsfelder. So solle die Gesundheitsbildung verbessert werden – allerdings ohne ein eigenes Schulfach Gesundheit einzuführen. „Es hilft nicht, ein Schulfach einzu­führen, wir müssen vielmehr schauen, wie kommt die Gesundheitsbildung in allen Lebenswelten von Kita bis zum Arbeitsplatz an“, sagte Stroppe.

Das Präventionsgesetz, das der Bundestag 2015 verabschiedet hat, sei ein wichtiger Weg dafür. Ebenso plädierte er für leicht zugängliche Gesundheitsinformationen, die unabhängig von Werbe- und Pharma-Einfluss seien, und in leichter Sprache veröffent­licht werden sollen. Dafür erstellt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits­wesen (IQWiG) derzeit eine Machbarkeitsstudie.

Mehr Aufklärung im Arzt-Patienten-Gespräch

Als dritten Schwerpunkt hat das Ministerium eine bessere Ausbildung für das Arzt-Patienten-Gespräch im Blick, das vor allem über Änderungen im Curriculum im Reformprozess des Masterplanes 2020 angestoßen werden soll. Der Masterplan 2020 liegt allerdings aufgrund von Streitigkeiten mit den Finanzministern der Länder momen­tan auf Eis, eine Kommission soll in den nächsten Monaten weitere Schritte ausloten.

Stroppe appellierte an das Fachpublikum aus Ärzten, Psychotherapeuten und medizini­schen Experten. „Der Patient ist der einzige, der vom ersten Symptom bis zur Genesung seine Krankheit kennt. Der Arzt steigt erst später in das Geschehen ein. Wenn der Mensch in der Lage ist, zu erzählen, was er in den Monaten seiner Krankheit erlebt hat, dann haben wir in ihm auch einen verlässlichen und mündigen Partner mit Kompe­tenz“, erklärte Stroppe.

Für die Wissenschaft ist Gesundheitskompetenz schon seit über 30 Jahren ein For­schungs­thema. Dabei sei der Begriff „Health Literacy“ als Anwendung von Lesever­ständ­nis zu verstehen, um mit entsprechenden Gesundheitsinformationen auch Entscheidungen treffen zu können, betonte Doris Schaeffer von der Universität Biele­feld.

In ihrer wissenschaftlichen Arbeit und einer aktuellen Studie hat sie deutliche Unterschiede bei Menschen mit unterschiedlichem Bildungsgrad, Sozialstatus, Alter und Migration festgestellt. Sogar chronisch kranke Menschen, die eigentlich über die Jahre zu Experten für ihre Krankheit werden müssten, geben in Befragungen an, eine geringe Kompetenz bei Gesundheitsfragen zu haben. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern konnte dabei nicht festgestellt werden.

Appell an niedergelassene Ärzte

„Das Bild von der allwissenden Hausfrau kann nicht aufrecht gehalten werden“, erklärte Schaeffer. Sie appelliert auch an die niedergelassenen Ärzte, mehr auf Gesundheits­förderung in frühen Lebensjahren zu achten. „Hier ist größere Aufmerksamkeit auch bei Ärzten notwendig.“ Denn viele Menschen fehlt es an der Fähigkeit, Informationen in Medien einzuschätzen und dann daraus Deutungskriterien zu entwickeln.

„Die Fragen gehen dann wieder zurück an die Gesundheitsprofessionen“, so Schaeffer. Dabei sei für Menschen mit niedrigem Wissen vor allem der Hausarzt erste Anlaufstelle für Fragen (83 Prozent), danach folgt der Facharzt (37 Prozent), darauf die Familie (28 Prozent) und die Apotheke (24 Prozent). Erst danach folgt das Internet mit 20 Prozent.

Bei Menschen mit höherem Sozialstatus liegt das Internet etwas weiter vorne auf der Skala. Sie warb dafür, dass gerade in Praxen von niedergelassenen Ärzten noch viel Potenzial ist, Informationen über Gesundheitsverhalten zu verbreiten. So sei ein Wartezimmer ein guter Ort. „Wir sind in Deutschland erstaunlich wenig kreativ“, so Schaeffer.

Auch die KBV sieht hier Handlungsbedarf. „Die Behandlung einer Krankheit ist ein Geschehen, das im Idealfall gemeinsam von Arzt und Patient entwickelt wird. Je mehr Gesundheitskompetenz und Eigenverantwortung der Patient zeigt, desto wahr­scheinlicher ist der Behandlungserfolg“, betonte der KBV-Vorsitzende Andreas Gassen.

Zeit muss vergütet werden

Mit Blick auf die hohe Zahl der Notfälle müsse akzeptiert werden, dass ein Notfall vom Patienten definiert werde, nicht von Ärzten. Dabei sei es egal, ob es sich um einen Wespenstich oder um einen akuten Herzinfarkt handele, so Gassen. „Mit dieser Neu­definition müssen wir umgehen.“ Er warb dafür, dass die Zeit, die der Arzt für ein Patientengespräch aufbringt, auch vergütet werden muss. „Zeit ist nicht unteilbar und auch nicht vermehrbar und daher ist eine Vergütung notwendig.“

Ganz besonders für die Qualität des Gesprächs mit Patienten warb Eckart von Hirsch­hausen, Arzt und TV-Moderator. Er beklagte vor allem, dass die Rituale im Gespräch verlernt werden. „Sprechen Sie nicht mit ihrem Computer, sondern mit dem Menschen.“ Ärzte sollten einzelne Untersuchungen auch einmal sein lassen und sich lieber Zeit für Gespräche nehmen.

bee

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