Patientensteuerung und Entbudgetierung: „Es geht nicht um Bedürfnisse, sondern um notwendige Versorgung“

Leipzig – Nach einer intensiven Debatte über eine künftige mögliche Patientensteuerung haben die Delegierten der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) einem Positionspapier zur Patientensteuerung mit 53 von 60 Stimmen zugestimmt.
In der Debatte im Vorfeld des Deutschen Ärztetages in Leipzig rangen die Delegierten, die sich in den vergangenen Wochen in drei Klausursitzungen über das Papier ausgetauscht hatten, um die notwendigen Ansätze, regionale Ausnahmen und die Beteiligung von Patientinnen und Patienten.
Einhelliger Tenor in der Debatte: „Es geht hier nicht um die Bedürfnisse, sondern um den medizinischen Bedarf der Bevölkerung an Versorgung.“ Somit müsse sich die Steuerung an diesem Prinzip orientieren, nicht am Prinzip „Wünsch dir was.“ Denn: „Wenn wir die Bedarfe zugrunde legen, dann sind wir so leistungsfähig, wie kein anderes System auf der Welt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns, Peter Heinz.
„Wir sind in den KVen ganz unterschiedlich aufgestellt, daher werden wir nicht alle zufrieden sein können“, sagte Christian Pfeiffer, Vorstandvorsitzender der KV Bayerns. Über die unterschiedlichen Gegebenheiten berichtete beispielsweise der Berliner KV-Chef Burkhard Ruppert: „Im Osten von Berlin gibt es 130 freie hausärztliche Sitze. Wer soll da steuern? Über die 116117 werden in Berlin sehr viele Termine an Fachärzte vergeben.“
Wenn die 116117 eine größere Aufgabe bei der Patientensteuerung bekommen solle, dann müsse die Finanzierung besser ausgestaltet werden. Das sei Daseinsvorsorge und somit keine finanzielle Aufgabe des KV-Systems, so viele Delegierte in ihren Reden.
Da die Gesundheitspolitik in der gerade begonnenen Legislatur das Thema Steuerung sowie Termingarantien auf der Tagesordnung habe, müsse das KV-System mit eigenen Vorschlägen an der Debatte teilnehmen. Daher sei es wichtig, dass das KV-System die Reformen nun „geschlossen, beherzt und engagiert“ angehen, sagte Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein.
Auch Bernhard Rochell, Vorstandsvorsitzender der KV Bremen, nannte das KBV-Konzept „sinnvoll und modern“. Bei der Steuerung gehe es nicht um Ideologie, sondern nach dem Prinzip, „ob es in einem Bereich sinnvoll ist und ob es mit den Mitteln regional auch umsetzbar ist“.
Annette Rommel, KV-Vorstandsvorsitzende in Thüringen, betonte, dass das KV-System „nicht verkrustet sei“ und zu neuen Lösungen bereit. Der Vize-KV-Vorsitzende aus Thüringen, Thomas Schröter, äußerte seine „Bauchschmerzen“ mit dem Papier, betonte aber: „Mit diesem Konzept reagieren wir auf den Koalitionsvertrag, wir brauchen als Kollektivsystem hier eine Meinung.“
Es gebe aber nicht nur regionale Grenzen der Steuerung, betonten viele Delegierten, sondern auch bei den Fachgebieten: So brauche es Ausnahmeregelungen für Augenärzte, Gynäkologen, Pädiater und für den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung.
Gleichzeitig dürfe man die hausärztlichen Praxen nicht überlasten: „Wir dürfen die Kollegen nicht überfordern, die jetzt schon am Limit arbeiten. Denn die freuen sich nicht über mehr Arbeit“, erklärte Bergmann von der KV Nordrhein. „Ich freue mich schon über die Fanpost der Kollegen“, sagte Angelika von Schütz, Vorsitzende der KV Mecklenburg-Vorpommern.
Besonders kritisch bewerteten viele Delegierte, dass in dem Papier keine Verpflichtung für Patientinnen und Patienten enthalten sind. „Patienten können nicht machen, was sie wollen“, so von Schütz. Auch Barbara Römer, Landesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Rheinland-Pfalz, erklärte ihre Ablehnung des Papiers mit der fehlenden Patientenbeteiligung. „Es geht nicht ohne die Patienten.“ Aus ihrer Sicht sei es „für Patienten unverständlich, was wir fordern. Sie werden weiter durch das System laufen wie bisher“.
Mit dem Konzept wollen die KBV-Vorstände nun auf die Bundespolitik zugehen. Problem dabei wird allerdings weiterhin sein, dass unter Primärarztsystem und Steuerung viele Diskutanten unterschiedliche Konzepte verstehen. Dies erklärten auch Petra Reis-Berkowicz, die Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung, und KBV-Chef Andreas Gassen im Anschluss an die Debatte vor Journalistinnen und Journalisten.
Schlagabtausch über Entbudgetierung
Überlappend zur Debatte um das Konzept zur Patientensteuerung lieferten sich die Vertreterinnen und Vertreter des Hausärzteverbandes, die auch für ihre jeweiligen KVen Mitglied in der Vertreterversammlung sind, einen Schlagabtausch mit dem Vorstand der KBV über den Stand der Entbudgetierung. Dazu hatte die KBV vergangenen Freitag eine vorläufige Einigung mit dem GKV-Spitzenverband verkündet, die KBV-Vize Stephan Hofmeister in seiner Rede vor der VV bereits kritisch bewertete.
Der Co-Chef des Hausärztinnen- und Hausärzte-Verbandes, Markus Beier, beklagte, dass innerhalb der KBV „wenig Interesse an den Nöten der Hausärzte in der Fläche gebe“. Man müsse bei der Genese des Gesetzes, das die Entbudgetierung gebracht habe, „auch vom Anfang bis zum Ende erzählen und nicht nur immer den Mittelteil“, so Beier, der auch Delegierter für die KV Bayerns in der KBV-VV ist. Man müsse sich auf den Weg machen, Dinge auch einmal zu ändern. „Nichtstun ist keine Alternative.“
Auch Nicola Buhlinger-Göpfarth, ebenso Co-Vorsitzende der Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, erklärte, dass die nun ausgehandelten Lösungen „erschreckend kraftlos“ seien. „Da hätten wir uns mehr gewünscht“, so die Hausärztin, die für die KV Baden-Württemberg VV-Delegierte ist.
Sie habe sich über viele Mitteilungen aus der KBV zu dem Thema „persönlich geärgert“, erklärte sie weiter. „Vielleicht können wir das zukünftig besser machen, unsere Hand ist ausgestreckt.“ Dabei spielte sie vor allem auf das Papier der KBV zur Steuerung von Patienten an: Mit der Verträgen zur Hausärztlichen Versorgung (HzV) hat der Hausärztinnen- und Hausärzteverband bereits ein Steuerungskonzept, das aber als Selektivvertrag angeboten wird.
In mehreren Interventionen durch den KBV-Vorstand wurde die Kontroverse deutlich: So mahnte Gassen, dass mit einem Steuerungsmodell „auch ein Rendezvous mit der Realität“ außerhalb von HzV-Verträgen betrachtet werden müsse. „Wir sprechen hier für den Kollektivvertrag.“
KBV-Vize Hofmeister betonte mehrfach, dass auch das Bundesgesundheitsministerium nicht zufrieden sei mit der jetzigen Formulierung des Gesetzes. Dies habe das Ministerium sogar schriftlich mitgeteilt. Doch der GKV-Spitzenverband halte sich nun daran. Daher gebe es bei der Umsetzung nun technische Probleme, das heiße aber nicht, man sei dagegen. „Wir müssen eben das Kleingedruckte lesen, das ist die Verantwortung von KVen und KBV.“
KV-Chef Rochell aus Bremen warnte davor, dass die künftige Entbudgetierung nicht zu kompliziert oder bürokratisch werde: „Denn dann sehe ich ein Frühverrentungsprogramm für kleine Praxen, da dann viele hinschmeißen könnten.“ Hausärztinnen und Hausärzte erwarten „zu recht“ nun gute Abschlüsse.
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