Plädoyer für mehr Gesundheitsförderung an Schulen

Berlin – Das Thema Gesundheit sollte aus Sicht von Fachleuten stärker im deutschen Schulsystem verankert werden. Über 12 bis 13 Jahre erreiche man dort Heranwachsende aus allen sozialen Schichten und könne dazu beitragen, die Grundsteine für ein gesundes Leben zu legen, heißt es im Kindergesundheitsbericht 2024, der gestern in Berlin vorgestellt wurde.
„Schule muss eine umfassende Gesundheitsbildung anbieten“, sagte der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit, Berthold Koletzko. Der Bericht mit Erkenntnissen und Empfehlungen ist in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) sowie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) entstanden. Es ist die dritte Ausgabe.
Auch angesichts der Herausforderungen im Gesundheitswesen mit einer alternden Bevölkerung gelte es, in die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu investieren, sagte Koletzko, der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin ist. „Die Schule ist ein Ort, an dem dies besonders effektiv und kostengünstig möglich ist.“
Um Übergewicht und anderen ernährungsbedingten Erkrankungen vorzubeugen, plädierte der Stiftungsvorsitzende für kostenfreie gesunde Schul- und Kitaverpflegung, wie von verschiedenen Stellen empfohlen. „Bisher erkennen wir nicht, dass die politischen Entscheidungsträger die wichtige Umsetzung dieses Ziels voranbringen.“
Außerdem solle Bewegung fest im Schulalltag eingebaut werden. Um zusätzlich die mentale Gesundheit zu unterstützen, brauche es niedrigschwellige Angebote. Schülerinnen und Schüler benötigten ebenso wie die häufig sehr belasteten Lehrkräfte Unterstützung durch Fachkräfte aus der Schulpsychologie und Schulsozialarbeit.
Koletzko plädierte zudem für den Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften, die es hierzulande bisher nur in Modellprojekten gebe. Die Aufgaben seien vielfältig, sie könnten etwa bei akuten Gesundheitsproblemen wie einem Asthmaanfall helfen, die Koordination mit dem externen Hilfesystem koordinieren und Anlaufstelle für Gesundheitsfragen sein.
Ideal für diese Rolle geeignet seien eigentlich Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekräfte, für die es hierzulande aber keine eigenständige Ausbildung mehr gibt. Hier brauche es eine Kehrtwende, wenn man Kinderkrankenschwestern an Schulen einsetzen wolle, so Koletzko.
Der Mediziner konstatierte einen zunehmenden Betreuungsbedarf an Schulen: durch chronisch kranke oder schwerbehinderte Kinder und Jugendliche sowie Schülerinnen und Schüler mit Diabetes, Asthma, ADHS und sonderpädagogischem Förderbedarf.
Bisher ist das Bild an Schulen sehr heterogen: Im Bericht heißt es, dass beispielsweise die schulische Gesundheitsversorgung, die Inklusion und die Infektionsprophylaxe durch ein komplexes Zusammenspiel von Bundes-, Landes- und kommunalen Gesetzen sowie durch Projekte, Initiativen und Programme unterschiedlichster Anbieter geprägt seien.
Eine „Projektitis“, aber mangelnde flächendeckende Umsetzung hierzulande kritisierte daher unter anderem Heidrun Thaiss, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin. Sie forderte, die Rahmenbedingungen an Schulen zu verbessern, damit es an Schulen allen psychisch und physisch gut gehe. Von der Gesundheit des Systems hänge am Ende auch der Bildungserfolg ab.
Bei dem Ziel, Schülerinnen und Schülern Gesundheitskompetenzen zu vermitteln, wie etwa das Beurteilen von Inhalten aus TV-Werbung, seien andere Länder wie beispielsweise Finnland sicher weiter als Deutschland, sagte der Kinderarzt Martin Weber vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und er gab weitere Positivbeispiele.
Um gegen den Bewegungsmangel anzugehen, habe Großbritannien innerhalb der Unterrichtszeit 15 Minuten pro Tag zusätzliche Bewegung im Freien eingeplant, sagte Weber. Und während Deutschland bei der Schulernährung oft noch Mühe habe, hochwertiges Essen für alle Kinder bereitzustellen, setzten Frankreich und Italien auf frische Zubereitung aus vorwiegend lokal erzeugten Zutaten und damit einen hohen Qualitätsstandard.
Die Schule als Lebensraum könne Chance und Risiko sein, sagte Marcel Romanos, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Das Potenzial für Prävention und Früherkennung solle man nutzen, appellierte er.
Psychische Erkrankungen begännen früh im Leben, und dabei könne Schule ein Risikofaktor sein, zum Beispiel durch überhöhte Leistungsanforderungen und soziale Ausgrenzung, sagte Romanos. „Jedes fünfte Kind in Deutschland zeigt Symptome einer psychischen Erkrankung." Inner- und außerschulische Dienste müssten besser aufeinander abgestimmt werden.
In einer Podiumsdiskussion zum Bericht betonte Bundestagsmitglied Nezahat Baradari (SPD): „Ich bin der festen Meinung: Ohne eine Modernisierung der Schuldenbremse werden wir all diese Projekte leider nicht so, wie wir das wünschen, durchsetzen können." Dieses Thema müsse einen zentralen Punkt im Wahlkampf einnehmen.
Der Arzt und Grünen-Bundestagsabgeordnete Politiker Johannes Wagner unterstrich ebenfalls, dass man mehr Geld ausgeben müsse, etwa für Schulkrankenpflege und psychologische Angebote. Aus seiner Sicht habe der Staat bei Kindern und Jugendlichen einen besonderen Schutzauftrag und müsse daher an entsprechenden Rahmenbedingungen zu arbeiten. „Jeder Euro, den wir heute in unsere Kleinsten investieren, zahlt sich um ein Vielfaches aus."
Vor einer weiteren Überfrachtung der Schulen mit Aufgaben warnte der CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Kippels. Kernkompetenzen wie Ernährung und Bewegung müssten zwar in der Schule vermittelt werden, aber es dürfe nicht in Belastung münden. Es bestehe eine erhebliche Gefahr, dass Schülerinnen und Schüler in der Schule reizüberflutet seien. Kippels sprach sich für eine klare Aufgabentrennung aus, und dafür, dass Schulen die Schüler je nach Anliegen an externe Stellen weiterleiten.
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