Praxen der Kassenärztlichen Vereinigung entlasten Versorgung in Berlin

Berlin – Der Berliner Senat sucht nach Wegen, auch in sozial schwächeren Bezirken künftig einen ausreichenden Zugang zur Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. Das erklärte die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, Ina Czyborra (SPD), bei einem Besuch einer Praxis der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) in Lichtenberg.
Die Problemlage sei dabei äußerst komplex und reiche von der demografischen Entwicklung über den Fachkräfte- bis zum Wohnraummangel in der Hauptstadt, betonte Czyborra. Weiterhin seien rund 130 Hausarztsitze in Berlin unbesetzt, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KV Berlin, Burkhard Ruppert.
Es sei zu befürchten, dass sich diese Defizite in den kommenden Jahren noch verschärfen und auch auf die Facharztsitze ausweiten würden. „Was mir wirklich Sorgen bereitet, ist die Altersstruktur der Kollegen“, sagte er. „Wir stehen kurz davor, dass das System an seine Grenzen kommt.“
Insbesondere in östlichen Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf, Köpenick oder Lichtenberg sei die Versorgungslage weiter schwierig und liege derzeit bei 85 Prozent. Mit dem Konzept der KV-Praxen habe man den Abwärtstrend aber immerhin aufhalten, wenn auch noch nicht umkehren können, betonte Ruppert.
Derzeit betreibt die KV zwei Praxen in Lichtenberg und eine in Marzahn-Hellersdorf. Am 1. Oktober soll eine vierte in Köpenick eröffnen. Das Angebot werde sehr gut angekommen, erklärte Thomas Wagner, Berater der KV bei Neugründungen.
Allein in der KV-Praxis am Prerower Platz in Lichtenberg würden im Quartal rund 3.000 Patientinnen und Patienten behandelt. Zusammen würden die drei Praxen rund 7.000 Patienten im Quartal versorgen.
Die Praxen böten damit zwar eine spürbare Entlastung. „Wir gehen hier in Bereiche, in die andere nicht gehen“, unterstrich Ruppert. Allerdings sei es keine ursprüngliche Aufgabe einer KV, selbst Praxen zu eröffnen. „Eigentlich dürfte es das hier gar nicht geben“, sagte er.
Ziel müsse es vielmehr sein, Berufsanfängern über das Modell einen Einstieg in die Niederlassung zu eröffnen. Erst jüngst habe ein Arzt die KV-Praxis verlassen, um sich niederzulassen – allerdings in Brandenburg. Die Anstellung in der KV-Praxis sei für viele junge Kolleginnen und Kollegen schlicht besser mit ihren Vorstellungen von moderner Arbeitskultur vereinbar als die klassische Niederlassung, erklärte Wagner.
So versuche die KV neben geregelten Arbeitszeiten auch Teilzeitangebote oder Homeoffice zu ermöglichen. „Das zieht viele Leute an, was aber nicht heißt, dass es keine Probleme gibt“, sagte er. So sei bei einer Anstellung anders als bei der Selbstständigkeit das Arbeitszeitgesetz zu beachten. Das verhindere unangemessen hohe Arbeitszeiten, wie sie bei Niedergelassenen oftmals gang und gäbe seien, sorge aber eben auch dafür, dass für die gleiche Stundenzahl mehr Personal benötigt wird.
Czyborra zeigte sich dankbar dafür, dass die KV sich dieser Aufgabe stellt – denn die Alternative zu einer Anstellung bei der KV wären oft Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in der Hand von Private-Equity-Gesellschaften. „Da ist mir eine Körperschaft des öffentlichen Rechts viel lieber als ein Investorenmodell“, betonte sie.
Auch werde zunehmend deutlich, wie sich die Wohnraumkrise in der Hauptstadt auf die Versorgung auswirke, erklärte die SPD-Politikerin. Schon die hohen Mietpreise würden es immer schwerer machen, neues Personal in die Stadt zu ziehen, was für Medizinische Fachangestellte (MFA) noch mehr gelte als für Ärzte.
Die entscheidende Frage sei, wie man mehr Ärzte in sozial benachteiligte Stadtviertel ziehen könne. Der Politik fehle es dabei an Steuerungsmöglichkeiten, beklagte der ehemalige Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Andreas Geisel (SPD). Er habe bei der Errichtung neuer Quartiere stets auf seine Nichtzuständigkeit verweisen müssen, Czyborra und Ruppert wiederum sei es stets ähnlich gegangen.
„Ich kann keinem Arzt Handschellen anlegen und sagen, dass ich ihn erst wieder abbinde, wenn er in diesem Bezirk hier arbeitet“, sagte Ruppert. „Mit Zwang kriegen wir das nicht gebacken.“
Während Geisel sich für eine stärkere Zulassungssteuerung durch die KV aussprach, plädierte Czyborra für eine frühere Steuerung der Studierenden im Medizinstudium. Der Ausbildungsweg bis zur Facharzttätigkeit sei zu lang und oft zu wenig zielführend. Stattdessen müsse man überlegen, ob es möglich sei, im Medizinstudium schon früher eine Entscheidung herbeizuführen, ob Studierende später ambulant, stationär oder in der Forschung tätig sein wollten.
„Wir müssen erst einmal mit dem Missverständnis aufräumen, dass Bedarfsplanung die Versorgung verbessert“, mahnte er. Czyborra verteidigte die Bedarfsplanung, räumte aber ein, dass man dabei die für Arztpraxen notwendige Infrastruktur stärker als bisher mitplanen müsse, beispielsweise durch eine bessere Bereitstellung von Praxisräumen.
Zudem lägen die Probleme teils sehr viel tiefer: Er selbst sei seit 30 Jahren als Pädiater tätig und beobachte einen steten Verfall der Gesundheitskompetenz. Das wiederum führe zu vermeidbaren Belastungen der Versorgungsstrukturen.
Es brauche deshalb eine bessere Patientensteuerung und -bildung. „Wir müssen die Patienten fit machen, damit sie stets wissen, was der nächste Schritt ist“, forderte er. Zudem brauche es mehr Transparenz im Gesundheitswesen. „Ich bin dafür, dass wir viel öfter ein Preisschild auf Leistungen kleben, damit die Patienten wissen, was welche Kosten verursacht.“
Digitale Modelle zur Patientensteuerung wie die Videosprechstunden im Kindernotdienst, die die KV Nordrhein in den vergangenen beiden Wintern angeboten hat, könnten ebenfalls sinnvolle Ansätze bieten. Allerdings dürfe man dabei die Beschränkungen solcher Versorgungsformen nicht unterschätzen. Außerdem stelle sich dabei die Frage, wer für deren Finanzierung aufkomme.
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