Psychotherapeuten machen sich stark gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus

Berlin – Mit den Themen Antisemitismus und Rassismus in der Psychotherapie hat sich die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) gestern bei einem digitalen Fachtag auseinandergesetzt.
„Menschen, die in der Gesellschaft von Diskriminierung betroffen sind, erleben das auch im Gesundheitswesen. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten können dazu beitragen, Bewusstsein zu schaffen“, sagte Andrea Benecke, Präsidentin der BPtK.
Der Fachtag solle als Auftakt dienen, um die berufspolitischen Maßnahmen gegen Antisemitismus und Rassismus und andere Formen von Diskriminierung zu intensivieren. Die Kammer starte damit eine Antidiskriminierungsstrategie, wie bereits beim 44. Deutschen Psychotherapeutentag im April angekündigt.
„Antisemitismus und Rassismus nehmen aktuell in der Gesellschaft zu. Parteien, die Politik gegen Menschen mit Migrationsgeschichte, Geflüchtete, People of Colour (PoC) oder Muslime machen, verstärken Diskriminierung und Volksverhetzung. Jüdinnen und Juden erleben nicht nur in Deutschland verstärkt antisemitische Anfeindungen“, sagte Benecke am 8. Oktober, dem Tag nach dem Jahrestag des Angriffs der Hamas auf Israel. Die Diskriminierung von Menschen sei inzwischen ein strukturelles Problem in der Gesellschaft, kein situatives mehr.
„Wir tragen alle Verantwortung dafür, dass sich etwas ändert“, sagte auch Sabine Maur, Vizepräsidentin der BPtK. „Es ist wichtig, sich den eigenen Anteilen als Therapeutinnen und Therapeuten an Diskriminierung zu nähern, um eine diskriminierungssensible Psychotherapie zu sichern. Mit Supervision und Intervision haben wir dazu eine gute Grundlage, die wir mit Fortbildungen ausbauen müssen“, sagte die Vorstandsbeauftrage der BPtK für Antisemitismus und Rassismus. Das Thema Diskriminierung müsse zudem in der Aus- und Weiterbildung verankert werden. In der neuen psychotherapeutischen Weiterbildung sei dies bereits umgesetzt.
Gleichzeitig müssten marginalisierte Patientengruppen leichter Zugang zur Psychotherapie finden, um Zugangsgerechtigkeit und bessere Versorgung zu sichern. Aber auch die mangelnde Repräsentanz und Teilhabe marginalisierter Gruppen im Berufsstand selbst sei ein Problem, das die BPtK mit der Antidiskriminierungsstrategie angehen will.
„Die Hürden für den Beruf sind sehr hoch, es ist ein voraussetzungsreicher Weg. Auch hier brauchen wir mehr Zugangsgerechtigkeit, und wir müssen langfristig zu einem diverseren Berufsstand kommen“, betonte Maur. Die Vernetzung mit anderen gesundheitspolitischen Akteuren sei hierfür unabdingbar.
Ulrike Kluge vom Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP) an der Berliner Charité befasste sich in ihrem Vortrag mit den Auswirkungen von Rassismus auf die Psyche. „Rassismus und Diskriminierung erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen. Insbesondere schwarze Menschen und PoC sind überproportional stark von Rassismus betroffen und weisen erhöhte Psychoseraten auf“, berichtete die Migrationsforscherin.
Sie hätten ein Gefühl der Andersartigkeit, eine negative Selbstwahrnehmung, paranoide Vorstellungen bezüglich allgemeiner Verfolgung sowie ein instabiles Selbstwertgefühl. Das Psychoserisiko sei am größten (2,5-fach erhöht), wenn die Migration aus dem sogenannten Globalen Süden erfolgte.
Grundsätzlich erachtet die Migrationsforscherin Sprachbarrieren als Haupthindernis in der Versorgung von Patienten mit Migrationsgeschichte, insbesondere in Psychiatrie und Psychotherapie. Trotz jahrelanger Forderungen, die Leistung von Sprachmittelnden in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen, sei bisher auf politischer Ebene nicht nichts geschehen.
Die ZIPP-Expertin wies auf ein entstehendes Psychotherapeutennetzwerk in Berlin in Zusammenarbeit mit der Berliner Psychotherapeutenkammer hin. „Bisher gibt zu wenige Kolleginnen und Kollegen, die sich die Arbeit mit Patienten mit Rassismuserfahrungen zutrauen“, sagte Kluge.
Therapeuten thematisierten Rassismus und Diskriminierung dann eher, wenn sie über eine lange Berufserfahrung verfügten, eine subjektive Sicherheit im Umgang mit den Themen hätten, sich auf diskriminisierungssensible Psychotherapie spezialisiert hätten oder eigene entsprechende Erfahrungen hätten. Alter, Gender, therapeutisches Verfahren oder „der Glaube an eine gerechte Welt“ spielten dagegen eher keine Rolle.
Das ZIPP hat nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Angriffs auf Israel, eine Sprechstunde für Betroffene von Antisemitismus eingerichtet. Darüber berichte Dina Dolgin bei der Fachtagung. „Nach dem 7. Oktober wurden in Berlin Häuser mit Judensternen markiert, Läden mit Hamas-Markierung beklebt, es gab Brandanschläge auf Synagogen und eine Bar“, berichtete die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Antisemitische Vorfälle seien 2023 bundesweit im Vergleich zum Vorjahr um 87 Prozent angestiegen und deutlich gewalttätiger geworden.
In der Sprechstunde haben sich Dolgin zufolge bisher 34 Personen gemeldet. Sie benannten Symptome wie Angst, Depression, Dissoziative Störungen, Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Schlafstörungen.
Nach eigenen Aussagen fühlen sich die Jüdinnen und Juden „nicht mehr zuhause in Deutschland“, haben „Angst in der Stadt herumzulaufen“, fühlen sich sozial isoliert, haben Sorge um ihre Kinder, erleben ein Unverständnis des Umfelds sowie eine „biografische Wiederholung“. In der Sprechstunde am ZIPP wird abgeklärt, ob eine Beratung für die Betroffenen ausreicht oder eine psychotherapeutische Unterstützung notwendig ist.
Ilka Quindeau, Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences und Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, sucht nach den Gründen für den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland.
Nach Ansicht der Psychoanalytikerin ist Antisemitismus hier „nie wirklich verschwunden“. Das Problem sei so alt wie das Christentum; aktuell sehe man einen Israelbezogenen Antisemitismus. „Autoritarismus, Faschismus und Antisemitismus sind eng miteinander verknüpft“, sagte Quindeau.
Im psychoanalytischen Sinne biete Antisemitismus „Lösungen für psychische Konflikte beziehungsweise Ersatzbefriedigung oder Entlastung“. Quindeau interpretierte Antisemitismus auch als „Abwehr konflikthaften Begehrens“.
Im klinischen Kontext erlebe die Psychoanalytikerin „latenten vorbewussten Antisemitismus“, oftmals von jüngeren Analysanden in Gestalt von Kritik an Israel. Menschen mit geschlossenem Weltbild begeben sich ihrer Ansicht nach gar nicht erst in Therapie. Nach Ansicht der Professorin schafft die Fachtagung der Bundespsychotherapeutenkammer „Bewusstsein für die Problemlagen“, und sei daher ein guter Anfang.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: