Psychotherapeutentag nimmt die Bundesregierung in die Pflicht

Leipzig – Psychotherapeuten haben für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine besondere Bedeutung. Das hat die Politik auf dem 46. Deutschen Psychotherapeutentag (DPT) in Leipzig unterstrichen. Die Delegierten hatten ihrerseits zahlreiche Botschaften an die Bundesregierung. Thematisch ging es dabei unter anderem um das Dauerthema der Weiterbildungsfinanzierung oder auch um die Qualitätssicherung.
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten seien oft die Ersten, die erkennen würden, wie sich Krisen auf die Menschen auswirkten, sagte Petra Köpping, Sächsische Staatsministerin für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, zum Auftakt des Psychotherapeutentags am vergangenen Freitag. Die SPD-Politikerin betonte, die psychotherapeutische Versorgung sei „ein wichtiger Baustein für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil sie die Resilienz und die Bewältigungskompetenzen der Menschen stärke“.
Der DPT fand vom 16. bis 17. Mai in Leipzig statt. Ausrichterin war die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer, ein bundesweit einmaliger Zusammenschluss von fünf ostdeutschen Bundesländern.
„Die Bundesregierung hat sich viel vorgenommen, um die psychische Gesundheit der Menschen umfassend zu stärken – von der Prävention und Früherkennung über die Versorgung und Fachkräftesicherung bis hin zur Digitalisierung und Entbürokratisierung. Entscheidend ist jetzt aber die Umsetzung“, betonte Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), vor der Delegiertenversammlung der Landespsychotherapeutenkammern.
Die Forderungen der Psychotherapeuten beziehen sich konkret auf eine separate Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche, eine Reform der Bedarfsplanung für den ländlichen Raum und die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung. All diese Punkte sind im Koalitionsvertrag niedergeschrieben. „Wir nehmen die Bundesregierung beim Wort“, sagte Benecke.
Weil der Bedarf an Psychotherapie bis zum Jahr 2030 um 23 Prozent steigen werde und gleichzeitig bis dahin fast ein Drittel der heute niedergelassenen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in den Ruhestand gingen, sei besonders wichtig, dass die Finanzierung der Weiterbildung zügig gesichert werde, um den Nachwuchs ausbilden zu können.
„Die Leidtragenden sind die Studierenden. Sie wissen nicht, wie es nach dem Approbationsstudium der Psychotherapie für sie weitergeht. Sie brauchen eine klare Perspektive“, forderte die BPtK-Präsidentin.
Ab dem Jahr 2026 würden jährlich rund 2.600 Absolventinnen und Absolventen erwartet. Ihr zufolge muss die Politik sicherstellen, dass die Praxen und Medizinischen Versorgungszentren für die Weiterbildung der angehenden Fachpsychotherapeuten einen Gehaltszuschuss erhalten. Zudem brauche es Regelungen für die Weiterbildungsambulanzen und Kliniken. Der 46. DPT verabschiedete entsprechend eine Resolution, in der unter anderem gefordert wird, die Weiterbildung zu finanzieren.
Auf einen weiteren Punkt im Koalitionsvertrag wies die Kammerpräsidentin hin: die Stärkung der Prävention in der Gesundheitspolitik, Familienpolitik, in Schule, Arbeit und Sozialem, durch die Strategie „Mental Health in and for all Policies“.
Die Politik schaue damit auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die psychische Erkrankungen begünstigen. Dies sei sehr zu begrüßen. „Die Politik erwartet von uns hierzu Konzepte, also eine Präventionsstrategie“, wandte sich Benecke an die versammelten Psychotherapeuten. Diese werde man liefern. Auch hierzu wurde eine Resolution verabschiedet, mit dem Titel „Mental Health in and for all Policies“.
Gegen Stigmatisierung psychisch kranker Menschen
Trotz bester Gesundheitsvorsorge könne jeder Mensch psychisch erkranken. „Es darf deshalb nicht ernst gemeint sein, im Jahr 2025 über Register für psychisch kranke Menschen zu diskutieren“, empörte sich die Kammerpräsidentin. Wer mit Registern neue Stigmatisierung schaffe, erreiche nur, dass Betroffene sich keine Hilfe suchten.
Im Koalitionsvertrag sei zwar nicht die Rede von Registern, jedoch wolle die Bundesregierung eine Regelung erarbeiten, um Risikopotenziale bei Menschen mit psychischen Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen. „Ich blicke auf diese Ankündigung mit großer Sorge“, sagte Benecke.
Die Wissenschaft zeige klar, dass die große Mehrheit psychisch kranker Menschen nicht gewalttätiger sei als andere. Eine gesetzliche Regelung dürfe nicht zum Generalverdacht gegen Menschen mit psychischen Erkrankungen führen. „Wir setzen uns weiter für die Würde des Menschen und für die berufsrechtliche Schweigepflicht ein“, betonte sie.
Psychotherapeuten wollen Lotsen in der Versorgung sein
Als weiteren Punkt wies die BPtK-Präsidentin darauf hin, dass Psychotherapeuten „Lotsen für psychisch kranke Patienten in einem komplexen Versorgungssystem sind“ und bleiben wollen. Die psychotherapeutische Sprechstunde, die vor acht Jahren eingeführt wurde, spiele eine zentrale Rolle dabei. Mehr als 600.000 Patienten würden dort jedes Jahr diagnostisch abgeklärt.
„Diese Steuerung kann von niemand anderem im Versorgungssystem sinnvoll geleistet werden“, betonte Benecke. Entsprechend selbstbewusst sehe man den Debatten um die Primärversorgung entgegen. Eine entsprechende Resolution unterstützte die Aussagen der Präsidentin.
QS-Verfahren für ambulante Psychotherapie als ungeeignet kritisiert
Umfassend wurde auf dem 46. Deutschen Psychotherapeutentag das datengestützte Qualitätsicherungs(QS)-Verfahren für die ambulante Psychotherapie kritisiert, das seit Anfang 2025 in Nordrhein-Westfalen (NRW) erprobt wird.
„Die Fachwelt ist sich einig, dass dieses QS-Verfahren grundsätzlich ungeeignet ist für eine echte Qualitätssicherung. Trotzdem wurde es auf den Weg gebracht“, sagte die BPtK-Präsidentin. Und das obwohl, keine andere Fachgruppe im Gesundheitswesen so viel Supervision, Intervision und Fortbildung mache.
Das vom Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) entwickelte und vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossene QS-Verfahren liefert laut BPtK keine Erkenntnisse, wie eine Behandlung verbessert werden kann.
Gleichzeitig verursache das Verfahren enorme Entwicklungs-, Bürokratie- und Durchführungskosten. „Allein in NRW haben wir voraussichtlich jährliche Umsetzungskosten in zweistelliger Millionenhöhe. Das können wir uns in der Gesetzlichen Krankenversicherung schlicht nicht leisten“, erklärte Benecke.
Die Delegierten forderten nach ausführlicher Debatte, das QS-Verfahren müsse eingestellt werden, am besten noch während der Erprobung. Gleichzeitig solle eine sinnvolle professionseigene Alternative entwickelt werden, um die Politik davon überzeugen zu können, den gesetzlichen Auftrag zu streichen, und dem G-BA vorzugeben, das QS-Verfahren einzustellen. Die Delegierten wollen beim nächsten DPT im Herbst eine Richtungsentscheidung treffen.
Konzept für die psychosoziale Notfallversorgung bei Katstrophen
Die psychosoziale Notfallversorgung war ein weiteres Problem bei dem sich die Psychotherapeuten verstärkt einbringen wollen. „Naturkatastrophen wie im Ahrtal, terroristische Anschläge wie in Magdeburg oder München, ein Krieg mitten in Europa – Bedrohungen rücken immer näher an uns heran und lassen uns nicht unberührt“, sagte Benecke. Das Gesundheitswesen sei auf solche Katstrophen nicht gut vorbereitet.
Das Thema wird von der neuen Bundesregierung aufgegriffen. Sie plant gesetzliche Rahmenbedingungen für den Gesundheitssektor im Zivilschutz-, Verteidigungs-, und Bündnisfall zu schaffen.
„Wir haben eine hohe Verantwortung für die psychische Gesundheit“, betonte die BPtK-Präsidentin. Die Landeskammern hätten Erfahrungen gesammelt im Umgang mit Bedrohungslagen, zum Beispiel die Kammer Rheinland-Pfalz bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021.
In den kommenden Monaten wolle man zusammen Konzepte entwickeln, um im Krisenfall schnell und effektiv reagieren zu können, die Kommunikations- und Behandlungswege zu verbessern, ebenso wie die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren. In einer Resolution sprachen sich die Delegierten ausführlich hierzu aus.
Darüber hinaus verabschiedete der 46. Deutsche Psychotherapeutentag in Leipzig weitere Resolutionen:
Datenschutz bei der elektronischen Patientenakte für Kinder und Jugendliche verbessern
Psychotherapie für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen stärken – Abstinenzgebot streichen
Psychotherapeutische Expertise in somatischen Akutkrankenhäusern verankern
Nutzung digitaler Medien bei Kindern und Jugendlichen – Seelische Gesundheit schützen
Sprachmittlung im Gesundheitswesen endlich gesetzlich verankern
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