Psychotherapie: Längere Wartezeiten auf Therapieplatz seit Strukturreform
Berlin – Die Wartezeiten auf ein Erstgespräch bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten haben sich seit der Strukturreform in der ambulanten Psychotherapie, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2017 beschlossen hat, nicht verändert.
Die Wartezeit auf den Behandlungsbeginn der Richtlinienpsychotherapie hat sich nach der Reform indes verlängert. Das sind zwei der Ergebnisse von Versorgungsforschungsprojekten im Rahmen des Innovationsfonds des G-BA zur Evaluation der Strukturreform, die gestern veröffentlicht wurden.
Das Projekt „PT-REFORM – Evaluation der Psychotherapie-Strukturreform“ untersuchte in Rheinland-Pfalz anhand von sechs Forschungsfragen die Effekte der neuen Versorgungselemente und mögliche Hindernisse für deren Etablierung aus Sicht der Befragten.
Das Projekt „ES-RiP – Evaluation der Strukturreform der Richtlinien-Psychotherapie – Vergleich von komplex und nicht-komplex erkrankten Patienten“ betrachtete die Versorgung vor und nach der Strukturreform rückblickend für den Zeitraum von 2015 bis 2019.
Mit der Psychotherapie-Strukturreform von 2017 wurden Versorgungselemente wie die Psychotherapeutische Sprechstunde, die telefonische Erreichbarkeit, die Rezidivprophylaxe und die Akutbehandlung neu eingeführt sowie bestehende Regelungen zur Gruppentherapie und Therapiebeantragung reformiert.
Die Ergebnisse des Projekts „PT- REFORM“ zeigen, dass sich die Wartezeiten auf ein Erstgespräch nicht verändert haben. Die Wartezeit auf eine Richtlinienpsychotherapie hat sich aber statistisch signifikant von 18 auf 22 Wochen verlängert. Die Wartezeit bis zum Beginn der mit der Reform eingeführten Akutbehandlung beträgt im Durchschnitt 14,5 Wochen.
Die Wahrscheinlichkeit eine Richtlinientherapie oder Akutbehandlung zu erhalten war der Evaluation zufolge signifikant um 36 % höher war als vor der Reform. Soziale Ungleichheit hinsichtlich der Wartezeit auf ein Erstgespräch konnte teilweise reduziert werden.
Kapazitäten reichen nicht aus für Therapieangebote
Darüber hinaus zeigten Interviews in dem Projekt mit niedergelassenen Psychotherapeuten sowie zuweisenden Ärzten zu ihren Erfahrungen mit der Umsetzung der Reform ein heterogenes Meinungsbild: Die eingeführte Sprechstunde ermöglicht demnach einen niedrigschwelligen Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung. Aufgrund unzureichender Kapazitäten können basierend auf der Befragung aber oft keine Therapien angeboten werden.
Patienten berichteten in dem Projekt „PT-Reform“ sowohl von Sucherfolgen als auch von Hürden wie der Erreichbarkeit von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten oder Unklarheit über den Suchprozess. Die Daten der Querschnittserhebung der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz ergaben, dass die Vermittlung über die Terminservicestellen im Jahr 2018 in 75 % der Fälle gelang und das Angebot von Gruppentherapie sich durch mehr Psychotherapeuten mit Gruppenzulassung erhöht hat.
Die Analysen des Projekts „ES-RiP – Vergleich von komplex und nicht-komplex erkrankten Patienten“ zeigen, dass es sowohl bei komplex Erkrankten (kE) als auch bei nicht-komplex Erkrankten (nkE) nach der Reform zu einer statistisch signifikanten Zunahme der Erstkontakte mit Psychotherapeuten gekommen ist.
Als kE wurden Patienten bezeichnet, bei denen gleichzeitig eine psychische Störung sowie mindestens eine beeinträchtigende somatische Erkrankung vorliegt. Signifikante Unterschiede hinsichtlich der Zunahme der Erstkontakte zwischen kE und nkE konnten demnach nicht aufgezeigt werden.
Die Anzahl ambulant erbrachter psychotherapeutischer Leistungen ist dem Projekt zufolge zwischen 2015 und 2019 um circa 38 % gestiegen. Hier ist demnach eine stärkere Zunahme der Anzahl abgerechneter Leistungen für kE im Vergleich zu nkE zu beobachten.
Eine Routinedatenanalyse zeige, dass die Zeit vom Erstkontakt mit einem Psychotherapeuten bis hin zur Initiierung einer Richtlinienpsychotherapie (oder einer Akutbehandlung) von 80 Tagen (nkE und kE) auf durchschnittlich rund 103 Tage bei kE und 97 Tage bei nkE gestiegen ist.
Hohe Zufriedenheit mit der psychotherapeutischen Behandlung
Die Zufriedenheit mit der Behandlung war der Evaluation zufolge bei Personen, die eine Psychotherapie in Anspruch genommen haben, durchgängig sehr hoch. In der Gruppe der komplex Erkrankten konnte eine signifikante Zunahme der Zufriedenheit mit der Behandlung prä- zu post-Reform aufgezeigt werden.
Die Befragungen der Psychotherapeuten in dem Projekt zeigten deutliche Unterschiede in der Realisierung der Strukturelemente der Reform auf. Fast alle Befragten gaben demnach an, die Sprechstunden durchzuführen, auch die Akutbehandlung wurde regelmäßig von vielen eingesetzt.
Weniger als die Hälfte gab indes an, die Rezidivprophylaxe regelhaft umzusetzen. Insgesamt gab nur ein Drittel der Psychotherapeuten an, aufgrund der Reform die eigenen Praxisroutinen in relevantem Umfang verändert zu haben.
Die Sprechstunde wird von den Psychotherapeuten als erste Entlastung für Patientinnen und Patienten wahrgenommen. Umsetzungsbarrieren der Reform seien der hohe bürokratische Aufwand und die mangelnde Kommunikation zwischen Mitbehandelnden.
Der G-BA teilte mit, dass die Projektergebnisse dem Unterausschuss Psychotherapie und psychiatrische Versorgung zur Verfügung gestellt werden, sodass dieser die Erkenntnisse mit Blick auf eine Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie zeitnah prüfen könne.
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